Alles ist wahr, was über das Schreiben gesagt wird. Für gewisse Menschen, in gewissen Situationen.

Schreibtipps widersprechen einander. Gutes Beispiel sind die Schreibtipps auf Twitter. Wie etwa …

Bringen Sie in jeden Ihrer Romanhelden Facetten Ihrer eigenen Persönlichkeit ein – das erleichtert zudem die Identifikation. (Quelle)

„Schreibe über das, was du kennst“ ist kein guter Rat. Besser wäre: „Recherchiere vor dem Schreiben, was du noch nicht kennst.“ (Quelle)

Das widerspricht sich doch – soll ich nun autobiografisch sein oder doch lieber Fremdes recherchieren?

Frage: Was ist nun wahr?

Antwort: Beides.

Mir tut es beispielsweise gut, aus dem autobiografischen zu schöpfen, weil es meine Arbeit erleichtert. Manchmal. Und manchmal arbeite ich mich wie ein Verrückter in fremde Persönlichkeiten ein, weil es meine Arbeit bereichert.

Frage: Macht es denn dann noch Sinn, dass Schreibgurus irgendwelche Aussagen treffen?

Antwort: Klar. Die Aussagen haben Gültigkeit. Die Glaubwürdigkeit der Gurus nimmt zu, wenn sie sagen, unter welchen Bedingungen die Aussagen zutreffen. Und für wen.

Frage: Was ist also nötig?

Antwort: Sich die Unterschiedlichkeit der Schreibenden genau anzusehen, für die Schreibtipps abgegeben werden.

Bei allem, was über Literatur gesagt wird, ist davon auszugehen, dass auch das Gegenteil wahr sein kann.

Dieser Imperativ stammt von Julian Schutting. Er sagte das 1999, bei einer Eröffnungsrede der Schule für Dichtung, als eine Vorrednerin gemeint hatte, man müsse „lesen, lesen und nochmals lesen“, um gut schreiben zu können, und er meinte, man müsse nicht.

Für mich fügt sich das alles gut zusammen, wenn ich Karl Poppers Wissenschaftstheorie im Hinterkopf habe:

Popper schlägt stattdessen vor, dass Theorien (abstrakt betrachtet) frei erfunden werden dürfen. Im Nachhinein werden dann Experimente angestellt, deren Ausgang als Basissätze konventionell festgelegt werden. Durch diese Basissätze können dann die Theorien widerlegt (falsifiziert) werden, wenn die Folgerungen, die aus ihnen deduziert werden, sich im Experiment nicht bestätigen.

In einem evolutionsartigen Selektionsprozess setzen sich so diejenigen Theorien durch, deren Widerlegung misslingt.

Wenn ich also etwas über das Schreiben aussage, dann meine ich das aus meiner Erfahrung heraus. Solange sich meine Aussage (mein Imperativ) bei einigen Schreibenden bewährt, ist es gut. Werde ich widerlegt, dann freut mich das, heißt es doch, dass sich jemand mit meinen Gedanken auseinandersetzt.

PS: Wenn ich etwas über das Schreiben sage, und damit auch das Gegenteil wahr sein kann, ist diese Aussage auch sich selbst unterworfen, oder? :-) Siehe „Epimenides der Kreter sagte: Alle Kreter sind Lügner“.

Schreiben lernen in einem Schreibseminar? Aufruf zu Eigenverantwortlichkeit.

Ja, schreibt Arne Ulbricht in der Süddeutschen Zeitung, man kann in Schreibseminaren lernen, wie man ein besserer Autor wird. Aber nur, wenn man nicht alle Regeln befolgt. Hier findest du seinen Aufruf, Schreibwerkstätten zu besuchen, und gleichzeitig ist es ein Aufruf zu Eigenverantwortlichkeit.

Und man sollte wissen, dass sowohl die wohlwollenden als auch die kritischen Stellungnahmen von vielen Faktoren abhängen. Auf Seminaren gibt es zum Beispiel selten zwei heftige Verrisse in Folge, weil das zu anstrengend wäre.

Sollte es einem gelingen, die flexiblen Gesetzmäßigkeiten eines Seminars zu akzeptieren, dann – und wahrscheinlich nur dann – kann man konzentriert die Anregungen aufsaugen und sich die Hinweise rauspicken, die einem für den eigenen Text sinnvoll erscheinen. Schließlich weiß man selbst am besten, dass es den Text kaputtmachen würde, wenn man zum Beispiel der Anregung folgt, aus dem Protagonisten, der Schriftsteller ist, einen Maler zu machen…

Quelle: www.arneulbricht.de