Festivitus, Gott der frauenverstehenden Autoren

Er besucht gerne Feste. Er fühlt sich wohl, wenn schöne Frauen um ihn sind. Dann lehnt er am Rand des Geschehens und wartet. Er prahlt nicht damit, dass er Schriftsteller ist – er erwähnt es beiläufig und nur dann, wenn er einer attraktiven Frau begegnet. Von dem Literaturpreis redet er erst, sobald sich eine Literaturdiskussion entspinnt – und meist ist er derjenige, der so eine Diskussion anzettelt – etwa mit der Frage: „Und welche Bücher liest du?“

Sobald die Frau ihm erste intimere Fragen beantwortet, lässt er durchsickern, dass er seinen prämierten Roman aus der Sicht einer Frau geschrieben hat.

Schlampus, Gott der der Fehler

Schlampus wird nur selten als Skulptur dargestellt – trotzdem ist er in jedem literarischen Werk präsent.

Seine Taktik ist die des stetigen Rückzugs, vergleichbar mit dem Vorgehen der russischen Armee von 1812: Fehlerbehaftete Worte sind das weite Land, und der fehlersuchende Autor muss irgendwann aufgeben, will er seinen Roman noch zu Lebzeiten verlegt sehen. Oben ein Beispiel für Schlampus‘ Wirken. Peter Heissenberger, der mein Manuskript durchgelesen hatte, erkannte einen Fehler, markierte ihn und las weiter. Zurück blieben zwei weitere.

Daraus ergibt sich folgende Heuristik der Korrekturen: Die Menge an Fehlern, die ein Korrekturleser findet, ist großteils disjunkt zu jener Fehlermenge, die ein zweiter Korrekturleser findet.

(Dass in der Überschrift „der der“ steht, ist mir passiert, aber ich habe es gelassen, um Schlampus begreifbar zu machen – wem von euch ist übrigens dieser Fehler nicht aufgefallen?)

Brachialus, Gott der Gewaltdarstellungen

Brachialus war der jüngere Bruder von Dirtus, und ebenso mühte er sich, massive Gefühle beim Leser auszulösen. Seine Methode war die explizite Darstellung von körperlicher Gewalt und Schmerz. Brachialus gehörte zu den vehementen Kritikern der Ilias wegen der verharmlosenden Darstellung des Kampfes um Troja. So schuf er das vierbändige Werk: „Das Massaker von Troja“.

Doch der ausbleibende Erfolg ließ ihn zweifeln. Darum wird er auf den Skulpturen als nachdenklicher Mann dargestellt, gestützt auf den Insignien der Gewalt. Ihm wurde klar, dass es nicht so viel brauchte, um den Leser zu rühren. Im Gegenteil, erst der sparsame Einsatz von Gewalt entfachte große Wirkung.

Fortan schrieb Brachialus Frühlingslyrik, in der er den Verfall der Blätter des letzten Jahres beklagte, und das tat er auf so subtile Weise, dass sogar Juno weinte.

Trustinus, Gott des Selbstvertrauens

Auf dieser Skulptur aus dem 18. Jahrhundert lehnt er lässig an den Trophäen seiner Schreibkunst. Trustinus ist keiner, der sich wegen einer Schreibkrise Sorgen macht. Emotionale Tiefs steckt er weg, weil ihn die Überzeugung trägt, dass ihn die rechten Einfälle zur rechten Zeit ereilen würden. Er quält sich nicht mit literarischer Arbeit – und doch ist er stets bereit, viel zu schreiben, wenn der Fluss einsetzt. Er spricht nicht davon, Talent zu haben, Neid ist ihm fremd – er freut sich mit den Erfolgen seiner Kolleginnen und Kollegen.

Inceptus, Gott der Anfänge

Er lässt sich in seine großen Projekte hinein mit aller Emotion. Er schreibt schnell, er schreibt treffend. Er geht im Schreiben auf. Die Leser erzittern bei seinen poetischen Bildern. Und kommt der Moment, wo die schnell aufgemachten Handlungsstränge als lose Enden herumliegen und er planen sollte, wie es weiter geht, wartet er auf Inspiration.

Und wartet. Und wartet.

Und da keimt in ihm schon ein neues Projekt auf, mit frischen Gefühlen. Diesmal schwört er sich: Das ist es! Er beginnt den Roman und … schreibt Gedichte, zu denen er soeben inspiriert wurde. Bis er wieder einen Roman liest, der ihn anspornt, einen fulminanten Anfang hinzulegen.

Er würde am liebsten nur Gedichte schreiben. Und sie gar noch selbst vertont vortragen. Aber von der Literatur leben? Das könne er eben nur, sagt er, wenn er endlich seinen großen Roman geschrieben habe. Aber danach, so flüstert er, nach seinem Durchbruch würde er nur mehr Gedichte schreiben. Er redet von William Blake, mit feuchten Augen. Und zeigt mir ganz verschämt seinen Lyrikband, den er mit Aquarellfarben illustriert hat.

Darlingus, Gott der mitgeschleppten Last

Darlingus (mit Helm) ist ein heldenhafter Autor, der so lange an seinem Lieblingstext festhält, bis der Text alt und buckelig ist. Der Text passt nicht in seinen Roman, aber Darlingus schleppt ihn weiter, von Romanfassung zu Romanfassung. Darlingus ist so verbissen, er sieht nicht die frischen Themen und Ideen, die ihn umgeben, hier als kindlicher Herkules dargestellt (hätte Darlingus über Herkules berichtet, wäre nun er berühmt und nicht Homer).

Dirtus, Gott der schmutzigen Worte

Er war überzeugt, dass grausliche Worte große Emotion erzeugten.

Er meinte, sein Publikum müsste sich seine Texte erst verdienen. Er sagte, er wollte gar nicht in den Olymp. Er schimpfte über die angepasste Literatur, die dort oben herrschte und über jene, die es geschafft hatten.

Er redete gerne von Henry Miller und sagte, Miller hätte sich auch nichts geschissen.

Seriousus, Gott der alternden Literaten

Seriousus ist Gott der Autoren, die ihren Schaffenszenit hinter sich gelassen haben. Ihnen ist ihr Ruf wichtig, den sie mit allem verteidigen, außer mit literarischen Werken.

Seriousus umgibt sich mit Gefährten, die stets in dasselbe Horn stoßen und seiner Literaturkritik hörig sind (in obiger Skulpturengruppe rechts).

Lyrelda, Schutzpatronin der jungen Poetinnen, hat Hand an den Oberschenkel von Seriousus gelegt, während er über „Emotion in der Literatur“ doziert (links).

Der Sage nach vollendete Lyrelda entgegen dem Ratschlag Seriousus ihren Roman. Daraufhin verwarf er sich mit ihr und spendete seine Nähe fortan anderen Poetinnen (etwa der blutjungen Analia). Als es Lyrelda gelang, mit ihrem Werk in den Olymp aufzusteigen, durfte niemand im Umkreis Seriousus ihren Namen auch nur erwähnen.

Xo, Gott des Kürzens

Xo war ein Adler.

Als Bestrafung für die Zeitverschwendung, die Zeus beim Durchlesen von Prometheus‘ Romanmanuskript erlitten hatte, wurde Prometheus angekettet. Er musste zusehen, wie Xo aus seinem Roman all die goldenen Worte herauspickte, an denen Prometheus so sehr hing. Alle drei Monate musste Prometheus eine neue Fassung des Roman schreiben, und immer wieder kam Xo und riss ihm die Worte heraus. Da es damals noch keinen Eigenverlag gab, ging die Tortur so lange weiter, bis Prometheus das Schreiben aufgab und den Göttern das Feuer stahl, um sein Werk zu verbrennen (Wegen dieses Diebstahls bekam er wieder Probleme, aber das ist eine andere Sage).

Maniacus, Gott der Getriebenen

Maniacus mit den aufgerissenen Augen, mit dem leeren Blick nach durchschriebener Nacht: So wird er üblicherweise dargestellt, meist gemeinsam mit einer erschöpften Muse.

Maniacus ist der Autor, der nicht mittendrin aufhören kann. Aber in einem Roman ist man monatelang oder jahrelang mittendrin – etwas, das Maniacus nicht wahr haben will. Jede verflossene Nacht ist eine Nacht des Scheiterns für ihn, weil er es wieder nicht geschafft hat, sein Werk zu vollenden.