Ich habe geschrieben. Gut. Lange. Viel. Und nun will ich weiter! Alles habe ich mir bereitet, nichts ist anders als gestern, und gestern hatte ich doch so einen tollen Lauf…
Ablenkungen sind plötzlich überall. Ich reagiere mit Wut auf das, was ich gestern mit Gleichmut vorüberziehen habe lassen. Die Wut ist ungerecht. Denn sie gebührt mir. Weil ich ins Stocken geraten bin. Weil ich nicht wahrhaben möchte, was ist.
Ich klammere mich an Worten fest. Quäle mich von Satz zu Satz. Ich produziere Worte, von denen ich jetzt schon weiß, dass sie später gekürzt werden.
Ich sollte aufhören. Etwas anderes tun. Das Schreiben loslassen.
Das ist wie wenn ich die Medizin habe, sie aber nicht nehmen will.
…
Nun endlich schlage ich den „Radetzkymarsch“ auf und lese. Ich komme zur Ruhe.
Dies ist ein Kapitel aus meinem Romanprojekt „Violanum“. Timon, der Ich-Erzähler, lebt mit Dagmar, ihrer 14jährigen Tochter Angelika und dem achtmonatigen Pflegekind Dorian in Friedstatt. Timon hat übrigens keinen Geruchssinn. Zu Besuch kommt Christian, Angelikas neuer Freund.
Es kam der Tag, an dem Christian bei uns zum Abendessen eingeladen war. Ich pürierte die Kartoffel mit dem Stabmixer, Dagmar kümmerte sich um die faschierten Laibchen. Angelikas Lieblingsspeise. Und auch meine. Ich mag alles, was ich nicht schneiden und beißen muss. Der Marillenkuchen war längst fertig und stand – noch warm – auf der Arbeitsplatte. Angelika kam herunter, in Jeans, und dann kam sie wieder, aber in einem Rock diesmal. Einmal waren ihre Lippen rötlich, dann wieder trug sie transparentes Gloss. Sie fragte Dagmar, wo denn die Kerzen wären. Und keiner von uns dürfte unter irgendwelchen Umständen in ihr Zimmer! Dagmar reichte ihr eine Schachtel und sagte, sie solle aufpassen, dass sie das Haus nicht abfackele.
Dagmar flüsterte mir zu: »Hast du ihr Parfum gerochen? Als hätte sie darin gebadet.«
»Ich habe nichts gerochen.«
»Aber es riecht doch so stark … ach ja. Entschuldige, bitte.«
»Liebe heißt, sich niemals entschuldigen zu müssen.«
»Love Story«, sagte Dagmar. »Endet nicht gut.«
Dorian krabbelte uns zwischen den Beinen umher und wollte beim Kochen mithelfen. Der Stabmixer und das spritzende Kartoffelpüree hatte es ihm angetan. Ich hob ihn zum Herd, damit er die brutzelnden Fleischleibchen mit dem Bratenwender wenden konnte. Ich gab ihm zu kosten, so lange, bis er vorab schon satt war. Dann gab ich ihm noch sein Fläschchen. Beim Saugen rieb er sich die Augen. Dagmar bat Angelika, den Tisch zu decken, aber Angelika, irgendwo oben, rief, sie habe keine Zeit jetzt. Als Dorians Fläschchen leer war, wickelte ich ihn und brachte ihn in sein Zimmer. Ich blätterte mit ihm noch ein Buch über Tiere im Wald durch, dann gab ich ihm einen Kuss auf die weiche, warme Stirn und bettete ihn im Gitterbett neben seine Stoffsonne. Ich ging hinaus. Er fing zu weinen an. Er weinte all die Minuten, während denen ich unten im Wohnzimmer den Esstisch deckte. Sein Weinen war kein zorniges oder unwilliges, sondern dieses Tränenlose, und es klang eher wie ein Abschiednehmen von einem wunderbaren Tag, und darin war etwas von der Melancholie, die in jedem Sonnenuntergang mitschwang. Ein Tag weniger im Leben, und gleichzeitig eröffnet eine frische Nacht die Chance auf einen wunderbaren Morgen. – Er lachte mich an, als ich wieder oben bei ihm war, um nach ihm zu sehen, um ihm den Rücken zu streicheln. Lachen und Weinen in Dorian – beides so federleicht nebeneinander, so wie eben mehrere Stimmungen in einem Menschen zur selben Zeit sein konnten. Mit dem Unterscheid, dass Dorian seine Stimmungen mit uns teilte, spontan und ohne Gedanken. Er brabbelte, ich sagte ihm, dass er Recht hatte. Nach ein paar Minuten war er leise, als habe er sich vom Schlaf überzeugen lassen.
Unten, im Wohnzimmer, wurden mittlerweile die Minuten knapp. Angelika ging auf und ab, und als sie zu ihrer Mum sagte, sie sollte durchlüften, wegen des Küchengeruchs, da reichte es Dagmar, und sie schickte ihre Tochter hinauf: »Dein Stress ist ja nicht auszuhalten.«
Fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit stürmte Angelika hinunter – »Er kommt«, sagte sie mit versuchter Zurückhaltung. Es klingelte.
»Willst du nicht aufmachen?«, fragte Dagmar.
»Meinetwegen«, sagte Angelika.
Christian kam herein, mit weißem Hemd und einem Pullover um die Schultern. Er brachte eine kleine Kühlbox und reichte sie Dagmar.
»Danke«, sagte sie und öffnete den Deckel. Sie hob eine Plastikschüssel heraus. Darin lagen T–Bone–Steaks in Öl.
Christian sagte: »Das ist eine Geschenk von meinem Vater. Die Steaks sind seit drei Wochen eingelegt. Die sind so mürbe, die kann man fast schon ohne Messer essen.«
Dagmar dankte und schob das Plastik in den Kühlschrank.
»Die Kühlbox muss ich heute wieder mitnehmen, die gehört meinem Vater«, sagte Christian und trug sie hinaus, in den Vorraum, und stellte sie dort ab, wo er seine Schuhe hingestellt hatte. Wohl, um die Kühlbox ja nicht zu vergessen. Wir setzten uns zu Tisch. Dagmar und ich nebeneinander, gegenüber Christian und Angelika. Ich teilte das Püree aus dem dampfenden Topf aus, und als es zu den Faschierten Laibchen kam, sagte Christian: »Für mich nicht, bitte.«
»Warum denn nicht?«
»Ich esse Fleisch nicht so gerne.«
»Warum hast du mir das nicht gesagt?«, herrschte Dagmar ihre Tochter an.
»Es tut mir leid«, sagte Christian.
»Es geht nicht um Sie, Herr Christian, es geht um Angelika. Die ganze Zeit liegt mir meine Tochter mit allem Möglichen in den Ohren, aber das Wichtige erfahre ich natürlich nicht. Etwas Ayurvedisches hätte ich kochen können, oder … es tut mir leid.«
Angelika sagte: »Mum, ich habe es nicht gewusst. Echt nicht.«
»Ich mag Kartoffelpüree, wirklich«, sagte er.
Dagmar sprach das Tischgebet, ich verschränkte meine Finger unter dem Tisch und senkte den Blick, bis sie fertiggesprochen hatte. Als jeder von uns seinen ersten Bissen getan hatte, fragte ich: »Die Idee, uns Steaks mitzubringen, die hatte dein Vater, nicht wahr?«
Christian nickte. »Ich kann ja nicht mit leeren Händen das Haus einer Gefährtin betreten, hat mein Papa gesagt.«
Ich fragte: »Ist dein Vater ein Gefährte?«
»Nein.«
Er machte einen Bissen vom Kartoffelpüree und sagte: »Das schmeckt ausgezeichnet.«
Und dann sagte er: »Ich habe Papa gesagt, dass Angelika eine Gefährtin ist. Da hat er gesagt, Christian, pass auf, dass du das ja gut hinkriegst.«
Dagmar hielt sich die Hand vor den Mund, um ihr Grinsen zu verbergen. Christians Blick bewegte sich tastend zwischen Püree, Angelikas Händen, seinem Glas Orangensaft, Dagmar und mir hin und her. Und in dieses Schweigen hinein sagte ich, wie toll ich es fand, dass Christian nun bei uns sei. Und dass Angelika so viel Positives erzählt habe, und so fragte ich ihn nach diesem und jenem, bis seine Antworten flüssiger kamen und er lächelte. Er erzählte sogar, dass er nach der Matura Veterinärmedizin studieren wolle, um den Tieren ein menschenwürdigeres Dasein zu geben. Ja, er sagte wirklich »menschenwürdig«.
Beim Marillenkuchen erzählte ich vom Vorschlag des Abts, eine Gedenkfeier für Alexandra zu machen. Dagmar fand die Idee sehr gut, typisch sei das für Abt Perntaz, der einem ja stets zu helfen wisse. Sie kannte ihn ja noch von früher. Und fand es schade, dass der Abt nun der Abt war, und dass sie es viel lieber gehabt hätte, er wäre Seelsorger in Friedstatt geblieben. Weil er zuhören konnte.
»Aber er ist schon ein verschlossener Mensch«, sagte sie.
»Wen meinst du?«
»Na, Abt Perntaz. Er ist offen, das merkst du an seinen Fragen. Aber er ist auch verschlossen. Mehr als zwei Sätze am Stück redet er nur, wenn er eine Messe liest«, sagte Dagmar.
Angelika sagte, dass sie bei der Feier für Alexandra dabei sein wolle. Aber mit Christian. Und Christian fragte, wer Alexandra war. So erzählte ich ihm von Bettina und von meiner toten Tochter, und da schaute er mir in die Augen, zum ersten Mal an diesem Abend. Dann war das Essen fertig, und Angelika fragte, ob sie nun ins Zimmer gehen könnten. Dagmar nickte. Angelika stand auf. Christian auch – aber Angelika sagte, er solle erst in zehn Minuten nachkommen.
Angelika ging hinauf. Christian blieb sitzen.
Ich fragte ihn, wie es denn käme, dass er Vegetarier sei. Bei einem Vater, der Fleischer ist, doch sicherlich nicht einfach.
Christian sagte: »Ich bin leider kein Vegetarier. Daheim geht das nicht. Mein Vater ist sehr engagiert. Biologische Landwirtschaft. Nachhaltige Viehzucht. Er hat gute Kontakte zu den Bauern und unterstützt sie sehr.«
Er nahm seinen Pullover, den er auf seine Stuhllehne gelegt hatte, in beide Hände. Hielt ihn mit beiden Händen vor seinen Bauch. Er sagte: »Ich war dreizehn. Da habe ich meinen Vater begleitet. Zu einem Bauern. Der hatte seine Kühe auf einer Alm. Es war ein wunderschöner Nachmittag mit Wolken und Sonne und Kühen und mit einem Geräusch.«
Christian ballte eine Faust, legte sie auf die Tischplatte. Und pochte. Tock. Tock.
»Ich habe mich umgeschaut. Wo so ein Geräusch herkommen konnte. Da war eine Kuh. Die stand an einem Gatter und schlug mit der Stirn gegen den Holzpfahl. Tock. Ich habe gefragt, was mit der Kuh los ist. Tock. Vor zwei Tagen hatte man ihr Kalb abgeholt.«
Christian beugte sich vor und flüsterte: »Man muss doch die Dinge selbst gesehen haben, nicht wahr? Aus eigener Anschauung. Das ist wichtig. Darum war ich einmal auf einem Schlachthof.« – Er atmete ein. Er knetete den Pullover. Er atmete aus. – »Ich habe das Töten gesehen. Ich habe das Schreien gehört. Ich habe das Bluten gesehen. Und das schlimmste war: ich habe sie gerochen. Diese Angst. Ich habe die Angst gerochen. Das ist nichts, was ich Angelika gleich erzählen wollte, oder? Das ist doch okay, oder?«
Ich nickte. Dagmar nickte.
»Aber bitte, sagen Sie meinem Vater nicht, dass ich kein Fleisch mag, ja?«
Ich wollte etwas sagen, aber dann nickte ich doch nur. Dagmar sagte: »Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Ihr beide könnt euch ruhig duzen«, sagte ich und wies darauf hin, dass Dagmar mich monatelang und sehr hartnäckig gesiezt hatte. Dagmar lächelte.
»Ich bin Dagmar« sagte sie.
»Christian«, sagte Christian. Er räusperte sich. Er sagte: »Das Kartoffelpüree war ganz ausgezeichnet, Dagmar.«
Als Beispiel zwei Korrekturen desselben Manuskriptteils. Es gibt Fehler, die beide Leserinnen gefunden haben. Aber es gibt es Fehler, die die jeweils andere Leserin nicht aufgespürt hat. Ich hatte insgesamt 6 Korrekturlesende bei meinem Roman, und jede(r) hat Fehler gefunden, die andere nicht gefunden haben.
Hmm. Das bedeutet: es werden noch jede Menge übrig sein.
Wärmend, wie viele liebe Leute auf meinen Blogeintrag zur Titelsuche reagiert haben, entweder per Posting, per E-Mail, telefonisch oder am Twitter…
Und was ist herausgekommen?
Hmm.
Die Meinungen sind unterschiedlich. Mehr noch, sie erscheinen unverträglich. Jeder Titelvorschlag hat glühende Anhänger und erbitterte Gegner. Sogar eineiige Zwillinge vertreten gegenteilige Meinungen (Meine Mutter und meine Tante haben mir – unabhängig voneinander – E-Mails geschickt – Danke übrigens).
Unverträgliche Meinungen sind gut. Sagt schon Oscar Wilde:
Meinungsverschiedenheit über ein Kunstwerk zeigt, dass das Werk neu, vielfältig und bedeutend ist. Wenn die Kritiker uneins sind, ist der Künstler einig mit sich selbst.
Es liegt also ganz alleine an mir und bei meinem Bauchgefühl.
GRAUKO-Treffen in Graz. Kuno Kosmos, einer der Erstleser meines Romans, schlug eine Änderung des Titels vor. „Violanum“ war ihm zu Thriller-artig. Seine Alternative:
Viola auf dem Steine
Das klingt weicher und trägt etwas Bedächtigkeit in sich. Der Titel ist zudem recht perfid: verspricht er eine Frau, die sitzt und vielleicht Gedanken nachgeht. Tatsächlich fußt er auf folgendem Stephanbrief
27. Stephanbrief »Viola auf dem Steine«
Viola wurde zu einer Magd geführt.
Die lag in einem Stall und blutete aus dem Leib.
Die Stirne heiß, die Stimme erschlafft,
der Blick schon trübe.
Viola setzte sich neben die Frau auf einen Stein,
labte die Magd mit Wasser und Kräutern
und stellte ihr die Kerze in die Hände.
Der Priester nahm die Beichte ab.
Die Kerze war noch nicht erloschen,
da öffnete die Frau die Augen,
erblickte Viola auf dem Steine und rief:
»Hier darfst du nicht sitzen, denn mit diesem Stein
habe ich mir mein Kind im Leib erdrückt.«
Als es vorbei war, schleppte Viola den Stein
hin auf den großen Platz und sprach:
Nie tötet eine Frau ihr Kind aus freien Stücken.
Denn es ist der Teufel, der uns Netze auslegt,
in die wir fallen und uns nicht mehr zurechtfinden,
und uns nicht mehr um die Liebe kümmern.
Deshalb nehmen wir fortan alle Kinder als die unseren auf,
die an uns herangetragen werden.
Wir fragen weder nach Namen noch nach Grund.
Jede Frau, die hier gebären will, sei uns willkommen,
egal, ob sie das Kind behalten kann oder in unserer Obhut lässt.
Denn unsere heilige Aufgabe sind die Kinder –
die müssen wir aus den Netzen des Teufels lösen.
Über die Sünden ihrer Mütter und Väter zu richten,
obliegt alleine unserem Herren.
Ich mache weiter mit dem Schreiben, nach zwei Monaten Pause, wie ein Verirrter, der geglaubt hat, er bräuchte keinen Kompass mehr, und nun ist er zurückgekrochen, an die Stelle, wo er das Ding leichtfertig fort geworfen hatte.
Ich tippe das hier, und wie eine Horde kreischender Affen tanzt es in meinem Kopf. Natürlich kann ich nicht mehr schreiben wie vor zwei Monaten – Schreiben ganz allgemein bedeutet, nie mehr so schreiben zu können wie vorhin, denn mit jedem Satz, da verbrennt doch etwas! Aber seine Asche ist so fruchtbar, dass auf ihr der kommende Satz spießt. So kann ich unmöglich meine Worte an Bettina richten, nach allem, was nun passiert ist. Das heißt nicht, dass sie für mich tot ist, sondern dass sich Dinge eben geändert haben.
(Dies ist ein weiteres Opfer für den Schreibgott, denn auch für dieses Textstück sehe ich keine Verwendung mehr im Roman.)
Nach der mehrfachen Rückmeldung, wonach der Einstieg etwas zäh ist, habe ich gestrichen. Schöne Stellen, finde ich. Aber sie leisten eben nicht die Geschwindigkeit, die der Roman eingangs braucht.
Und wenn ich abends heimkomme, so wie jetzt, und die Gedanken kommen wieder, und die Leere ist um mich, und ich kann dich nicht anrufen, dann kann ich immerhin schreiben. Denn beim Schreiben brauche ich mich nicht gegen Gedanken zu wehren – es genügt, sie mit dem blinkenden Cursor zum nächsten Wort weiter ziehen zu lassen, und irgendwann schieben nachfolgende Sätze die vorigen Gedanken ohnehin über den oberen Bildschirmrand. So ist es. Und Punkt. Ich brauche mich nicht mehr darum scheren, dass meine Sätze einen Zusammenhang ergeben. Die Gedanken sollen nur endlich über den Bildschirmrand hinaus gleiten. Punkt. Auch am Ende von diesem Satz steht ein Punkt. Und nach dem Punkt kommt ein Satz, der nur einer von unendlich vielen möglichen Sätzen ist – aber auf einen Punkt kann höchstens ein Satz anschließen. Genauso verhält es sich mit dem Wort: Jedes einzelne Wort nimmt all den richtigen Worten ihren Platz weg. Aber ich gebe nicht auf. Denn wenn ich schreiben kann, irgendetwas, dann kann ich doch genauso gut auch das Wesentliche erfassen. Dein Wesen. Das ist wie beim Lotto: irgendwann könnten die richtigen Zahlen kommen. Genauso können mir auch die richtigen Worte kommen. Denn wenn ich alles klar habe, für mich, dann wird es mir wieder gut gehen. Denn wenn ich dein Wesen beschreiben kann, wenn ich weiß, was das war, mit uns beiden, ja dann weiß ich automatisch, was ich bin, denn ich bin das, was von uns übrig ist. Es ist so einfach.
Ja, das ist es: ich schreibe gegen die Unwahrscheinlichkeit, dass ich mich ausdrücken kann. Und dich. Und uns ausdrücken kann. Jeder Punkt hilft mir dabei, eröffnet mir die Chance auf den nächsten Satz. Ein Neubeginn. Hoffnung, dass nun der Satz kommt, der ins Schwarze trifft. Der mein Leben vermisst – ich meine vermessen und nicht vermissen. Kannst du mir folgen? Nein, natürlich kann mir keiner folgen. Dort, wo ich jetzt bin, ist mir keiner hin gefolgt. Jedenfalls kann ich keinen sehen. – Ja, Bettina, ich habe einen Schuss. Ich weiß, Du hast ja schon immer gewusst.
Egal. Hier nun jener Satz, der mein Leben vermisst: Ich habe dich geliebt, und jetzt bist du tot. – Nein, das kann nicht sein, denn mir kommt vor, als hätte man dich mir erst vorhin aus der Umarmung gerissen, also liebe ich dich immer noch, es müsste lauten: du bist tot, und ich liebe dich immer noch … Ich scheitere beim Niederschreiben. Mein gewohntes Ringen mit den Worten. Zum Beispiel deine Umarmung: Ich trage zwar noch dieses Gefühl in mir – wenn ich die Augen schließe, spüre ich dich an meinen Armen, dein Gesicht deutlich in meiner rechten Halsbeuge, der Druck deiner Finger durch meine Jacke, dein Atem – aber es sind nur Äußerlichkeiten, die ich zu Papier bringe. Vielleicht, weil ich nicht genügend Worte kenne. Ich gehe kaputt, wenn ich so weitermache. Ich muss etwas tun.
Nun ist es getan. Die Änderungen sind durchgeführt, um aus dem „Violanum“ den dritten Teil einer Trilogie zu machen.
Nächster Schritt: Ich arbeite die Feedbacks der Erstleser ein. Der Beginn ist zu straffen, ein paar inhaltliche Dinge klarer zu machen. Und an die 300 Tippfehler habe ich zu korrigieren.
War da nicht etwas, auf dem Weg zur Trilogie, das es ebenfalls noch bräuchte?
Hört auf diese Türen! Die ihre klagenden Töne immer noch von sich geben, da sind die Schritte schon weit fort.
Und dieses Treppenhaus! Jede Treppe weit wie ein Versprechen, denn oben ist es hell, so lockt es mich hinauf, von einem Stockwerk ins nächste, und ich will weiter, obwohl die Stockwerke mit jedem Mal etwas niedriger werden und ich ahnen könnte, dass ganz oben eigentlich nichts ist.
Die bedeutendste Beanstandung: Sie war erst ab Seite 15 voll im Roman drinnen – da will ich mir noch was einfallen lassen, will andere Meinungen einholen, vielleicht ist da was zu kürzen. Und geschätzte dreihundert Tipp/Rechtschreibfehler hat sie mir angestrichen.
Und auf den Rand von Seite 241 schreib sie: „Wahnsinn – das alles war eine der besten Szenen, die ich je in meinem Leben gelesen habe!“