Ein Satz wird überarbeitet. Beispiel einer Autorenzusammenarbeit.

Isolde und ich schreiben an einem Roman. Und Basis unserer Zusammenarbeit ist, den Text des anderen beliebig überarbeiten zu können – es gibt kein „mein Text“ und „dein Text“, sonder ein „unser Text“.

Hier ein Beispiel – ich habe es anonym gemacht, weil es irrelevant ist, wer was verändert. Autor X schrieb:

Milan schloss die Tür auf, es gab zwei Schlösser, eines davon in der Mitte der Tür, das andere ganz
unten.

Autor Y machte daraus:

Milan schloss die Tür auf, es gab zwei Schlösser, eines davon in der Mitte der Tür, das andere so weit unten, dass er sich bücken musste.

Was ist nun anders? Hier ist Bewegungn drinnen – statt des „ganz unten“ wird gezeigt, was es für Milan bedeutet, dass das Schloss so weit unten ist – er muss sich bücken. Die Situation wird sinnlicher. Show, don’t tell.

Das Skurrile ist, dass mit der Überarbeitung durch Y der Text eher dem Stil von X entspricht als seine Erstfassung.

Kleine Online-Schreibwerkstatt 6/6: Zu Besuch in deiner Wohnung, aus der Sicht eines Fremden.

Großartig, dass du bei unseren kleinen Schreibwerkstatt bis zum Abschluss dran bleibst!

Mitmachen ist ja ganz einfach: du fügst deinen Übungstext als Kommentar an diesen Blogbeitrag, und danach gibst dein konstruktives/wertschätzendes Feedback zu den Texten der anderen.

So hilfst du anderen, genauso wie die anderen dir helfen.

Voraussetzung für diese Übung ist: Du hast die erste, zweite und dritte Übung bereits gemacht.

Hier die letzte Übung:

Schreibe einen kleinen Text über eine Person, die deine Wohnung besucht, und zwar aus Sicht dieser Person. Darin liegt der Reiz der Aufgabe: das, was dir vertraut ist, aus einem fremden Blickwinkel wahrzunehmen.

Ziel des Texts ist, einen Eindruck deiner Wohnung zu vermitteln; die Leserin soll das Gefühl bekommen, etwas von deiner Wohnung kennengelernt zu haben.

Die Person, die deine Wohnung besucht, ist jemand, die nicht in deiner Wohnung lebt (Freund, Einbrecherin, Kunde, Installateurin, Briefträger,…).

Vermeide Wertungen und Gedanken dieser Person. Du brauchst nicht alle Zimmer zu beschreiben – in der Kürze liegt die Würze.

Arbeite hauptsächlich mit den sinnlichen Wahrnehmungen (Was sieht die Besucherin? Was riecht sie? Was fühlt sich wie an? Siehe die Übung zu VAKOG), vermeide Schlussfolgerungen.

In der Wochenend-Schreibwerkstatt, die ich in den letzten Jahren gehalten hatte, war dies die Hausübung gewesen – mit dieser Aufgabe wurden die Schreibenden in den Samstagabend entlassen, und die Ergebnisse wurden Sonntag Früh besprochen.

Der Sonntag war der Tag, wo wir uns nochmals die Ziele der Schreibenden ansahen – in Hinblick auf die oft fundamentalen Erkenntnisse des Samstags – und in den verbleibenden Übungen konsequent darauf hinarbeiteten. Für Sonntag gab es keinen vorgefertigen Ablauf mehr – jedem Teilnehmer gab ich jene Übungen, die er gerade brauchte. Ja, ja, mit den Jahren kam schon ein ganz großer Bauchladen an guten Übungen zusammen.

Ich hoffe, euch hat diese meine kleine Online Schreibwerkstatt Spaß gemacht, und so wünsche ich euch viel Freude beim Schreiben und beim spannenden Austausch mit Gleichgesinnten.

Kleine Online-Schreibwerkstatt 5/6: Eine Person wartet.

Wunderbar, dass du bei dieser kleinen Schreibwerkstatt immer noch dran bist!

Mitmachen ist ja ganz einfach: du fügst deinen Übungstext als Kommentar an diesen Blogbeitrag, und danach gibst dein konstruktives/wertschätzendes Feedback zu den Texten der anderen.

So hilfst du anderen, genauso wie die anderen dir helfen.

Voraussetzung für diese Übung ist: Du hast die erste und die zweite Übung bereits gemacht.

Hier die dritte Übung:

Schreib einen kleinen Text über eine Person, die auf jemanden wartet. Schreibe aus der Sicht dieser Person. Beschreibe, was die Person wahrnimmt (VAKOG), sage nicht, was sie denkt.

Die Leserin soll merken, dass die Person wartet, ohne dass dies erklärt wird („Er wartete auf eine Straßenbahn.“).

Nutze die vorhin gesammelten Sinneseindrücke. Zeige, ohne zu interpretieren („Show, don’t tell“). Beschreibe nicht, was diese Person denkt („Ihm war langweilig“, „Er denkt an seine Frau“). Der Text soll frei von Interpretationen und Wertungen sein. Die Erzählform ist frei wählbar (Personeller Erzähler, Ich-Form, innerer Monolog,…).

Du hast 45 Minuten Zeit.

Hier geht es darum, die Sinneseindrücke so einzusetzen, dass etwas vermittelt wird. Was macht einen Wartenden aus? Es hat auch damit zu tun, dass ich als Schreibender mir meine Wahrnehmung bewusst mache: Woran merke ich als Beobachter, dass ein Mensch wartet? Bei meinen Schreibwerkstätten machte ich folgende Erfahrung: Nachdem die vorige Übung bei vielen Schreibenden mit der Einsicht geendet hatte, dass sie nicht vorbehaltlos wahrnehmen konnten, war dies nur die Übung mit der größten Anstrengung. Diese Übung war für viele das erste bewusste Ankämpfen der eigenen Widerstände – und damit mit großen Lerneffekten verbunden.

Und hier geht es zur nächsten Übung

Kleine Online-Schreibwerkstatt 4/6: Sinnlichkeit.

Wunderbar, dass du bei dieser kleinen Schreibwerkstatt dabei bist!

Mitmachen ist wie gesagt ganz einfach: du fügst deinen Übungstext als Kommentar an diesen Blogbeitrag, und danach gibst dein konstruktives/wertschätzendes Feedback zu den Texten der anderen.

So hilfst du anderen, genauso wie die anderen dir helfen.

Voraussetzung für diese Übung ist, dass du die erste Übung gemacht hast.

Hier also die zweite Übung. Hier geht es um das Wahrnehmen:

Verlasse deinen Schreibraum, gehe hinaus auf die Straße und notiere, was deine Sinne wahrnehmen.

Sinneseindrücke sind (VAKOG)

  • visuell (sehen)
  • auditiv (hören)
  • kinästhetisch (tasten)
  • olfaktorisch (riechen)
  • gustativ (schmecken)

Gefragt sind ausschließlich Sinneseindrücke und nicht

  • Gedachtes („Der Hund erinnert mich an…“, „Ich dachte…“, „Ich verstehe nicht was er meint.“)
  • Wertungen („Ich sehe einen attraktiven Mann“, „Gegenüber sitzt eine große Frau“)

Es müssen keine ganzen Sätze sein. Die Notizen müssen weder zusammenhängend noch geordnet sein.

Wichtig ist: du lässt dein Denken beiseite und notierst ausschließlich, was deine Sinne wahrnehmen.

Und verlasse deinen Schreibraum! Damit die Eindrücke aus erster Hand sind und nicht Erinnerungen.

Du hast 45 Minuten Zeit.

Aus meiner Erfahrung ist dies diese unscheinbare Übung wohl die schwierigste und erstaunlichste Aufgabe zugleich.

Die meisten (!) Schreibenden kamen mit Wertungen, mit Geschichten und mit Gedanken zurück, und da nützte es nichts, dass ich sie genau davor nochmals gewarnt hatte.

Ja, ja, die inneren Widerstände sind groß.

Und hier geht es zur nächsten Übung

Kleine Online-Schreibwerkstatt 3/6: Konstruktives und wertschätzendes Feedback.

Die beste Art, einem schreibenden Kollegen zu helfen, ist, ihm ein Feedback zu geben, das ihn weiterbringt. Davon handelt folgendes Video…

Der Text, zu dem ich in dem Video ein Feedback gebe, stammt von Aufgabe eins der kleinen Online Schreibwerkstatt:

Einen kurzen Moment lang hält Eva inne.

Die Sonne brennt heiß auf ihre Schultern, und sie fühlt kleine Schweißperlen zwischen ihren Brüsten hinab rinnen.

Die Messlatte in ihren Händen erscheint ihr plötzlich wie ein Symbol, jede Markierung steht für einen Abschnitt ihres Lebens.

Sie beginnt zu zählen…und markiert mit der linken Hand die Stelle, an der sie gerade steht.

Was habe ich schon alles hinter mir gelassen…was ist unwiederbringlich Vergangenheit…und was steht mir wohl in Zukunft bevor?

Ihre Gedanken kreisen.

Wie wild beginnt ihr Herz zu pochen.

Ein kleiner Schauer rieselt, beginnend im Nacken, die Wirbelsäule hinunter und verursacht trotz drückender Mittagshitze Gänsehaut… und ein durchaus angenehmes Prickeln.

Eva lächelt.

Er steht am Rande der Grube und blickt zu ihr hinunter.

Und hier geht es zur nächsten Übung

Sehen, hören, fühlen, riechen, berühren. Schreiberische Alltagsarbeit.

Beim Schreiben geht es um das Leben. Schreiben hat etwas mit sehen, hören, fühlen, riechen, berühren zu tun. Es handelt weit eher von all diesen Dingen als vom Denken.

Wir haben die Vorstellung, Schriftsteller müssen „intelligent“ sein. Mit „intelligent“ meinen wir „raffiniert“. Wir wissen, wie Raffinesse beim Schreiben aussieht: Es sind Sätze verlangt, die Kurven so mühelos nehmen wie ein Porsche, und kritische Kommentare mit einer Geschwindigkeit und Eleganz in die Ecke treiben, die uns normale Menschen meist nicht zur Verfügung stehen. Ja, das ist eine Art zu schreiben, mit Effekthascherei, doch ist das Schreiben mehr als nur das.

(Quelle: Julia Cameron: Von der Kunst des Schreibens)

Julia Cameron beschreibt so treffend, weshalb Sinneseindrücke im Zentrum stehen, am ersten Tag der Schreibwerkstatt Texthobel.

Gefühle löse ich bei der Leserin nicht dadurch aus, indem ich sie nenne („Anita ist verliebt.“). Klar darf ich jederzeit Emotionen nennen – bloß wundern darf ich mich nicht, dass die Leserin keine Marionette ist, die fühlt, was ich ihr befehle. Stattdessen die Leserin spüren lassen, dass Anita verliebt ist – indem sie Anita beobachtet. Darum frage ich mich als Autor: Woran erkenne ich, dass Anita verliebt ist? Solches ist meine schreiberische Alltagsarbeit.

Zuschreibung – ein wichtiges Wort. Paul Watzlawick im Video.

Dieses Video ist für mich eine Sichtweise auf das das, was ich als Autor mache: Das, was ich sehe, von dem zu trennen, was ich darüber denke. Watzlawick sagt gleich eingangs, dass er mit den Begriffe Wahrheit und Wirklichkeit nicht arbeitet – und im Gegenzug spricht er von Zuschreibungen. Ein schönes Wort: ich schreibe etwas. Ich schreibe etwas zu. Ich schiebe meine Worte zu etwas hin, ein Berg von Worten vielleicht, mit denen ich das zudecke, was ist – vielleicht kann ich nicht anders, vielleicht ist das meine Art, es wahrzunehmen. Es für-wahr-zu nehmen. Am Ende sagt der Worteberg mehr über mich aus und macht das Ding zum ein Anlass. Wer weiß.

Die Schönheit des Videos liegt für mich im Strahlen des großen Mannes. In seiner Art, Sätze vollständig und einfach zu formulieren. In seinem so wertschätzenden Umgang mit mir, dem Zuhörer.

https://www.youtube.com/watch?v=3dkrIN3Is1U

Seinen Vortrag zum Thema „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ findest du hier in vier Teilen auf youtube.

Die Dinge losgelöst von einer Notwendigkeit anzuschauen. Lernen von Spinoza.

Wie spannend es sein kann, sich bestimmte Dinge bewusst zu machen, ohne dass ein spezifisches Interesse daran besteht.

… ist für mich das Wesen des Literaten.

Die Dinge losgelöst von einer Notwendigkeit anzuschauen, ist vielleicht eine der unterschwelligen Lektionen von Spinozas Ethik, die uns lehrt, die Welt losgelöst von all dem zu betrachten, was der Mensch in sie hineinverfrachtet.

… ist meiner Meinung nach das klassische „Show, don’t tell“.

https://www.youtube.com/watch?v=XI55rOL-tTw

Erfolglos schreiben: Sag dem Leser, was er denken soll.

Sag dem Leser stets, was du von allem hältst. Das erspart dir viel Arbeit.

Anstatt etwa das Beeindruckende eines Bauwerks in vier Sätzen vor dem Leser auszubreiten, reicht es zu sagen: „Die Kirche war beeindruckend.“

Denn Leser sind meist nicht intelligent genug, um schnell zu begreifen, was sie meinen sollen.

Erfolglos schreiben: Tell, don’t show!

Es reicht, wenn du die Gefühle der Figuren nennst („Er bekam Höhenangst.“).

Halte dich nicht damit auf, sinnliche Empfindungen zu zeigen. Du musst schließlich die Handlung voranbringen und kannst dich nicht damit aufhalten, dass der Leser mitfühlt.

Wie gebe ich Feedback?

Die beste Art, einem schreibenden Kollegen zu helfen, ist, ihm ein Feedback zu geben, das ihn weiterbringt. In diesem Video zeige ich, wie ich das angehe.

Der Text, den ich im Video bespreche, ist im Umfeld einer Schreibwerkstatt entstanden. Die Aufgabe lautete: schreibe etwas, wozu dich dieses Bild inspiriert.

Einen kurzen Moment lang hält Eva inne.

Die Sonne brennt heiß auf ihre Schultern, und sie fühlt kleine Schweißperlen zwischen ihren Brüsten hinab rinnen.

Die Messlatte in ihren Händen erscheint ihr plötzlich wie ein Symbol, jede Markierung steht für einen Abschnitt ihres Lebens.

Sie beginnt zu zählen…und markiert mit der linken Hand die Stelle, an der sie gerade steht.

Was habe ich schon alles hinter mir gelassen…was ist unwiederbringlich Vergangenheit…und was steht mir wohl in Zukunft bevor?

Ihre Gedanken kreisen.

Wie wild beginnt ihr Herz zu pochen.

Ein kleiner Schauer rieselt, beginnend im Nacken, die Wirbelsäule hinunter und verursacht trotz drückender Mittagshitze Gänsehaut… und ein durchaus angenehmes Prickeln.

Eva lächelt.

Er steht am Rande der Grube und blickt zu ihr hinunter.

Lolita oder: Wertende Beschreibungen und literarische Gerechtigkeit

Naturhistorisches Museum, Hauptstiege

Lolita ist eine Säule der erotischen Literatur.

Ein Glanzstück von Nabokovs Erzählkunst ist etwa jene Szene, in der sich der Protagonist »die Süße eines Orgasmus erlistet, ohne die Moral einer Minderjährigen anzutasten.« (Seite 101).

Nabokovs Beschreibungen sind oftmals wertend. Etwa wie er die Mutter von Lolita schlecht macht:

Sie war offenbar eine jener Frauen, deren gewählte Sprache ihren Buchklub oder Bridgeclub oder eine andere todlangweilige konventionelle Einrichtung reflektiert, niemals aber ihre Seele; (Seite 60)

(Beachte die seltsame Zeitenfolge) – Doch dann gewinnt diese Frau massiv an Profil:

…fände Sie jemals heraus, dass ich nicht an Unseren Christlichen Herrgott glaubte, dann nähme sie sich das Leben. Sie sagte es so feierlich, dass er mir kalt über den Rücken lief. Und da wusste ich: Sie war eine Frau mit Grundsätzen. (Seite 123)

… und so gleicht er die Schieflage mit der vielgepriesenen literarische Gerechtigkeit aus.

Vielleicht soll ich mir an Nabokovs wertenden Beschreibungen ein Beispiel nehmen. Denn ein Blog – und mein Roman ist nun einmal der Blog von Timon – ist etwas Persönliches, Ungeschliffenes. Es ist ein Ort der Unklarheit und der Mühe, sich selbst Klarheit zu verschaffen. Ein Ort des Worte–um–sich–werfens und des Hin–und–her–wankens.

(Die Seitenangaben beziehen sich auf folgende Ausgabe: Vladimir Nabokov, Lolita, Rowohlt Taschenbuch Verlag, überarbeitete Ausgabe 2007)

Kurzkrimi

Manche Krimiautoren meinen, es genüge, ein Verbrechen, einen Ermittler und ein paar Verdächtige zu kombinieren, und schon habe man einen guten Text. Lieber werden Sachverhalte genannt, anstatt beim Leser Gefühle auszulösen. Stereotype werden genutzt, damit sich der Autor das Hinsehen erspart. Es wird wie wild zwischen Erzählperspektiven gewechselt, und es wird personifiziert, was das Zeug hält.

Bei der Kurzform des Krimis kommen literarische Schwächen verschärft zu Tage, denn da bleiben dem Autor nur wenig Worte, um irgendetwas zu bewirken.

Ich las Kurzkrimis immer gern. Wenn ich auf Besuch bei meiner Oma war. In der Illustrierten „Neue Post“ begutachtete ich zunächst die aktuellen Fotostrecken von Prinzessin Diana, überblätterte den „abgeschlossenen Roman“ (weil mir zu viele Seiten hatte), und dann kam der Kurzkrimi an die Reihe. Alles war binnen einer Seite gesagt. Und nach dem letzten Satz, rechts unten, war immer derselbe kleine Revolver abgebildet, sein Lauf nach links gerichtet. Die letzte Seite der „Neuen Post“ war ganzseitige Werbung – manchmal wurde da ein Fernkurs angeboten, wo man lernen konnte, wie man Buch schrieb.

Folgenden Artikel fand ich in der Zeitung „Der Standard“ – wohl eine Anspielung auf die laufende Kurzkrimi–Serie in „Die Presse“: Kurzkrimi weiterlesen