Denn mit jedem Satz, da verbrennt doch etwas!

Ich mache weiter mit dem Schreiben, nach zwei Monaten Pause, wie ein Verirrter, der geglaubt hat, er bräuchte keinen Kompass mehr, und nun ist er zurückgekrochen, an die Stelle, wo er das Ding leichtfertig fort geworfen hatte.

Ich tippe das hier, und wie eine Horde kreischender Affen tanzt es in meinem Kopf. Natürlich kann ich nicht mehr schreiben wie vor zwei Monaten – Schreiben ganz allgemein bedeutet, nie mehr so schreiben zu können wie vorhin, denn mit jedem Satz, da verbrennt doch etwas! Aber seine Asche ist so fruchtbar, dass auf ihr der kommende Satz spießt. So kann ich unmöglich meine Worte an Bettina richten, nach allem, was nun passiert ist. Das heißt nicht, dass sie für mich tot ist, sondern dass sich Dinge eben geändert haben.

(Dies ist ein weiteres Opfer für den Schreibgott, denn auch für dieses Textstück sehe ich keine Verwendung mehr im Roman.)

Wieder ein Darling dem Schreibgott geopfert.

Nach der mehrfachen Rückmeldung, wonach der Einstieg etwas zäh ist, habe ich gestrichen. Schöne Stellen, finde ich. Aber sie leisten eben nicht die Geschwindigkeit, die der Roman eingangs braucht.

So ist dies nun eine weitere Gabe an Xo, Gott des Kürzens:

Und wenn ich abends heimkomme, so wie jetzt, und die Gedanken kommen wieder, und die Leere ist um mich, und ich kann dich nicht anrufen, dann kann ich immerhin schreiben. Denn beim Schreiben brauche ich mich nicht gegen Gedanken zu wehren – es genügt, sie mit dem blinkenden Cursor zum nächsten Wort weiter ziehen zu lassen, und irgendwann schieben nachfolgende Sätze die vorigen Gedanken ohnehin über den oberen Bildschirmrand. So ist es. Und Punkt. Ich brauche mich nicht mehr darum scheren, dass meine Sätze einen Zusammenhang ergeben. Die Gedanken sollen nur endlich über den Bildschirmrand hinaus gleiten. Punkt. Auch am Ende von diesem Satz steht ein Punkt. Und nach dem Punkt kommt ein Satz, der nur einer von unendlich vielen möglichen Sätzen ist – aber auf einen Punkt kann höchstens ein Satz anschließen. Genauso verhält es sich mit dem Wort: Jedes einzelne Wort nimmt all den richtigen Worten ihren Platz weg. Aber ich gebe nicht auf. Denn wenn ich schreiben kann, irgendetwas, dann kann ich doch genauso gut auch das Wesentliche erfassen. Dein Wesen. Das ist wie beim Lotto: irgendwann könnten die richtigen Zahlen kommen. Genauso können mir auch die richtigen Worte kommen. Denn wenn ich alles klar habe, für mich, dann wird es mir wieder gut gehen. Denn wenn ich dein Wesen beschreiben kann, wenn ich weiß, was das war, mit uns beiden, ja dann weiß ich automatisch, was ich bin, denn ich bin das, was von uns übrig ist. Es ist so einfach.

Ja, das ist es: ich schreibe gegen die Unwahrscheinlichkeit, dass ich mich ausdrücken kann. Und dich. Und uns ausdrücken kann. Jeder Punkt hilft mir dabei, eröffnet mir die Chance auf den nächsten Satz. Ein Neubeginn. Hoffnung, dass nun der Satz kommt, der ins Schwarze trifft. Der mein Leben vermisst – ich meine vermessen und nicht vermissen. Kannst du mir folgen? Nein, natürlich kann mir keiner folgen. Dort, wo ich jetzt bin, ist mir keiner hin gefolgt. Jedenfalls kann ich keinen sehen. – Ja, Bettina, ich habe einen Schuss. Ich weiß, Du hast ja schon immer gewusst.

Egal. Hier nun jener Satz, der mein Leben vermisst: Ich habe dich geliebt, und jetzt bist du tot. – Nein, das kann nicht sein, denn mir kommt vor, als hätte man dich mir erst vorhin aus der Umarmung gerissen, also liebe ich dich immer noch, es müsste lauten: du bist tot, und ich liebe dich immer noch … Ich scheitere beim Niederschreiben. Mein gewohntes Ringen mit den Worten. Zum Beispiel deine Umarmung: Ich trage zwar noch dieses Gefühl in mir – wenn ich die Augen schließe, spüre ich dich an meinen Armen, dein Gesicht deutlich in meiner rechten Halsbeuge, der Druck deiner Finger durch meine Jacke, dein Atem – aber es sind nur Äußerlichkeiten, die ich zu Papier bringe. Vielleicht, weil ich nicht genügend Worte kenne. Ich gehe kaputt, wenn ich so weitermache. Ich muss etwas tun.

Der Moment vor dem Unfall (Öl auf Leinwand)

Fotorealistische Darstellung einer Landstraße in leichter Linkskurve. Der Betrachter nimmt die Position des Autofahrers ein und blickt durch die Windschutzscheibe. Die Sicht ist klar, aber es gibt nichts zu sehen. Keine Autos, keine Menschen, keine Häuser, keine Wolken, keine Farben. Bloß einen Marillenbaum, rechts neben der Fahrbahn, mit hellrosa Blüten, jede Blüte ausgeführt. Die Tachometernadel steht auf siebzig. Die Hände des Betrachters umklammern das Lenkrad. Auf den grauen Handrücken das feine Geflecht aus dunkelgrauen Äderchen.


Entnommen der 1. Fassung meines momentanen Romanprojekts. Es findet in der jetzigen (7.) Fassung keinen Platz mehr.

Tod des Antiquitätenhändlers

Ich fuhr nach Wien, mit dem Zug. Zu Fuß durchquerte ich die Innenstadt und ging zum Antiquariat. Ein Geschäft mit zwei Schaufenstern. Ich drückte meine Nase an das Glas, meine Hände zu Scheuklappen, damit ich hineinsehen konnte. Polierte Biedermeierschränke. Gepolsterte Sessel mit geschwungenen Lehnen. Kleine Ölbilder mit dunklen Landschaften. Eine Vitrine mit bemalten Porzellanfiguren: ein Junge tollt mit seinem Hund umher – ich hatte nie einen Hund. Ein Mädchen spielt Laute – ich hatte nie ein Instrument erlernt; ein junges Paar verliebt auf einer Parkbank – ich hatte nirgends in diesem Schaufenster Preisschilder entdeckt. Ein Foto auf einem Tischchen. Metallrahmen mit schwarzer Schleife. Das Portrait eines Mannes im Pensionistenalter. An der Glastür das handgeschriebene »Wegen Trauerfalls geschlossen«, und dennoch unversperrt. Eine elektrische Klingel machte Lärm, auch als die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Sofort stand die Frau vor mir.

»Wir sind geschlossen«, so sagte sie es.

Ich redete sie an, auf das, was passiert war, und sie erwiderte: »Was wissen Sie denn schon, wie das ist.«

»Glauben Sie mir, ich weiß es«, sagte ich.

Sie führte mich in das Büro. Gestreifte Biedermeiertapete mit Blumenmuster. Ein Stuhl aus geschwungenem mit Lederner Sitzfläche vor einem Biedermeiersekretär. Auf und zu so einem Tisch passt kein Laptop. Hier will die Feder in das Tintenfass getunkt sein, um Worte sind auf handgeschöpftes Papier zu kratzen. Blut hatte die Politur zerstört. »Der muss in die Werkstatt. Aber ich bin noch nicht soweit«, sagte sie.

Wir schwiegen eine Weile, gemeinsam.

»Ich bin noch nicht so weit«, sagte sie.

Sie zog eine leere Schublade aus dem Tisch. »Hier haben die Polizisten den Viola–Ring gefunden. Ein Ring! Was macht mein Mann mit einem neuzeitlichen Ring? Seine Welt ist das Biedermeier.«

Sie fügt ein »gewesen« an.

Das Schlimmste sei der Vorwurf. Sie stützte sich auf dem Sekretär ab, versehentlich auf dem Blutfleck. Sie riss die Hand hoch und legt sich die Finger sich an die Wange. „Mein Mann war doch niemals ein Hehler. Wir haben das gar nicht nötig.“

Ich fragte sie, was mit dem Fußboden war. Dort, wo der Teppich endete, war eine Stelle mit vier Schrammen im Parkett. Splittrige, helle Rillen. Ich beugte mich hinunter und fasste einen herausstehenden Splitter an. Sie sagte, dass sie sich diese Kratzer auch nicht erklären konnte. Es käme ihr vor, als hätte ein Tier seine Pranke ins Holz geschlagen.


Entnommen der 1. Fassung meines momentanen Romanprojekts. Es findet in der jetzigen (7.) Fassung keinen Platz mehr.

Die Schlacht (Öl auf Leinwand)

Sofort wird der Betrachter mit seinen Blick in das Zentrum getrieben, in das Getümmel aus Pferdeleibern, Reitern, Fußvolk und Leichen. So dicht, dass jeder Hieb einen Aufschrei hinterlässt, jeder Stich einen Blutschwall öffnet, jeder Schuss das Fleisch zerreißt. Es gibt kein Ausweichen mehr, bloß ein Aufbäumen und ein Hinabsinken. Hinter dem Getümmel ein Horizont aus Licht, der die hochgereckten Schwerter glänzen lässt, aber die Gesichter zu Schatten macht. Das ist das Licht der brennenden Stadt, und obwohl die ganze Stadt, ja die ganze Welt zu brennen scheint, reicht das Feuerlicht kaum über aufragenden Lanzenspitzen hinaus – denn von oben drückt dunkel durchwobener Rauch. In so einer Welt hätte eine Sonne gar keinen Platz. Denn das hier passt nicht in ein Tageslicht, aber eine Nacht will sich auch nicht recht einstellen. Und die Jahreszeit? Hier grünt nichts, hier welkt nichts mehr, und von einem Mantel aus Eis und Schnee ist auch nichts übrig.

Rechts oben, dem Bilderrahmen schon recht nahe, die Burg. Sie passt nicht recht in das Gemälde. Zu unversehrt überragt sie das Gemetzel. Monolithisch, wie aus einem einzigen Felsstück gemeißelt. Groß scheint sie zu sein, denn rund um sie ist nichts mehr übrig, das vergleichsweise Kleinheit aufzeigen könnte. So eröffnet sich dem Betrachter der Zusammenhang: erst wenn diese Burg zerstört ist, wird das Gemetzel in sich zusammen fallen.

Wenn sich der Betrachter nun noch etwas Zeit gibt und den Blick schweifen lässt, wird er auch jene zwei Figuren bemerkt, die links in den Vordergrund gesetzt sind. Vielleicht fallen sie deshalb nicht ins Auge, weil sie so unbehelligt wirken. Der ältere, hoch zu Ross, mit glänzendem Harnisch, mit ernstem, bärtigem Gesicht. Ihn rühren weder Pferdekadaver noch bleiche Menschenreste. Er gehört zu jenen, die schon dermaßen viel Schmerz in sich tragen, dass ihn das Leid der anderen nur schwerlich rührt. Sein Schmerz kommt mit jeder Bewegung, steckt in jedem seiner Gliedmaße. Von seinem Pferd wird er nur mit fremder Hilfe herabsteigen können. Er ist General der Schweden. Seine Geißel ist die Gicht.

Der andere, der jüngere, hat schulterlanges, lockiges Haar. Auch er trägt Schmerz in sich. Sein Gesicht ist glatt und grau, so wie ich es vom Spiegel kenne, morgens, wenn ich in meine Leere schaue. Ich hebe meinen Arm und deute zur Burg. Daraufhin hebt der General den Blick, doch ohne den Kopf zu bewegen. Jetzt die Detonation. Mauerwerk und Leiber spritzen empor, sind schwarze Punkte vor der Burg, die im hellen Licht zerbricht.


Entnommen der 1. Fassung meines momentanen Romanprojekts. Es findet in der jetzigen (7.) Fassung keinen Platz mehr.

Verweilen (Öl auf Leinwand)

Dieses Gemälde verlangt Zeit ab. Deshalb steht ein Sessel davor. Keiner, der zum Sitzen einlädt, sondern ein kantiger, aus unbehandeltem Holz gezimmert, ohne Krümmung, die sich dem Rücken anpasst. Wer hier Platz nimmt, der soll nicht ruhen, im Gegenteil, er soll sich das Bild erarbeiten, er soll dermaßen aufmerksam sein, denn jederzeit könnte etwas passieren. Ich hänge es in die Violagalerie. Gebe ihm dort einen eigenen Raum. Den Sessel schiebe ich so nahe heran, dass der Betrachter das Gemälde mit ausgestreckten Armen beinahe berühren kann. Aber eben nur beinahe. Der Raum ist weiß. Das Licht diffus, kommt von überall her, es gibt keine Schatten – denn hier drinnen ist jede Bewegung frei von allem. Frei von Schatten, frei von jedem Sinn – hier ist nichts, was Sinn verbreiten könnte. Es existiert nur Raum, Bild, Sessel. Und der Betrachter, der sich zum Teil von allem macht. Sobald er sich gesetzt hat, zur Ruhe gekommen ist und sich abgefunden hat, dass nichts werden kann – und ich meine: er hat sich wirklich damit abgefunden – da setzt Bewegung ein. Eine stille Bewegung, die er im Gesichtsfeld nicht recht lokalisieren kann. Es bilden sich Schattierungen, kontinenthafte Konturen, die aneinander vorbei driften.

Und dann der Moment, in dem das Bild ausufert.

Weil es frei ist, weil es keinen Rahmen kennt. Die Konturen schieben sich über die Leinwandkante zum Betrachter. Sie richten sich auf, formen Gestalten, winden sich glänzend empor, sie erschaffen sich Farben und mit jedem Atemzug wird es reicher. Die Formen gleiten ineinander über, umschließen mich, auf eine glatte, stille Art, und mein Herz – ich stelle es mir vor, wie es inmitten von alledem schlägt. Ich spüre etwas Wachsen, es könnte um mich sein, es könnte in mir sein. Oder ich, ich wachse in etwas hinein, in etwas, das anders ist. – Und schon fallen die Gestalten in sich zusammen. Sind am Boden nur mehr Überreste, die auf die Leinwand zurückgesogen werden und dort verschmelzen, als sei nie etwas gewesen. Raum, Bild, Sessel, ich. Weil ich es nicht geschafft habe. Weil ich nachdenken musste und das Nachgedachte niederschreiben musste.


Entnommen der 2. Fassung meines momentanen Romanprojekts. Es findet in der jetzigen (7.) Fassung keinen Platz mehr.