Katja Kullmanns „Generation Ally“ gehörte vor zehn Jahren zu meiner Rechercheliteratur, um herauszufinden, wie Frauen ticken.
Kullmanns Weg erinnert mich, diese eine Frage genauer anzusehen, die da lautet: Was ist Erfolgreichsein für mich?
„Ich sprech‘ inzwischen über Geld“
Von der Bestseller-Autorin zur HartzIV-Empfängerin: Katja Kullmann fordert in ihrem neuen Buch „Echtleben“ die kreative Klasse auf, ihren Selbstbetrug zu beenden
Selbstverwirklichung, kreative Jobs, Ich-AGs: die sogenannten Kreativen waren einmal die Speerspitze eines auf Innovation beruhenden neuen Wirtschaftsmodells. Doch während die RepräsentantInnen in den Ministerien immer noch dafür werben, hat bei den tatsächlich Kreativen längst eine Ernüchterung eingesetzt: „Wir haben alles Mögliche zusammengebastelt – nur keine Macht,“ resümiert Katja Kullmann in ihrem neuen Sachbuch „Echtleben“ über die Generation der heute 40-Jährigen.
In dem Buch gewährt die Autorin tiefe Einblicke in ihre eigene soziale Achtbahnfahrt, die von der Bestseller-Autorin zur HartzIV-Empfängerin reichte. Gleichzeitig schließt sie ihre Geschichte mit den Erfahrungen ihrer MitstreiterInnen aus dem kreativen Milieu kurz und wagt eine gesellschaftlichskritische Analyse, die weit über die Lebenswelt der Prekär-Bohème hinausragt. Im Interview mit dieStandard.at erläutert die „Generation Ally“-Autorin, was sie sich von ihrer Generation erwartet, nachdem der Traum vom „freieren Leben“ geplatzt ist und nicht zuletzt, wie es nun bei ihr selber finanziell weitergeht:
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dieStandard.at: Sie haben mit „Generation Ally“ einen Bestseller geschrieben, acht Jahre später waren sie Hartz4 Empfängerin. Was ist da passiert?
Kullmann: Anfang der 00er Jahre schrieb ich als knapp 30-Jährige „Ally“, kurz vorher hatte ich mich als Journalistin selbstständig gemacht. Das Buch hat eingeschlagen, mehr als ein Jahr war ich damit auf Tour. Das Geld habe ich auf ein Sparkonto gelegt, keine Aktien oder so, damit kenne ich mich nicht aus.
Mit diesem finanziellen Polster und als selbstständige Journalistin segelte ich dann durch dieses Jahrzehnt, in dem sich ökonomisch sehr viel verändert hat. In der Medienbranche wurden die Aufträge für die Freien immer weniger, genauso wie die Honorare. Ohne dass ich in Luxus gelebt hätte, war mein Erspartes dann nach acht Jahren weg und ich musste beim Amt anklopfen.
dieStandard.at: Der Verlag, für den Sie das Buch geschrieben haben, ist pleite. Geht ihnen jetzt auch das Honorar für das Buch durch die Lappen?
Kullmann: Ja, zum Teil liegt es jetzt erstmal auf Eis. Das wäre ja eigentlich das perfekte Schlusskapitel für mein Buch. Der Eichborn-Verlag war einer der wenigen unabhängigen, kleinen Verlage, der zu keinem Großkonzern gehört, ich wollte mein Buch dort gerne rausbringen. Ein paar Tage, nachdem mein Buch draußen war, gingen sie dann in Insolvenz, von meinem Garantiehonorar habe ich im Vorfeld 40 Prozent erhalten, der Rest ist in der Insolvenzmasse. Ich bin also jetzt eine von vielen Gläubigern.
dieStandard.at: Heißt das, Sie müssen jetzt dann bald wieder beim Amt anklopfen?
Kullmann: Nein, ich hatte zuletzt für anderthalb Jahre ja wieder einen festen Job und konnte glücklicherweise wieder etwas zurücklegen. Aber ich habe natürlich mit dem Buch-Geld gerechnet und muss jetzt umplanen. Letztlich geht es darum, dass ich mich als Unternehmerin meiner Selbst auf die Absprachen mit ungleich größeren Vertragspartnern verlassen muss – und wenn es nicht klappt, gibt es kein soziales Netz, das Leute wie mich auffängt. Die Freiberufler, Ich-AGs und Minijober usw. haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, sie sind sofort auf Hartz IV. Von da aus können Sie sich aber überhaupt nicht mehr bewegen, Zuverdienst ist nicht erlaubt, und sie dürfen auch den Standort nicht verändern, etwa die Stadt wechseln – so als Freie zu arbeiten, ist unmöglich. Man muss seinen Beruf dann praktisch aufgeben, egal wie gut es jahrelang vorher lief, man muss darauf warten, bis man angestellt wird, sonst kommt man da erst mal nicht raus. Diese Schizophrenie beleuchte ich in meinem Buch.
dieStandard.at: Ist ihnen diese schonungslose Offenheit über ihre finanzielle und soziale Achterbahnfahrt eigentlich leicht gefallen?
Kullmann: Ich hab mir das natürlich überlegt. Ich komme aus bescheidenen, aber soliden Verhältnissen, ich gehöre gefühlt zu den Glückskindern. Das Listige ist, monetär sind freie SchreiberInnen wie ich aber näher am Fensterputzer dran als am Herausgeber des Magazins. In der Gesellschaft herrschen aber immer noch diese weichen Wertigkeiten vor: ‚Ich hab Abitur, ich bin was Wert‘. Ich sage, ja aber finanziell nicht viel mehr als ein Supermarktkassierer. So eine Einsicht beschädigt natürlich ganz viel von ‚Identität‘. An diesen Haltungen arbeite ich, denn ich denke, dass wir uns heute neu und anders solidarisieren müssen. Zum anderen gibt es diesen bürgerlichen Habitus: Über Geld spricht man nicht. Ich mach das inzwischen schon.
Ich möchte auch, dass wir beginnen, diese Geschichten der neuen Ich-AGs und der selbstbestimmten, glücklichen Kleine-Läden Betreibenden ehrlich zu erzählen. Ganz viele dieser Lebensentwürfe der heute 40-Jährigen werden nämlich sehr oft durch die Vorgängergeneration, sprich die Eltern, bezahlt, und sei es nur durch eine Bankbürgschaft des Herrn Papa. Das ist dann aber nicht die eigene Leistung, und es setzt die anderen Leute, die nicht auf diesen Background zurückgreifen können, unglaublich unter Druck. Es täuscht zudem falsche Zukunftsaussichten vor, von wegen: Jeder kann, wenn er nur will.
Meine Generation, also die heute 40-Jährigen, wollte ja unbedingt dieses ‚freiere Leben‘ führen, wo Geschlecht und Geld und Stallgeruch keine Rolle mehr spielen.
dieStandard.at: Und jetzt ist die Ernüchterung da, dass diese Dinge eben doch eine Rolle spielen?
Kullmann: Was dieses Ideal betrifft, sehe ich eine gewaltige Katerstimmung in meiner Generation, ja. Wir haben heute ein globalisiertes Marktsystem und damit auch eine Globalisierung der Lebensläufe. Die Lust meiner Generation, die Individualisierung als Versprechen anzunehmen, die traf unglücklicherweise auf das Interesse der Wirtschaftskomplexe, die Leute freizusetzen.
Wir hören immer: Sei deine eigene Herrin, aber es gibt doch immer noch die alten Machtverhältnisse! Die Freien werden auf dem Arbeitsmarkt rücksichtslos gegeneinander ausgespielt, die schämen sich dann in ihrem Kämmerlein und denken: ach hätte ich doch besser verhandelt. Der Titel meines Buches, „Echtleben“, zielt darauf ab, meiner Altersgruppe zu verklickern: Schaut euch bitte mal die Strukturen an, in denen ihr arbeitet und lebt.
dieStandard.at: Gleichzeitig scheint der Glauben der Mittelschicht, durch Bildung sozioökonomische Standards in der nächsten Generation sichern zu können, größer denn je …
Kullmann: Es ist eine neue Ideologie: Wenn du dich selbst trainierst, wird es schon hinhauen. Das impliziert ganz stark die Privatisierung von Lebensrisiken. In Deutschland erkennt man jetzt schön langsam unter dem Motto: ‚Wenn die Abiturienten beginnen, den Hauptschülern die Jobs wegzunehmen, dann haben wir echt ein Problem.‘
Wir müssen Solidarisierung neu denken und Wertigkeit in Sachen Arbeit neu setzen. Warum erwarte ich mir als Abiturientin eigentlich, dass ich drei Mal so viel verdiene, weil ich einen Coffeepad-Werbespot erfinde, als meine gleichaltrige Nachbarin, die im sozialen Bereich tätig ist? Diese Wertigkeiten stoßen den klugen Leuten heute viel mehr auf. Auf dem Amt stand ich mit Regalbetreuerinnen in einer Schlange. Es ist dasselbe Boot.
dieStandard.at: Der Untertitel ihres Buches betont, wie kompliziert es sei, eine Haltung zu haben. Sehen Sie das jetzt immer noch so?
Kullmann: Das Buch hat mich schon verändert. Ich bin politischer geworden. Im Buch beweist dieses Ich eine relativ starke Haltung, indem es den sicheren Magazinjob hinschmeißt, obwohl sie ja schon auf HartzIV war. Ich habe tatsächlich durch diese Kündigung meine eigene Haltung wiederentdeckt, denn ich dachte in den 00er Jahren unterwegs mal, dass ich keine mehr hätte. Ich habe in dieser Zeit vier, fünf soziale Etagen innerhalb von 10 Jahren durchgespielt: Von der Leistungsträgerin zur Versagerin und wieder zurück. Woher soll ich wissen, was ich politisch will, wenn ich gar nicht weiß, wer ich selber bin, wo ich im sozialen Raum eigentlich stehe? Nach all meinen Erfahrungen, die ich mit vielen anderen teile, möchte ich beginnen, gesellschaftliche Solidarität neu zu denken.
Heute tut es mir leid, dass ich mich in meinen Uni-Jahren nicht stärker mit linken Theorien und Kapitalismuskritik beschäftigt habe. Da war ich auf dem Standpunkt: Ideologien sind überholt, und in den Gewerkschaften sitzen nur alte Männer mit zotteligen Bärten. Nun wünsche ich mir, ich hätte Volkswirtschaft studiert, statt Referate über Pop-Kultur zu halten. Ich hätte mehr Mittel in der Hand, um mich zu wehren und auf die Ungerechtigkeiten zu reagieren. Viele meines Alters suchen jetzt nach neuen Formen des Protestes und der Solidarisierung. Das ist auch ein spannender Prozess. (Die Fragen stellt Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 10.7.2011)
Zur Person:
Katja Kullmann (40), studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Anglistik. Sie arbeitet als Journalistin für viele deutsche Zeitschriften u.a. für die EMMA und schrieb 2002 den Bestseller „Generation Ally“.
Quelle: http://diestandard.at/1308680834262/Ich-sprech-inzwischen-ueber-Geld