Erntedank

Gila River Relocation Center, Rivers, Arizona. One of the floats in the Harvest Festival Parade which was held at this center on Thanksgiving day.

Meine Freunde, Bauern und Konsumenten!
Ich frage euch heute nicht einfach nach Dankbarkeit. Nein!
Ich frage euch: Wollt ihr den absoluten, radikalsten Erntedank,
einen Erntedank, so gnadenlos, dass kein Brot ungeschnitten,
keine Kartoffel ungeschält und keine Rübe ungezogen bleibt?
Wollt ihr ihn?

Wollt ihr, dass wir das Letzte aus den Böden pressen,
dass jeder Tropfen Wasser, jedes Samenkorn genutzt wird,
dass wir dem drohenden Hunger trotzen,
genau wie wir der Wasserkrise trotzen,
und die Ernte in jeder Ecke dieser Welt sichern?

Und wenn die amerikanische Lügenpresse heute behauptet,
die Menschheit habe zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte
den globalen Wasserkreislauf aus dem Gleichgewicht gebracht –
Nein, wir werden nicht weichen! Nein, wir werden wachsen!
Unsere Felder werden größer, grüner und fruchtbarer als je zuvor!
Wollt ihr das? Seid ihr bereit, die ultimative Ernte einzufahren?

Also frage ich euch zum letzten Mal:
Wollt ihr den absoluten Erntedank?
Wollt ihr kämpfen für jeden letzten Bissen, für jedes letzte Korn?
Dann erhebt eure Gabeln und Messer,
Möge der Magen niemals leer sein und der Teller stets voll!

Alte Krimis – Derrick (Teil 2)

Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Krimiserie ist ein leuchtendes Bollwerk der Gerechtigkeit und eine unermüdliche Hymne an die Ordnung und Sicherheit unseres Vaterlandes. In der Gestalt des unerschütterlichen Kommissars, der mit scharfem Verstand und eiserner Entschlossenheit das Böse bekämpft, sehen wir den heroischen Einsatz für das Wohl unserer Gesellschaft.

Schon die erste Episode ist ein Triumph des Rechts über die dunklen Mächte der Anarchie und ein Beweis dafür, dass die unbestechliche Kraft des Guten letztlich immer siegen wird.

Eine unschuldige Internatsschülerin wird auf ihrem Heimweg durch den dunklen Wald hinterlistig überfallen und erwürgt. Dies ist bereits das zweite Verbrechen dieser Art, das unsere Gemeinschaft erschüttert. Doch der ruchlose Täter hat die Stärke und Wachsamkeit unseres heldenhafen Kommissars unterschätzt, der schon als Grenadier der 14. Kompanie, SS-Panzergrenadier Regiment 1 „Totenkopf“, sein Vaterland bis nach Kharkiv zu verteidigen wusste.

„Derrick“ ist mehr als eine Serie; „Derrick“ ist ein Mahnmal der Tugend und eine Quelle der Inspiration für jeden rechtschaffenen Bürger.

Ich befehle hiermit die Produktion von 281 Folgen.

Gezeichnet

Dr. Joseph Goebbels

Der neue Freizeitpark

Willkommen in unserem neuen Freizeitpark!

Bei uns erleben Sie Momente der Weltgeschichte, dargestellt mit einer Präzision, dass Sie meinen, Sie seien wirklich dort gewesen. Wir hatten große Erfolge, ich erinnere nur an unserem Titanic Themenpark. So ein Freizeitpark braucht etliche Genehmigungen für die Inbetriebnahme, deshalb sind Sie heute da, meine Herren – ihr Schwerpunkt ist Brandschutz und – wenn ich recht verstanden habe – Jugendschutz, nicht wahr?

Gut. Ich werde Sie nun durch unsere Attraktionen führen.

Hier der Nachbau eines Einfamilienhauses. Lassen Sie sich von den Brandspuren nicht irritieren, die sind natürlich nicht echt. Hier herein, bitte. Der Save-Room. Der Mann und die blonde Frau hier wurden erschossen. Die Axt ist natürlich nicht scharf, damit sich keiner verletzt – aber die muss hier liegen, da muss man drübersteigen, wir wollen ja authentisch sein, mit der Axt hat der Mann versucht, seine Kinder zu verteidigen. 

Sie fragen sich: wo sind die Kinder?

So, jetzt müssen Sie sich bücken. Noch tiefer. Ja, unter dem Bett. Da, sehen Sie? Das Mädchen. Ja, hier muss man sich den Zugang zum Mädchen echt erarbeiten, durch eine körperliche Bewegung. Übrigens: Alles Bettzeug ist natürlich imprägniert, hier brennt nichts. Was da hinten glost, das ist das Handy-Display. Das Mädchen telefoniert nämlich. Vier Stunden lang. Mit seiner Mutter. Die tote Frau ist nur die Freundin des Vaters.

Das Handy stammt vom toten Vater. Beim Handy haben wir den Akku entfernt, damit es nicht zu einer Selbstentzündung kommt. Das Raumklima hier ist unangenehm stickig, spüren Sie das? Mit Absicht haben wir hier keine Lüftung eingebaut, denn das Kind versteckt sich unter dem Bett, das soll man fühlen, und da, ihr achtjähriger Bruder, der ist nicht tot, er ist nur still, weil seine Schwester gesagt hat, er soll still sein. Wenn Sie ganz leise sind, hören sie Ihn atmen, schauen Sie, wie er schwitzt. Hören Sie, was das Mädchen zu seiner Mutter flüstert? Wir haben das übersetzt, vier Sprachen. Das gekürzte Transkript des Gesprächs können Sie auf der Objektbeschriftung nachlesen.

Wir wissen, dass die Fluchtwege hier ein Problem sind. Um im Brandfall alle evakuieren zu können, werden hier nur für vier Besucher gleichzeitig eingelassen. Hier im Nebenraum ist das Wichszimmer, da können sich männliche Besucher kurz zurückziehen, wenn sie masturbieren wollen. So etwas hat es im originalen Haus natürlich nicht gegeben – wissen Sie, wir bewegen wir uns immer auf einem Grat zwischen Authentizität und Kundenbedürfnis. Schauen Sie hinauf, an der Decke: Rauchmelder. Damit keiner anfängt, sich hier eine Zigarette anzuzünden, Sie verstehen! Der Jugendschutz ist jedenfalls gewährleistet, weil unsere Wichszimmer erst ab 18 betreten werden dürfen, und nur mit Zutrittskarte, die man an der Kassa gegen Aufpreis erhält.

Folgen Sie mir bitte nach draußen. Kommen Sie weiter.

So.

Hier draußen also, das Festivalgelände. Natürlich nicht so weitläufig wie auf dem Originalschauplatz. Was hier herumliegt, zwischen den Zelten, ist eingescannt und mit 3D-Druckern reproduziert worden, bis auf Mineralwasserflaschen und Mehrweg-Plastikgabeln. Wir haben übrigens nur brandhemmende Filamente verwendet.

Ja, ich weiß, was Sie denken. Anfänglich dachten wir auch, wir hätten ein Problem mit der Nacktheit, weil wir ja die Zulassung nach PEGI 12 beantragen und weil etliche Frauen nackt aufgefunden wurden. Aber wir zeigen nur jene Opfer nackt, denen in die Geschlechtsteile geschossen wurde, und eine blutverschmierter Vulva fällt nicht in den Themenbereich Sexualität, sondern in den Themenbereich Gewalt, und angedeutete Gewalt gegen menschlich aussehende Wesen ist bei PEGI 12 zugelassen. 

Für unsere jüngsten Besucher bieten wir ein Abenteuer-Fangen-Spielen an, wo die Kinder davonlaufen müssen, und wer nicht schnell genug ist, wird eingefangen, auf Motorräder gepackt und dann fortgebracht, zum Sammelplatz im Keller vom Restaurant.

Ja, was haben Sie denn da gefunden? Heben Sie es ruhig auf. Fühlt sich weich an, nicht wahr? Schaut aus wie eine ausgefranste Mütze mit einem Knubbel obendrauf. Ist aber aus Kunststoff. Hautfreundlich und abwaschbar. Das ist eine abgeschnittene, weibliche Brust. Auf der Rückseite sehen Sie Fettgewebe und Brustdrüse, ja, wir achten auf Details. In unserem Andenken-Shop sind solche Brüste käuflich zu erwerben.

Wunsch

Ich wünsche mir dass du stirbst.

Aber nicht einfach so.

Tage vorher bin ich sehr nett zu dir, bis zu dem Moment, wo du dich am sichersten fühlst, wo alles passt.

Dann werde ich kommen, aber ich komme nicht alleine. 

Wir werden dich aus deinem Haus zerren – und du, mit verrenktem Kopf, versuchst noch beruhigende Blicke deinen Kindern zuzuwerfen, aber sie stehen da mit geweiteten Augen, das jüngste pinkelt sich gerade an, während du in den frühen Morgen hinaus gedängt wirst, links und rechts kein Entkommen, und immer diese Schläge! – Dabei fügst du dich ja ohnehin, dein Leben lang hast du dich gefügt. 

Warum dann dieses Ende? 

Warum dann diese Enge, dass du dich nicht rühren kannst und du wartest und du im Blut watest und der Geruch dich schon ganz kirre macht, dass du einfach nur zusammenbrechen willst, weil du deine Freundin wiedererkennst, die wir vor dir aufgehängt haben, kopfüber, das Gesicht und die Haare dunkelrot getränkt, vom Blut, das auf den Boden klatscht, und immer noch zittert deine Freundin, und fieberhaft seicht sind ihre Atemzüge.

Aber nicht dass du glaubst, ich hasse dich!

Im Gegenteil. 

Ich liebe dich 

und dein Beiried 

und deinen Lungenbraten.

Die Tür

Die Tür musste schon alt gewesen sein, als sie in das Haus gekommen war. Niemand im Dorf erinnerte sich, woher sie stammte oder wer sie eingebaut hatte. Sie war beschlagen mit einem Metall, das kein übliches Eisen war. Und die Tür trug eine Inschrift, in einer Sprache, die niemand im Dorf verstand, und jeder, der in dem Dorf lebte, wusste, dass man die Tür nicht öffnen durfte, denn es kursieren Geschichten von Menschen, die es versucht hatten, und die nicht mehr zurückgekommen waren. 

Eines Tages sah ein Mädchen die Tür – es war die Tochter des Händler, der zufällig hier im Dorf übernachtete. Das Mädchen war weit gereist und wusste daher sofort, was die Inschrift bedeutete. Es drückte die Türschnalle hinunter, und die Tür öffnete sich träge. Das Mädchen ging hinein.

Nach ein paar Stunden begann der Händler, seine Tochter zu suchen. Er wurde verzweifelter und verzweifelter, und in der Nacht weckte er die Dorfbewohner. Sie alle zogen zu der Tür, rüttelten daran und drückten und zogen, aber sie blieb fest verschlossen. Sie nahmen einen Baumstamm als Rammbock und warfen ihn gegen die Tür. Die Tür gab ein wenig nach. Die Menschen gaben nicht auf. Sie rissen die Tür aus den Angeln und warfen sie auf den Boden. Dann traten sie ein in den Raum, der hinter der Tür lag.

Der Raum hatte kein Fenster und keine andere Tür. In der Mitte des Raums stand ein Stuhl. Darauf lag ein Zettel. Auf dem Zettel stand: „Bitte geht wieder nach draußen und schließt die Tür.“

Alte Krimis – Derrick Folge 176

In Folge 176 bewegt sich der alte Derrick eine Treppe herab, vorbei an einem Festnetztelefon. Derrick hält in seinen Händen eine Mappe mit papierenen Akten. Er geht in ein Zimmer, auf dem Tisch gibt es einen Aktenkoffer und eine Kaffeetasse. 

Man muss folgendes dazu sagen, zu dieser Situation. Die Möbel sind dunkelbraun wie die Haselnuss. Derrick steht in dem Zimmer, das vielleicht als Wohnzimmer gemeint ist – aber es könnte auch das Wartezimmer eines Landarztes sein – ich meine keinen Allgemeinmediziner, sondern einen Psychiater – klar müssen Stühle und Tische massiv sein, damit kein Schaden eintritt. Über dem Tisch hängt ein Luster aus hin- und herverbogenem, weißem Metall, hängt so tief, dass er Derricks Brustwarzen berühren würde, wenn er den Tisch zur Seite schob, was er aber nicht tut, weil der Tisch massiv und Derrick alt ist. Das Fenster, an dem Derrick steht, ist eng und von einem Fensterkreuz gevierteilt. Seitlich hängt grauer Vorhangstoff, ich meine dieses Grau der Spitzendecken, die man immer als erstes wegwirft, wenn man die Wohnung der verstorbenen Eltern nach Verwertbarem durchsucht.

Derrick legt die Aktenmappe in den Aktenkoffer. Er greift zu der weißen Kaffeetasse, stellt sich an das Fenster und schaut hinaus. Währenddessen wird in weißer Schrift das Wort “Rachefeldzug” eingeblendet. 

Dann schrillt das Telefon wie eine Türglocke. Derrick stellt seine Tasse ab, geht zum Festnetztelefon, aber der Fußboden unter ihm ist gekachelt. Kackgelbe, quadratische Kacheln, nicht einmal diagonal verlegt. Derrick geht vorbei an einem Schrank, hinter dessen Glastüren neun Teller hängen, angeordnet drei mal drei, dann hebt er den Telefonhörer ab, wendet sich zur Kamera und sagt ein scharfes: “Ja!”

Später kommt eine Frau herein, und Derrick sagt folgenden Satz zu ihr: “Viel Vergnügen hier beim Saubermachen. Auf Wiedersehen.”

Was in dem Haus sauberzumachen ist, erschließt sich nicht, weil die Zimmer so geleert aussehen. Wobei: die Kaffeetasse samt Untersetzer gilt es natürlich in die Küche zu tragen, zu säubern, zu trocknen und in einem Schrank abzustellen.

Vor dem Haus wird auf Derrick geschossen, daraufhin schleudert er den Aktenkoffer weit fort, und als das abgeschlossen ist, tritt er zur Seite, während die Putzfrau im Hausinneren nichts bemerkt, weil sie mit dem Saubermachen von Derricks Dreck bis über beide Ohren beschäftigt ist.

Harry kommt und sagt zu Derrick: “Etwas ist merkwürdig.”

Worauf Derrick wiederholt: “Ja, etwas ist merkwürdig.”

Weil Derrick nicht weiß, was merkwürdig ist, wartet er auf das, was Harry als nächstes sagt.

Harry sagt: “Dass man dich nicht getroffen hat.”

Daraufhin sagt Derrick sofort: “Das finde ich auch.”

Der Gedanke ist unzulässig, dass der Attentäter folglich nur eine Frau sein kann, weil Frauen ja ein nicht so zielstrebiges Naturell wie Männer haben, und es ihnen mehr um Aufmerksamkeit denn um das Töten geht, es also mit hoher Wahrscheinlichkeit die Putzfrau sein kann, weil sie es satt hat, dieses Kotzeschrubben und Eiterkrusten aus Kaffeetassen kratzen und die versifften Inkontinenzlaken zu bügeln – dieser Gedanke ist hier unzulässig, weil ein anderer alter Mann der Täter ist. Dies entpuppt sich aber erst, nachdem Derrick eine Wohnung besucht, in der junge Leute mit Dauerwellenfrisur und überbreiten Schulterpölstern umherstehen, und jemand zu Derrick sagt: “Sie sind nicht gut für die Stimmung.”

Worauf Derrick sagt: “Ja, ist ja gut, na was ist denn das? Ne Party oder sind die alle nur zufällig hier?”

Der perfekte Tag


Heute war ein perfekter Tag für das kleine Kind. Es hatte die Sonne vom Himmel gelacht, die Vögel zwitscherten und es war warm. Das Kind hatte sich auf sein Fahrrad gesetzt und war losgefahren. Es hatte so viel Spaß gehabt, dass es gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Plötzlich hatte es aber Hunger bekommen und war nach Hause gefahren, um etwas zu essen.

Nach dem Essen hatte es sich auf sein Bett gesetzt und gelesen. Es hatte so viel Spaß gehabt, dass es gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Plötzlich hatte es aber Schmerzen in seinen Beinen bekommen und war eingeschlafen.

Als es am nächsten Morgen aufwachte, war es kalt und dunkel. Das Kind war allein in seinem Bett und es war totenstill im Haus. Es hatte keine Ahnung, was passiert war. Es hatte nur noch diesen perfekten Tag im Kopf, an dem alles so gut gelaufen war.

Dieser Text wurde nicht von mir geschrieben, wurde von keinem Menschen geschrieben. Dieser Text wurde maschinell erzeugt. Auf openAI.com hatte ich die Anweisung gegeben: “Verfasse eine sehr traurige Geschichte über einen perfekten Tag eines Kindes”. Später probierte ich es wieder, mit derselben Anweisung.

Eines Tages, als das Kind gerade ein Jahr alt war, hatte es einen perfekten Moment. Es saß auf seinem Spielzeugpferd und ritt durch die Wohnung, während seine Mutter ihm zusah. Sein Gesicht war voller Freude und Glück. Doch dieser Moment währte nur kurz. Das Kind war kaum zwei Jahre alt, als es bei einem Autounfall ums Leben kam.

Nun gab ich folgende Anweisung: Verfasse eine Kurzgeschichte zum Thema “Der perfekte Moment“

Der perfekte Moment ist eine seltene Erscheinung. Manchmal ist er so kurz, dass man ihn kaum bemerkt. Aber wenn er da ist, dann weiß man es. Man spürt die Leichtigkeit des Moments, die Freude, die in der Luft liegt. Alles scheint möglich zu sein.

Für Mia war dieser Moment am Strand. Sie lag in der Sonne, die Wellen rauschten leise im Hintergrund und sie fühlte sich so leicht, so glücklich. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie fliegen.

In diesem Moment wusste sie, dass alles möglich war. Sie konnte sich ein neues Leben ausmalen, mit einem neuen Job, einem neuen Partner. Sie war bereit für einen Neuanfang.

Aber der Moment verging und Mia musste wieder in die Realität zurückkehren. Die Leichtigkeit und die Freude blieben zurück, aber nun wusste Mia, dass sie diesen Moment festhalten musste. Denn er kam nicht immer wieder.

Blau

Blau ist meine Lieblingsfarbe von dem Himmel,
der sich in der Nacht über die Stadt legt
und so ein blau hat, das dünner und dünkler wird
weil seine Farbe am Abend ausrinnt
an den Silhouetten von Hochhäusern und Bahnhofstoiletten
und hinein sickert in die Gullys und
gluckert mit dem Urin
aus den tausenden Penisen von Männern,
die mit nackten Stirnen an kalten Kacheln
der tausend Toiletten lehnen
die Augen geschlossen
ihre Müdigkeit in den Fingern
und gerade noch so viel Kraft
dass sie ihre Penise halten
und das Gelb ablassen dass es sich
unten tief
tief unten
im Gedärm der Stadt
mit dem Blau vermengt
und darum liebe ich Gelb.

König

Es war einmal ein König, der über ein großes Königreich herrschte. Er war ein weiser und gerechter Herrscher, und sein Volk liebte und respektierte ihn. Er war immer bestrebt, sein Reich zu verbessern und sein Volk glücklich zu machen. Seine Regentschaft dauerte 10 Jahre, und es waren friedliche Jahre voller Fröhlichkeit und Zuversicht.

Eines Tages erhob sich eine Gruppe von Rebellen gegen ihn und stürzte ihn. Der König war gezwungen sich zu verstecken. Er schwor, eines Tages zurückzukehren und sich das zurückzuholen, was ihm rechtmäßig gehörte. Er fand Unterschlupf im Schloss seiner Lieblingstochter. Sie war eine schöne und stolze Prinzessin, die alles für den Vater getan hätte, Sie stellte sich todesmutig den finsteren Schergen entgegen, die das Schloss brandschatzten. Sie wurde gefoltert und geblendet. Aber sie hatte dem König durch ihr Leiden etwas Zeit verschafft, so konnte er fliehen und die Tochter starb an inneren Verletzungen.

Die Rebellen verfolgten den König bis in den letzten Winkel des Königreichs. So muss er schweren Herzens seine Heimat verlassen. Nachts schwamm er mackt über den Grenzfluss. Mit letzter Kraft erreichte er das Ufer. Hilfsbereite Menschen gaben ihm trockene Kleidung. Reichten ihm Essen und fragten ihn nach seiner Herkunft. Als er ihnen eröffnete, dass er der König sei, da erschlugen sie ihn, aus Angst vor den Rebellen. Sie händigten seinen Leichnam sogar den Rebellen aus und wurden aber doch von ihnen im Fluss ertränkt -denn es könnte ja sein, dass der König seine Geschichte erzählt hätte, und keiner dürfte die Geschichte des Königs kennen.

Aber ein kleines Fischermädchen rannte schnell in den Wald. Es entkam den Schergen, und nach zwei Wochen kehrte das Mädchen zurück zu seinem verbrannten Dorf. Von nun an führte es dort das Leben einer einsamen Fischerin. Das Mädchen wurde alt, und am Totenbett erzählte es die Geschichte ihrem Fischgroßhändler, der die Worte auf kleine Zettel schrieb und in ausgenommene Fischbäuche stopfte. So ein Fisch mitsamt der Botschaft landete auf der Tafel eines Rebellen. Daraufhin würden Fischerdörfer auf beiden Seiten des Grenzflusses niedergebrannt und alle Einwohner getötet. Aber die, die das Massaker von weitem beobachtet hatten, die gründeten eine Kirche und schrieben ein heiliges Buch und wanderten in staubigen Gewändern durch die Täler und rüttelten die Leute durch ihre Predigten auf und wurden allesamt gekreuzigt. Ihre heiligen Bücher wurden verbrannt.

Eines aber hatte ich gefunden, im Nachlass meines Onkels, den irgendjemand mit der Spitzhacke erschlagen hatte. Natürlich schwieg ich, keinem erzählte ich von meinem Fund, und dennoch passierte es, dass man mich meiner Familie beraubt hatte. Und so denke ich: es musste doch einen Sinn haben, dass ausgerechnet ich noch am Leben war!

Darum erzähle ich euch diese Geschichte.

Ihr, die mir zuhört, wundert euch nicht, wenn übermorgen nachts eure Türen eingetreten werden, denn man möchte euch auslöschen und mit euch all jene, denen ihr etwas von der Geschichte erzählen hättet können. 

Aber der eine oder andere von euch wird sich im letzten Moment verstecken, wird die Geschichte am Totenbett erzählen, seinen Enkeln vielleicht, und wenn das Schicksal es will, wird eines dieser Enkelkinder überleben, weil es gerade rechtzeitig gelernt hat, mit der Waffe umzugehen, und es wird die Geschichte des Königs weitertragen.

Verdammt, wir schreiben noch!

Die Deutschschularbeit begann damit, dass die Frau Professor die Zettel mit den drei Themen austeilte. Das Dritte Thema war wie immer eine Gedichtinterpretation. Das zweite Thema war etwas politisches, da kannte ich mich nicht aus. Und das erste Thema hieß: “Mein schönstes Ferienerlebnis”. Das musste ich also nehmen. Ich schrieb den Titel in das Heft. rund um micht zähe Atmen, das Kratzen von Federn auf Papier, die Schritte der Professorin, und draußen, die geöffnetes Fenstern, der Herbst, das Laub und die Autos. Mein schönstes Sommererlebnis. Also: ich musste an die Sommerferien denken. Die bestanden aus Juli und August. Schade, denn im Juni war ich bei Tante Roberta zu Besuch, und sie hatte diesen herrlichen Rehrücken immer. In Juli war ich nicht auf Besuch bei ihr, im August auch nicht, denn sie war ja in Juli niedergefallen und dann bei der Operation hatte sie sich im Krankenhaus einen Keim eingefangen, darum hatte man ihr das Knie und dann den Oberschenkel abgeschnitten und am Ende war nichts mehr von ihr übrig, so dünn war sie. Als ich sie besucht hatte, hatte sie geschrien wie ein Kind. Darüber konnte ich also nicht schreiben.

Ich schaute auf die Uhr über der Tafel. Zehn Minuten schon vergangen, und die Stunde hatte ohnehin nur fünfzig Minuten in Summe, also noch vierzig Minuten. Ich musste weiterdenken.

Im Juli waren wir am Land draußen. Woran konnte ich mich da erinnern? Der Regenwurm, den ich zerteilt hatte mit der Schaufel, weil meine Großmutter gemeint hatte, dann würde der Regenwurm wie zwei Regenwürmer weiterleben. Was nicht stimmte. Beide Hälften verendeten. So wie bei Tante Roberta, bei der das Bein abstarb und auch der Bauch mit Kopf und Armen.

Ich schaute auf die Uhr über der Tafel. Nur mehr fünfunddreißig Minuten. Ich hob den Arm und die Professorin kam her. “Mir fällt nichts ein”, sagte ich.

“Ach geh, schreib irgendwas, was passiert ist. Es muss nicht lang sein.”

Also schreib ich von dem Hund, den von der alten Frau Kmeiner, der alleine im Dorf herumgestreunt, weil die alte Frau Kmeiner zu alt ist, um ihn Gassi zu führen. Mit einer Wurst habe ich ihn in in den Garten gelockt, dann eine Kiste drüber und Erde drübergeschaufel aber mit einem Loch für die Luft. 

So schrieb ich und schrieb ich, meine Füllfeder kratzte über das Papier, Seite um Seite, wie ich meine Eltern dazu gebracht hatte, das Winseln zu überhören, und als einmal Stille war, hatte ich den Hund hatte. Seine Hundeaugen. Sein müder Kopf. Und die Ameisen und der Körper, der sich immer noch bewegt hatte – die Worte kamen nicht von mir, sondern vom Hund und mir gemeinsam, er war mir in diesem Moment beim Schreiben so nahe wie sonst nichts auf der Welt mit allem, was er fühlte und was ich tat – das war eines, und wie beide schrieben und schrieben und dann hörte ich die Frau Professor. 

Sie sagte: “Abgeben, Wollinger!” – aber etwas in mir schrieb weiter, die böse Frau inzwischen zerrte das Papier vom Schreibtisch, ich schrie: “Verdammt, wir schreiben noch!” – Und weil sie keine Ruhe gab, hackte ich mit der Füllfeder auf ihre Greifhand ein, so wie ich in den Leib des Hundes gehackt hatte, um sein Leid zu beenden – und das gleiche hätte man mit Tante Roberta auch tun sollen, dann hätte sie nicht so schreien müssen wie die Frau Professor.

Eine kurze Geschichte über das Vergessen

Und gerade als wir rund um den Weihnachtsbaum standen, als sich meine Frau an mich schmiegte, als wir unsere Kinder beobachteten, die sie sich über die Geschenke hermachten, als ich also neben ihr stand, meinen Arm auf ihre Schulter legte, da rutschte mir die Hose ein Stückchen hinunter. 

Und mir schoss es ein: ich hatte meinen Gürtel vergessen.

Ich umarmte meine Frau weiterhin, versuchte keine abrupte Bewegung zu machen, denn jetzt musste ich nachdenken. Ich brauchte einen Vorwand, um jetzt loszufahren.

Am besten mit Offenheit. Ich sagte meiner Frau: “Mir ist etwas peinliches passiert.”

“Was denn?”

Ich sagte ihr, dass ich ihr Geburtstagsgeschenk an der Tankstelle liegen gelassen hatte.   

“Aber wir haben Weihnachten”, sagte sie.

“Ich meine dein Weihnachtsgeschenk, ich bin ganz durcheinander”, sagte ich. “Ich glaube, ich weiß, wo es ist. Ich würde das jetzt holen, damit es nicht jemand anderer mitgehen lässt.”

Einen schnellen Ehekrach später (“Das ist nicht dein Ernst, dass du jetzt wegfährst und mich mit den Kindern hier zurücklässt!”) saß ich im Auto und hatte keine Ahnung, was für ein Weihnachtsgeschenk ich meiner Frau nun mitbringen sollte, aber das war nur ein unbedeutendes Problem jetzt. 

Ich fuhr eine halbe Stunde durch die Nacht, kurvte durch Ortschaften, und bei einem bestimmten Haus fuhr ich vorbei. Denn es hätte ja sein können, dass Licht brannte. Es brannte aber keines. 

Also parkte ich, aber nicht allzu nahe. Ich ging durch das Dunkle, das Kalte, den Blick erhoben, ob da nicht doch etwas war. Ich zog mir die Golfhandschuhe an. Ich horchte nochmals. Aber es war nichts. Ich betrat den Garten, ich ging um das Haus und im Kellerfenster stieg ich ein, mit dem Licht einer kleinen Taschenlampe. Ich schlich die Treppe empor, öffnete die Tür zum Vorraum – eine kleine Bewegung, wie eine Katze, Atem anhalten, hören, ob da jemand – nein, nichts. 

Ich ging weiter ins Schlafzimmer. Ich knipste das Licht an. Licht war gar nicht so schlecht, die Nachbarn durften wohl sehen, dass jemand da war, dass alles in Ordnung war. Denn Anna war ja auch hier. Bäuchlings lag sie auf dem Bett. Um ihren Hals ein Gürtel. Mein Gürtel. Ich zog ihn ab, schnallte ihn mir an die Hose. Wie konnte ich so blöd gewesen sein. Der Gürtel begleitete mich schon jahrelang und hatte weißgott welche Spuren an sich. Da sah ich an Annas Nacken die Halskette. Ja, das wäre eine Idee für ein Weihnachtsgeschenk. Ich nahm Anna die Kette ab.

(Epilog)

Aber das war aber nichts ohne Geschenkpapier. 

Ich ging ins Wohnzimmer, und es roch immer noch nach Zimt. Es roch auch nach Urin. Ich nahm das größte Geschenk, schälte es vorsichtig aus dem Papier, damit nichts riss. Es war ein Puppenhaus. Aber mir ging es ja nur um das Papier. Ich packte die Kette ein, und als ich fertig war, da fuhr mir wieder eine Gedanke ein: Ein Puppenhaus war für ein Mädchen, sicherlich. Aber die Kinder dieser Anna, das waren doch zwei Jungs, oder? Oder irrte ich mich? Also zog ich den beiden Leichen die Plastiksäcke von den Köpfen. Eindeutig, das waren zwei Jungs. Mir kam ein Verdacht. Dass es noch ein Kind gab. Ein Mädchen, das hatte sich irgendwo noch versteckte. Oh ja, Kinder konnten so zäh sein!

Ich rief mit verstellte Stimme: “Polizei! Ist hier jemand?”

Dann war mir, als hörte ich etwas, von oben. Ich nahm meinen Gürtel ab und und stieg die Treppe empor in den ersten Stock. Nachher würde ich mich unbedingt duschen müssen, meine Frau hatte ja eine gute Nase.

Als ich endlich daheim war, bedankte sich meine Frau für die Kette, meine Tochter für das Puppenhaus, und mein Sohn, der war ohnehin in seinem Zimmer. Ich umarmte meine Frau und merkte, dass meine Hose ein wenig hinab rutschte. Ich hatte meinen Gürtel vergessen.

Planquadrat Couch

(Gelesen von Maria Edelsbrunner bei der Radiosendung „Planquadrat Couch“ ab 00:34)

Draußen der Nebel, und ich sitze seit viereinviertel Stunden auf meiner blauen Couch. Es dämmert. Ich höre mich atmen.

Ich mag diese Couch. Die Lehnen sind schräg. Man kann sich bequem nach hinten lehnen. Vor viereinviertel Stunden habe ich die Handflächen neben meine Oberschenkel gelegt. Dort sind sie immer noch. Wenn ich etwas bewege, dann hauptsächlich die Augen und nur wenig den Kopf.

Das Wohnzimmer ist geräumig.

Links die drei Fenster. Keine Vorhänge, keine Jalousien. Ich habe in der Regel nichts zu verbergen.

Rechts die Wohnküche.

Weiße Kästen, alles sauber. Ich habe in der Regel nichts zu kochen.

Hinter mir eine Wand mit dem gemalten Bild. Wenn ich mich umdrehte, könnte ich es sehen. Aber das tue ich lieber nicht. Vor viereinviertel Stunden ist es noch da gehangen. Wenn es jetzt fort wäre, es würde meine Situation verkomplizieren. Darum denke ich mir, dass es noch da ist.

Über mir eine weiße Decke.

Unter mir, zwischen Boden und Fußsohlenhaut, ein Teppich.

Vor einigen Wochen hat sie mich besucht. Sie hat gelacht. Und dann hat sie gesagt, du wohnst schon so lange da, es sieht aber so unbewohnt aus, wann kaufst du dir Möbel. Da habe ich mir diesem Couchtisch besorgt. Dreifüßig, mit der Glasplatte, die auf drei Saugnäpfen ruht.

Ich höre das Atmen.

Neben mir, auf der Couch, dort, wo ein anderer Mensch Platz finden könnte, liegt mein Telefon. 

Es hat geläutet, und ich bin aufgewacht, bin hierher ins Wohnzimmer gewankt und habe mich hergesetzt. Seither blinkt etwas grünliche an meinem Telefon, und ich sitze hier. Die Handflächen neben den Oberschenkeln am weichen, blauen Couchüberzug.

Ich denke mir etwas. 

Dann denke ich nichts mehr. Spüre nur den weichen Möbelstoff auf den Handflächen und den Teppich auf den Sohlen. Früher habe ich über vieles nachgedacht. Aber da habe ich noch Pickel gehabt. Die sind dann verschwunden.

Das Atmen wird lauter. Es ist fremdes Atmen.

Ich schaue auf die Saugnäpfe, auf denen die Glasplatte ruht. Wenn ich die Platte hebe, löst sie sich dann vor den drei Tischfüßchen? Ich beginne mich zu bewegen, um das auszuprobieren. Das Glas haftet nicht. Ich lege das Glas auf den Teppich, lecke die drei Saugnäpfe ab. Dann lege ich die Glasplatte wieder darauf, anpressen und warten. Zum Warten setze ich mich wieder auf die Couch. Es ist eigentlich alles so wie vorhin. Bis auf den Speichel zwischen Saugnäpfen und Glasplatte. Mein Telefon blinkt.

Das fremde Atmen will ich nicht mehr ertragen.

Ich stehe auf, mache vier Schritte zur Wohnküche und ich öffne einen Kasten. Da sind die weißen Plastikflaschen eingeordnet, mit je einem Liter Chlorid. Ich achte darauf, dass ich immer zehn habe. Man weiß ja nie, es kann schlimme Nächte geben. Chlorid erspart die Hausapotheke. Denn wenn alles sauber ist, gibt es keine Krankheit.

Ich schraube eine solche Flasche auf. Entleere sie in den Ausguss. Ein Aufschrei. Weißer Schaum dringt heraus, ich weiß, der Abfluss ist seit langem verstopft. Das Schreien verebbt, geht in Stöhnen über. Ich lege die Hand auf die Nirostaabwasch, spüre das Zittern. Wie von einem Fieberkranken mit Schüttelfrost. Drehe den Wasserhahn auf, Entspannung, das Zittern lässt nach.

Ich weiß, was da im Abfluss fest sitzt. Amorphe Masse, fett geworden. Es hat schwarze, glitschige Haut. Ich kenne es aus diesen Träumen, von denen ich nicht erzählen werde. Wenn die Säure seine Haut zerfrisst, gibt es Ruhe. Für eine Weile.

Ich könnte jetzt schlafen gehen.

Draußen der Nebel. Müsste die Sonne nicht schon aufgegangen sein? Stattdessen ein Grauschleier, nur gut, dass die Fenster dicht sind, sonst würde der Nebel eindringen, sich über mein Gesicht legen und mich ersticken.

Ich sollte die Wohnung verlassen.

Vorher gehe ich noch zur Toilette. Aus Gewohnheit. Vergesse, dass ich nicht hinein kann. Denn die Türe ist von innen abgesperrt, noch immer.

Dass ich nicht ins Klo kann, ist kein Problem. Ich benutze eben das Bad. Zwei Tage, nachdem sie sich eingesperrt hat, habe ich den Türspalt zugeklebt. Mit Isolierband. Wegen des Geruchs. Nach einer Woche ist etwas durchgesickert. Unter der Türe. Also habe ich Fensterkitt verwendet.

Seither keinen Damenbesuch mehr in dieser Wohnung.

Ich war gezwungen, meinen Stuhlgang anders zu organisieren. Dafür habe ich mir die Verschweißmaschine angeschafft. Eine praktische Sache für Lebensmittel, die man luftdicht in Gefrierbeutel verschweißen will. Aber ich habe in der Regel keine Lebensmittel. Und auch keine Gefriertruhe. Darum verwende immer zwei Gefrierbeutel, doppelt hält besser, denke ich, wegen des Geruchs. Die Plastikbeutel schlichte ich über den Chloridflaschen ein.

Ich verlasse die Wohnung.

Ich gehe in die Garage.

Starte meinen Wagen, kontrolliere, ob die Klimaanlage auf Umluft eingestellt ist.

Fahre durch die Stadt, parke, steige aus, halte mir ein Taschentuch vor das Gesicht, wegen des dichten Nebels.

Gehe in ein Haus, in den zweiten Stock. Ordination Dr. Müller steht hier. Ich trete ein, die Empfangsdame schaut mich an.

„Was haben Sie?“, fragt sie.

„Müde bin ich“, antworte ich.

Ich gehe weiter durch das Wartezimmer, wo schon vier Frauen sitzen. Ich gehe in das Behandlungszimmer, ziehe mir den weißen Mantel über und lese am Computer die Krankengeschichte der ersten Patientin. Ich bitte sie herein. Ich sage ihr, sie soll sich frei machen, wir machen jetzt einen Abstrich, das kennen Sie ja. Sie setzt sich auf den Stuhl, die Beine gespreizt. Jetzt erzählt sie mir unaufgefordert etwas privates, und dann meint sie wie froh sie sei, dass ich eine Gynäkologin sei und kein Mann, denn Männer könnten nicht so gut zuhören.

Ich werfe einen Blick auf ihre Vulva, ziehe ich mir Gummihandschuhe an und öffne den Schrank, wo ich die Chloridflaschen eingeordnet habe.

Benjamin Rosen würde sich um eine Stunde verspäten

(Gelesen bei der Radiosendung „Ganz schlimm wär was mit Rosen“ ab 00:27)

Benjamin Rosen würde sich um eine Stunde verspäten.

Die erste, die davon hörte, war Maggie, denn sie telefonierte mit seiner Sekretärin. Maggie sagte es Patricia, die eigentlich Patrick hieß, aber sich für diese Party umoperieren ließ, damit sie Benjamin Rosen vorgestellt würde und vielleicht gar in den inneren Zirkel aufgenommen würde – Patricia wurde schwindelig, und die Operationsnarben zogen und brannten.

Patricia ging auf die Toilette – und wankte wieder heraus, weil sie ja in die Damentoilette musste, und ja, das hier war eine Villa mit getrennten Toiletten – Patricia stellte sich vor den Spiegel und wechselte den Verband in ihrem Höschen, warf den blutigen Stoff in die Toilette, was eine schlechte Idee war, weil beim Spülen dann der Wasserspiegel gefährlich anstieg.

Eine Frau, die ebenfalls vor dem Toilettenspiegel stand, fragte Patricia, ob sie Maggies Überraschung sei. Patricia wusste nicht, was zu antworten war.
”Du magst Maggie, nicht wahr?”
“Sie war immer nett zu mir. Sie wird mir heute Rosen vorstellen”, sagte Patricia.
“Und dann?”, sagte die Frau.
Patricia wagte nicht auszusprechen, dass sie hoffte, in Rosens inneren Zirkel Eingang zu finden. Die Frau schien Patricias Wunsch zu ahnen und dann sagte sie: “Maggie braucht dich mehr als du glaubst.”
“Wieso?”, fragte Patricia.
“Hast du dir Maggies Körper angesehen? Sie ist welk. Wie soll sie mit zwanzigjährigen mithalten? Sie muss das also anders machen. Nicht mit ihrem eigenen Körper. Sondern mit Körpern wie deinem. Maggie überrascht Rosen ab und zu, mit so Parties wie heute, und das macht sie zum Quell an Lebensfreude und Frische, dass es nur so an Jugendlichkeit und Extravaganz für ihn sprudelt.”
“Und warum bin ich so wichtig?”
“Weil ohne dich, mein Schätzchen, heute, bei der Party, da ist sie nichts. Sie kann ihm nicht einmal die Bloody Mary reichen, sie kann ihm nur dich reichen.”

Patricia ging zurück in die Lounge, wo sich der DJ schon ein bisschen in Stimmung brachte mit wummernden Tönen, mit Panoramablick auf die nächtlich flirrende Stadt und auf den Pool, wo noch keiner voll bekleidet im Drogensuff umherschwamm, wo man sich den Spaß noch nicht machte, die abendlich magersüchtigen Männer hinein zu werfen, wo die Schwimmkerzen noch leise auf der Oberfläche trieben. Die Leute beim Pool nippten still an magenschonenden Säften, weil sie sich die harten Sachen für später aufhoben, wenn Benjamin Rosen hier in seiner Villa aufschlug und sie alle “Überraschung!” zu rufen hätten und es so richtig, richtig losging.

Patricia ging zu Maggie. Denn Maggie war der einzige Mensch, den sie hier kannte.
“Schaust nicht gut aus”, sagte Maggie.
“Ich hab die Regel gekriegt”, sagte Patricia und meinte es humorvoll.
“Wie? So gut sind sie im Habbert schon?”
Patricia nickte. Aber sie war nicht im Habbert-Sanatorium gewesen. Sie hatte sich stattdessen in Mexiko operieren lassen, weil sie das Geld von Maggie im voraus bekommen hatte – da sie ins billige Mexiko ausgewichen war, blieben ihr dreitausend Dollar. Aber nach dem Penis-Splitting musste was passiert sein, jedenfalls als Patricia aufwachte, waren die Ärzte allesamt fort aus dem Klinik, und der Weg entlang dem Highway war wohl schon für normal Frischoperierte schwierig.
Maggie war stets freundlich zu Patricia gewesen, hatte ihr vor der Operation sogar noch einen geblasen, aus einer Prosecco-Laune des Abschiednehmens heraus, so wie das unter Frauen eben üblich sei, wenn sich eine von ihnen von ihrem Penis trennte.

Und so wie man prüfte, ob die Getränke gut gekühlt waren, so wog Maggie nun mit den Händen Patricias volle Brüste.
Patricia trieb es die Tränen in die Augen und sie quiekte, dass sie sich auf die Lippen biss und ihr Lip-Gloss vermutlich verschmierte.
“Beherrschung, junge Dame”, flüsterte Maggie. “Er wird dir ja kaum die Hand schütteln, wenn er dich begrüßt, oder was hast du erwartet?”
Maggie ließ die Arme sinken, das Brennen der Brustschnitte blieb.
“Du blutest”, sagte Maggie. Patricia sah sich auf den Bauch.
Ein Hauch eines Flecks, länglich, dort, wo man ihr den untersten Rippenbogen herausgenommen hatte. Weil für Rosen Taille wichtig sei, wie Maggie betont hatte.
Maggie sah nun aus, als sei etwas zusammengefallen. Sie sagte: “Du vermasselst ja alles! Das Kleid kannst du vergessen.”
Patricia kam sich schäbig vor, Maggie so im Stich zu lassen.
“Komm, wir holen ein neues.”
“Danke”, flüsterte Patrizia.
Maggie bahnte sich einen Weg durch die gedrängten Gäste, Männer in dunklen Anzügen, Frauen in buntem Allerlei, ein paar Freaks standen auch herum, fast wie beim Check-In der Mexikanischen Klinik, wo Patricia auch nicht wusste, was sie sagen sollte, zu den anderen dünnarmigen Männern, die genauso Angst hatten. Patricia folgte Maggie über eine Treppe und versuchte dabei, ihre Schritte in den Knien abzufedern, damit das zweifache Gewicht, das sie nun unter der Brust trug, nicht allzusehr an den Wunden zerrte.
Maggie führte Patricia in ein Schlafzimmer voll von rosigem Samt und mit einem Doppelbett, sicherlich Wasser in den Matratzen, und ein Fernseher erbrachte stumm Nachrichten, von Krieg und Flut. Maggie ging weiter in einen Schrankraum, ergriff nach einigem Umhergehen ein pinkes Stück Stoff, das auf einem Kleiderhaken hin- und herschwang. Maggie hielt es ihr vor das Gesicht: “Beeil dich, vielleicht war das eine Finte seiner Sekretärin, und er kommt doch pünktlich. Rosen kennt man nie wirklich.”
Sie eilte hinaus.
Patricia also stellte sich vor den Spiegel im Schrankraum, weißes Licht beschien ihre Locken, und sie schälte sich aus dem Kleid, das dann wie ein Fetzen an ihren Knöcheln hing. Im Spiegel sah sie ihren Körper mit den rosa Strichen, sie verschmierte etwas Blut auf ihrem Bauch, und im Hintergrund, im rosa Schlafzimmer, lief der Fernseher mit den Bildern eines Autowracks und ein Laufband mit der spiegelverkehrten Botschaft: Pastor Benjamin Rosen, Gründer der Kirche der Wiederkehr, ist tot.

Patrizia setzte sich nackt auf das Bett, und es gab nach, in Wellen, die an ein Meer erinnerten.

Die Spezialität der Insel

Datei: 1661 van Kessel Stilleben mit Fischen und Meeresgetier anagoria.JPG

(Gelesen bei der Radiosendung „Reif für die Insel“ ab 00:47)

Man darf nicht einfach Schnitzel essen, wenn man am Meer ist, sagte Maragarita. Man muss das essen, was aus dem Meer kommt, wenn man am Meer ist, sagte Margarita. Sie war die berühmteste Literatin von uns allen, also hatte sie meist recht. Wir waren sieben Autoren, wir machten Urlaub auf der Insel, das bedeutete stundenlange Schreibsitzungen voller Schweigen, danach schallende Kritikstunden und Rechtfertigungsmonologe.

Ich begann darum also, Kalmare zu essen, weil Fisch – also, die Fische, die ich hier bestellte, schauten mich vom Teller her an mit so einer Verzweiflung, und wenn ich Fische nicht richtig tranchierte, also ihnen auf rechte Weise das Rückgrad aus dem Leibe zog, dann blieb dieser Geschmack nach sonnencremigen Haaren, denn die Fische hier waren bekannt für ihre traurigen Blicke und ihre hochgezogenen, buschigen Augenbrauen.

Aber ein Kalmar, der war wie Zwiebelringe, der war paniert, der kam mit Pommes und der schmeckte wie ein Schnitzel, weil ein schlechtes Schnitzel auch leicht sauer war.

Nachdem wir also eineinhalb Wochen auf der Insel geschrieben hatten und ich gelernt hatte, im Meer auch die umfangreichste Notdurft zu verrichten – weil Margarita gemeint hatte, wir sollten die Klos sauber halten – da kam Isolde mit einem Vorschlag. Dazu musste man wissen, dass sie die sonnigste aus unserer Gruppe war, ein hüpfendes esoterisches Wesen, das voller Piepslaute sogar an den heißen Inselsteinen Schönheit entdeckte.

Isolde hatte immer gute Pläne, und darum also machten wir einen Ausflug nach Gol. Dazu fuhren wir mit Peters Kohletransporter die Uferstraße entlang, vorbei an den Bordellen, vor denen silbrige Frauen standen, die ihre Fischeuter sehnsüchtig hochreckten. Wir bogen ins Landesinnere, und Isolde teilte mit uns ihr Wissen über Gol, das daraus bestand, dass es hier ein Restaurant gab, das für seine Pekas berühmt war. Wir kamen durch ein Tal mit spärlichen Häusern, die an fortgeschrittenem Betonfraß litten, dann verwinkelt steil empor. Wir betraten einen Gastgarten, der im Inneren eines Burghofs lag. Aber eine Seite der Burg fehlte, darum gab es Aussicht bis an das ferne Meer. Ein Tisch war gedeckt, es gab sieben Blumenteller und sieben Weingläser.

Ein Mann kam, er stellte sich uns als Koch vor. Da Isolde das Menü vorbestellt hatte, gab es nichts zu diskutieren und zu deuten. Der Koch tauchte ins Schwarze der Burg ab und kam mit einem Teller heraus, auf dem Streifen aus Dünnem lagen, und eine Flüssigkeit aus Gelblichen rundherum. Es gab Brot, das alles schmeckte salzig, und wir lachten, weil Margarita und Isolde auch lachten.

Ich machte auch einen Bissen. Nun aber war das Meer viel zu weit weg, darum musste ich eine Toilette suchen. Ich zitierte also eine von Isoldes Oden an das blaue Meer, weil dort das Gack-Wort vorkam, und im allgemeinen Lachen stand ich auf und ging, weil ich nun annehmen konnte, dass jeder wusste, was ich brauchte, ohne aber Margarita oder Peter durch direktes Ansprechen körperlicher Themen irritiert zu haben.

Ich ging ins Innere, und dampfende Dunkelheit umfasste mich. Ich fragte nach der Toilette. Der Koch stand vor schwarzen Kochtöpfen und rührte. Er schickte mich empor. Ich fand ein Zimmer mit tapetenhaften Wandmalereien, mit Teppichen, mit vergrauten Fotografien ernster Menschen, aber da war keine Toilette. Also ging ich weiter, ein Schlafzimmer offenbar, zwei zu kleine Betten, im moralisch passenden Abstand nebeneinander. Da war eine furnierte Holztruhe, und von ihr ging ein Gefühl der Verbundenheit aus, das ließ mich die Truhe aufklappen. Da war ein weiterer Deckel, den galt es aufzuschrauben, und unter diesem Deckel war ein Metalleimer. Ich setzte mich, und als es sich aus mir befreite, hob ich den Blick zu den Wandfotos, zu diesen Menschen, die zu mir schauten. Stehkrägen, Kleider bis zum Hals, aber keisrunde Male auf Wangen und Stirn, wie wenn sie sich glühende Kaffeetassen auf die Gesichter gedrückt hätten. Ich suchte die Spülung, die es natürlich nicht gab, also versperrte ich die Truhe, humpelte – weil meine Hose noch an den Knöcheln hing – hinüber an ein Bett, und am Bettzeug wischte ich mir den Hintern sauber. Ich zog die Hose hoch und dann zurück ins Dunkle, wo der Koch an der Peka arbeitete. Ich sah an dem Mann etwas weißliches, das über seiner Schulter hing, das er in den Topf hineingleiten ließ, bis sich nur mehr Ausläufer an seiner Schulter festhielten – die er dann abriss und hineindrückte und einen Deckel darüber presste und zu mir herlächelte. Ich lächelte zurück, auf der Insel waren die Menschen so freundlich.

Ich trat zu dem Mann, nicht, weil mich seine Arbeit Interessierte, sondern aus rein literarischem Reflex, sprich, alles, was seltsam war, galt es einsammeln, damit ich meinen aktuellen Roman auffüttern konnte, vielleicht gab Koch zwei Seiten her. Er führte mich an den Küchentisch. Dort lag etwas weißliches, mit einem Kopf so groß wie ein Fußball, und mit Armen so lang wie … wie Arme eben. Darauf waren die Saugnäpfe, und als ich in das Gesicht des Kochs sah, erkannte ich jene roten Male von Saugnäpfen, die ich auf den Fotos vorhin gesehen hatte. Der Kalmar atmete noch. Seine Augen waren Blau, und sie trugen eine Traurigkeit, wie ich sie bislang nur von den hiesigen Fischen kannte. Zwischen seinen Beinen floss Blut.

“Ich koche nur weibliche Kalmare”, sagte er.

Ich deutete auf den Kalmar.

Der Koch sagte: “Nein, das ist ein Männchen. Ich habe es nur für die Zubereitung gebraucht. Ich schicke es jetzt ins Dorf, zum Frittieren. Bei mir kommt es in keinen Topf!”

“Schmecken weibliche Kalmare besser?”, fragte ich.

Der Koch sagte: “Nun in ganz bestimmten Situationen. Ich lasse die Kalmare im Salzwassertank kopulieren. Und während sie den Akt vollziehen, fische ich sie raus und dann hacke ich sie voneinander los. Das braucht den richtigen Moment, damit der Penis in der Kalmarin drinnen bleibt.”

Ich schaute dem männlichen Kalmar zwischen die blutigen Beine und dann ging ich hinaus ins Helle, zu den anderen. Ich setzte mich. Ich wartete und schaute aufs weit entfernte Meer. Der Koch brachte schließlich die Peka. Wir machten erste Bissen und ergingen uns in seufzendem “Ah” und “Oh” und “Hm” und priesen den Koch.

“Es ist sooo gut”, frohlockte auch Isolde. “Es schmeckt wie …”

Wir alle warteten, denn sie hatte ihren poetischen Moment, das erkannten wir an den hochgerollten Augen. Sie suchte nun nach einem Wort, einer ihrer berühmten Vergleiche kündigte sich an, man müsste eigentlich immer mit einem Diktiergerät neben ihr hergehen. Sie kaute umher, dann nahm sie noch einen Bissen, und dann kam ihr Ausruf: “Ich weiß, wie es schmeckt!”

Sie kicherte.

“Nun, sag schon, wie schmeckt es?”, fragte Margarita.

“Wie Sperma”, sagte Isolde, und wir lachten kollektiv ob all der Poesie, die uns umgab auf dieser herrlichen Insel.

Anfang 20 (Radiosendung)

Zum Anfang des 20 Jahre Grauko-Jubiläumsjahres haben wir uns ein Thema gewählt, das zum Rückblick auf eine Zeit einlädt, die mit ein paar Jahrzehnten Abstand gerne verklärt gesehen wird. Und so drehen sich die Texte der heutigen Sendung um ein fremdes oder das eigene Ich der Autorinnen und Autoren mit Anfang 20, die Texte, die sie zur damaligen Zeit geschrieben haben oder auch, was zu Beginn des 20. Kapitels ihres Opus Magnum zu lesen ist.

Musikalisch untermalt und moderiert aus dem Studio, wünschen wir allen Hörern ein frohes 2019!

Texte von Thomas Wollinger, Maria Edelsbrunner, Margarita Kinster, Kuno Kosmos, Peter Heissenberger, Veronika Unger und Isolde Bermann.

Moderiert und kommentiert von Isolde Bermann und Peter Heissenberger.

Ausgestrahlt am 8. Jänner 2019 auf Radio Helsinki.