Im Hintergrund hörst du das Zirpen der Zikaden und – ganz leise – die Diskussionen von ein paar GRAUKO-Autoren.
Hier die Position meiner Kamera:
Hier geht es um die konkrete Arbeit an meinem aktuellen Romanprojekt.
Im Hintergrund hörst du das Zirpen der Zikaden und – ganz leise – die Diskussionen von ein paar GRAUKO-Autoren.
Hier die Position meiner Kamera:
Das müsst ihr euch so vorstellen: Ich sitze mit Eva Krappinger letzten Samstag vor dem Breakfastclub und erkläre, wie ich das vorhabe, das mit dem kommenden Roman. Dabei steht meine Kamera auf dem Tisch, filmt die Welt und ihre Geräusche und nimmt nebenbei auch auf, was ich über Plan 204 erzähle.
Warum er „204“ heißt?
Weil es der gefühlte zweihundertvierte Plan ist, wie ich schreiben möchte.
Von zys54 erhielt ich auf youtube folgenden Kommentar zu meinem Plan, wie ich schneller vorankommen möchte:
hm… ich selber kann nicht schnell arbeiten und will das auch gar nicht ;) Ich glaube ein guter? Roman braucht sehr viel Zeit und ich werde wohl länger als 6 Jahre brauchen denk ich, setzte mich aber auch gar nicht unter Druck. In eine Geschichte nachträglich noch Charaktere einfügen… kann ich mir nicht vorstellen, dass das funktioniert, bin ich gespannt :D Was ich mir aber gut vorstellen kann, ist, immer verschiedene Kapitel des Romans zu schreiben, damit man mehr Abwechslung hat ;)
Mein Ansporn ist, dass ich Stillstände reduziere. Dass ich stets eine Stelle im Roman habe, wo ich schreiben kann. Denn konkrete Sätze zu schreiben, das nährt mich. Dass ich nicht warten muss, bis ich mühsam etwas geklärt habe -wobei mir das mühsame Klären nicht erspart bleibt.
Ich will etwas Kurzes haben, das aber in sich ein stimmiger Roman ist (Version 1.0). Und den will ich erweitern, auf eine Art und Weise, um die ich mich nicht kümmere, wenn ich Version 1.0 schreibe.
Zum nachträglichen Einfügen von Charakteren: Das hat funktioniert. Mein erster Roman, Die Archäologin, hatte ursprünglich nur den halben Umfang. Erst auf Anraten von Agenten habe ich das Volumen verdoppelt, indem ich mehr Gegenwartscharaktere eingeführt habe. Und dann hat der Verlag gemeint, ich möge doch einen frühgeschichtlichen Handlungsstrang einführen, also: noch mehr Charaktere. Das hat gut funktioniert.
Und: Ich weiß ja auch nicht, was letztlich daraus wird – aber wir werden es sehen!
Danke, zys54, für dein Interesse!
Ich will bis Ende diesen Jahres meinen Roman „Das tiefe Dorf“ zu einem großen Teil fertig haben. Aber wenn ich chronologisch vorgehe, wird mir das nicht gelingen, denn chronologisches Arbeiten hindert mich.
Daher muss ich anders arbeiten.
Darum geht es in diesem Video. Darin skizziere meine neue Taktik.
Ich begegnete Bettina im Keller des La Cabaña, und schon an ihrem ersten Blick spürte ich, dass sie mich nicht wiedererkannte – ja wie denn auch, ich war ja erst neun gewesen, als sie mich verlassen hatte. Ich ein Bub, aber sie immer schon Frau gewesen, und heiraten hatte ich sie wollen. Aber im Laufe der Jahre dachte ich eigentlich überhaupt nicht mehr an Bettina. Außer, wenn im Supermarkt Kirschenzeit war – ich war so gern mit ihr auf unseren großen Kirschenbaum geklettert und hatte Kirschen gebrockt, damit uns die Waltraud einen gezogenen Kirschenstrudel machte. Oder wenn ich im Fernsehen etwas über Ausgrabungen sah – denn Bettina hatte Archäologie studiert, wie ich von Vater erfahren hatte. Zuletzt kam sie mir letzten Dienstag in den Sinn, aber das war nur purer Zufall, denn da war ich im Gehsteiggedränge grundlos hinter einer schlanken Frau hergegangen, ihre dunklen Haare vom Haarband zusammengebunden, und ihr Rossschwanz war hin und her geschwungen, tänzelnd an ihren Schultern im Rhythmus der wippenden Schritte.
Als ich in den Tanzsaal des La Cabaña betrat, saß Bettina auf einem Hocker an der Bar. Sie sah nicht in meine Richtung, sondern zu den vier Fotos des Ché Guevara an der Wand gegenüber, über den Spiegeln. Ich stellte mich neben Bettina. Um zu sehen, was passierte. Sie verschränkte die Arme. Ich fragte sie, ob sie hier zum Tanzkurs gekommen sei. Sie sagte: »Ja«.
Sie sah mich an. Aber nur so lange es eben brauchte, um den jungen Mann wahrzunehmen, zu dem man soeben irgendetwas gesagt hatte. Da war kein Wiedererkennen, nicht einmal der Hauch einer Irritation. Sie schaute dann wieder zu Ché.
Ich wollte sie fragen, wie sie hieß aber wollte sie keineswegs nach ihrem Namen fragen, um mich keiner Illusion zu berauben – zugleich musste ich es wissen, sonst gab es keine Ruhe… Würde ihr Freund gleich hereinkommen? Wenn sie tatsächlich alleine hergekommen war, um Salsa zu lernen, dann durfte ich sie mir nicht von einem anderen wegschnappen lassen. Ich durfte sie nicht aus den Augen verlieren. Ruhig sein, Richie. Einatmen. Ausatmen. Ablenken. Etwas tun. Ich zählte die Männer und Frauen, die hier herumstanden und wohl alle auf den Kursbeginn warteten. Einundzwanzig waren es. Mit mir zweiundzwanzig. Und dreiundzwanzig mit Bettina.
Die Tanzlehrerin stand plötzlich mitten im Saal, eine quirlige Frau auf weißen Turnschuhen und mit einem fleischfarbenen Mikro an der Wange. Sie erzählte ein wenig über die Salsa, und gleich stellte sie sich vor die Spiegelwand, mit dem Rücken zu uns, und wir alle sollten mit ihr die Grundschritte üben. Bettina rutschte vom Hocker und ging ganz nach vor, damit sie gleich hinter bei der Lehrerin stand.
Ich stellte mich hinter sie. Wir machten unsere Schritte, und die Lehrerin taktete unsere Bewegungen mit durchdringender Mikrofonstimme.
»Eins zwei drei. Fünf sechs sieben.«
Den Rückwärtsschritt, den wir bei eins zu machen hatten, tanzte die Lehrerin dermaßen auslandend, als ginge es darum, dass wir irgendwelche Widerstände zertraten. Dagegen wirkten Bettinas Schritte zögerlich und schüchtern, denn ihre Beine waren noch steif, ihre Schultern wippten, weil ihre Hüften noch nicht mit den runden Bewegungen einer Salsa vertraut waren. Bettinas Blick ging sprang zwischen Lehrerin und Spiegelwand umher, um sich bei jedem Schritt zu versichern, dass er stimmte. Ich schaute beim Tanzen auf Bettinas Nacken. Ihre dunklen Haare waren mit einem weinroten Haarband zusammengebunden, der Rossschwanz schwang hin und her. Nach einer halben Stunde rief uns die Lehrerin auf, zum Partner zu gehen. Ich war sofort bei Bettina und fragte, ob ich mit ihr tanzen durfte.
Sie nickte.
Wir standen einander gegenüber.
Ich ergriff ich mit meiner linken Hand Bettinas rechte Hand, mein Blick in ihr Gesicht, und ihr Blick abgewendet zur Tanzlehrerin.
Eins zwei drei.
Fünf sechs sieben.
Bei eins gingen wir auseinander, weil wir beide einen Schritt zurück machten. Bei drei wieder zueinander. Bei fünf noch weiter zueinander, so nahe, dass ihr linker Fuß zwischen meinen Füßen stand. Die freien Hände angehoben, Handfläche an Handfläche, und bei sieben kam das sanfte Abstoßen mit einem Schritt zurück, damit es wieder bei eins beginnen konnte. Und die ganze Zeit hielt ich ihre rechte Hand. Die Lehrerin ging zu jedem Paar und griff ein, wenn es etwas zum Korrigieren gab. Dann rief sie dem DJ etwas zu, in Spanisch. Wir waren offenbar bereit, erstmals zur Musik zu tanzen. Der DJ beugte sich über sein Pult und startete ein Lied aus Trommelschlägen und Trompeten. Zum »Eins – Fünf – Eins – Fünf« der Lehrerin setzten wir unsere Schritte. Ich spürte Bettinas Unsicherheit, also führte ich sie so deutlich, dass sie nicht auskam, im richtigen Moment den richtigen Schritt zu machen. Bettina hob den Kopf und lächelte zu mir herauf. Im mir weitete sich etwas, mit den Taktschlägen und dem Eins und dem Hin und Fünf und dem Zurück.
Nach der Tanzstunde kam meine wichtigste Frage.
»Darf ich dich noch zu einem Cocktail einladen?«
»Ja.«
Wir gingen zur Bar, setzten uns auf Hocker und bestellten. Die Tanzfläche leerte sich. Wir beobachteten den Barkeeper, wie er mit Minze und Limetten hantierte und Rum eingoss. Er stellte uns die Cocktails hin, ich zahlte, und Bettina sagte: »Danke«.
Sie nahm ihren Mojito, hob ihn sich an den Mund, wandte sich zur Spiegelwand gegenüber. Ihre Lippen umschlossen einen Strohhalm. Sie schaute auf die Fotoserie mit dem lachenden Ché, mit dem verschmitzt dreinschauenden Ché und mit einem Ché, der den Rauch seiner Zigarre genießerisch zur Seite bläst.
Sie fragte: »Warum hängt der da?«
»Wo soll man ihn denn sonst hinhängen?«
»Er war ein Massenmörder.«
»Das passt ja.«
»Wie meinst du das?«
»Drüben im Burggarten steht das Denkmal von dem Mann, der Österreich in den zweitblutigsten Krieg der Menschheitsgeschichte geschickt hat.«
»Wen meinst du?«
»Kaiser Franz Joseph.«
Sie nickte.
Ich sagte: »Ich heiße Richie, übrigens.«
»Ich heiße Bettina.«
Ich schluckte. Ich griff nach meiner Caipirinha. Ich sog allen Alkohol aus den Eiszwischenräumen, bis das schlürfende Geräusch einsetzte. Diese Frau war also tatsächlich Bettina. Ich schaute in ihre Augen. Die Iris scharf umgrenzt von einer dunklen Linie, drinnen im Grün ein helles Geflecht. Bernsteinfarbene Flüsse, die einem schwarzen Zentrum zustreben. Waren ihre Augen schon früher so gewesen?
(Bald kommt die GRAUKO-Schreibwoche in Kroatien. Bin gerüstet mit Mindmaps. Und nun mit obiger, neuerlichen Fassung des Romanbeginns von „Das tiefe Dorf“)
Und auch für diesen Roman: Meine Mindmaps. Zwei sind es, in denen ich die Essenz zusammentrage:
Auf der Personen-Mindmap (siehe oben) stelle ich die Lebendigen und die Toten auf. Alle mit Geburtsdatum und Sterbedatum, wenn bekannt. Grün sind die, die im Jahr 2007, also während der Gegenwartshandlung, am Leben sind. Rot die anderen.
Der Romantitel hat sich übrigens geändert – von „ausgegraben“ zu „Das tiefe Dorf“.
Als Kind habe ich jemanden beim Töten beobachtet, aber ich weiß nicht, wen ich gesehen habe. Noch kann ich mich an Gesichter oder Geräusche oder an den Ort erinnern. Aber in mir fühlt es sich an, als hätte ich es gesehen.
Das ist wie ein Schatten, den ich sehe, während das, was den Schatten geworfen hat, längst nicht mehr da ist. Und diesen Schatten, den sehe ich auch erst seit ein paar Wochen! Das klingt seltsam, ich weiß, und wenn ich es mit besseren Worten sagen könnte, würde ich es anders sagen.
Derzeit arbeite ich mich an meine Romangestalten heran. Dabei formuliere ich Textsplitter wie diesen, die von meinen Romangestalten stammen. Die gesagt oder gedacht sein könnten. Die mir mitteilen, wie es in ihnen Köpfen zugeht.
Vorgestern war ich bei der Rochuskapelle, einem der Schauplätze von Die Archäologin.
Ich arbeite ja nun an der Fortsetzung dieses Romans. So stelle ich mir vor, ich bin Städter, ich bin 23, ich bin hier aufgewachsen, ich bin von hier in die Stadt geflohen, und heute kehre ich zurück. In diese Stille.
Sitze vor meiner Mindmap und kläre mit mir ab, was denn genau passiert ist, Jahre bevor mein Roman beginnt.
Und so sitze ich, mit Kopfhörern, höre Musk meiner youtube-Plalist, und sitze und schiebe Mindmapäste umher und sitze und höre und … und Sonnenuntergang.
Ich spüre sie wieder. Diese Dringlichkeit.
Es ist dieses Gefühl, zu sterben, wenn ich nicht niederschreibe, was in mir festsitzt. Die Notwendigkeit, meinen Kopf von gewissen Gedanken befreien.
Wetter und sonstiges rund um mich wird egal. Nicht, weil sich mein Blick für das Wesentliche trübt, sondern weil es schlichtweg egal ist.
Gut so.
Gewalt ist eine Eskalation. Zu viel davon stumpft ab.
Meine Strategie: Nur das Mindestmaß.
Woran erkenne ich ein Mindestmaß? Daran, dass die Geschichte überhaupt nicht mehr funktioniert, wenn dieses Mindestmaß an Gewalt fehlt.
Derzeit geplant: Nur ein Totschlag. Kein Mord mehr, kein Mordversuch.
… und höre dabei seltsame Musik. Mein Romanheld ist vielleicht der, der die xkcd-Comics zeichnet. Jedenfalls arbeitet er in IT-Projekten. Er stellt viele unangenehme Fragen. Das heißt: den anderen stellt er diese Fragen. Sich selbst nicht. Sich selbst weicht er aus.
Ich könnte nun beginnen, eine Struktur für den Roman zu erfinden. Und würde dann, nach viel Umhertun und Streichen doch bei den Prinzipien ankommen, die sich bewährt haben.
Andererseits könnte ich gleich mit Bewährtem beginnen.
Es ist ja alles da! Ich habe ja schon so vieles über das Schreiben gelesen! Ich meine die mythologischen Grundmuster. Ich meine die Odyssee des Drehbuchschreibers von Christopher Vogler. Demnach ist der Einstieg die gewohnte Welt des Helden. Bevor ihn der Ruf des Abenteuers ereilt. Der Ruf des Abenteuers bringt den Helden aus seiner Bequemlichkeit heraus.
Lese mich mal wieder ein. Ab Seite 159.
Disclaimer: Ich habe sehr wohl die Handlung vor mir und die Entwicklung des Romanhelden. Aber die Ausformungen der Handlung habe ich nicht. Die Ausrichtungen der Szenen/Phasen ebenso nicht. Und dafür suche ich Muster.
o beginne ich meine Geschichte?
Es ist doch dieses alte Muster: um das Treffen zweiter Menschen, A und B, zu beschreiben, fange ich dann damit an, wie A seine Wohnung verlässt und über B nachdenkt? Oder beginne ich mit dem Warten von A, dass B endlich kommt? Oder beginne ich mit den ersten ausgetauschten Worten, Berührungen?
„Kommt darauf an, was das Ziel der Szene ist“, lautete meine Antwort, wenn ich wegen so einer Schreibsituation um Rat gefragt wurde.
Was ist das Ziel genau? Nur weil ich anderen Menschen beim Schreiben helfe, heißt das nicht, dass es bei mir von selbst rennt. Beileibe nicht. Bin ungeduldig.