Ende August

Ende August,
indem du ihm
ins linke Auge schießt,
neben seinen beiden Kälbern,
du weißt schon, die, über die
unser August diese verliebten
Gedichte geschrieben hat,
in der Fleischerzeitung.

 


Entstanden im Rahmen der Langschlager Lyrik-Schreibwerkstatt mit Evelyn Schlag. 29.8.2011. Die Aufgabe lautete, ein Gedicht zu schreiben, das mit »Ende August« anfängt oder endet. Zudem ist es eine Paraphrase auf

Abgezählt

Der Tag, an dem du
ohne Schuhe ins Eis kamst,
der Tag, an dem
die beiden Kälber
zum Schlachten getrieben wurden,
der Tag, an dem ich
mir das linke Auge durchschoß,
aber nicht mehr,
der Tag, an dem in der Fleischerzeitung stand,
das Leben geht weiter,
der Tag, an dem es weiterging.

Ilse Aichinger (Quelle)

Die Arme der Autoren

Es ist unmöglich mit Worten zu beschreiben, was notwendig wäre, für jene, die nicht wissen, was Schreiben bedeutet.

Das Schreiben. Das Scheiben hat ein Gesicht. Und man muss sich das Schreiben zum Freund machen. Das Schreiben und der künstlerische Drang sind deine Freunde. Falls es nicht so ist, sind sie deine gefürchteten Feinde.

Vor langer Zeit. Da kam ich in eine Schreibwerkstatt, um einigen Autoren das Schreiben zu zeigen. Ich gab ihnen zur Aufgabe, einen Text zu schreiben, der beim Leser eine starke Emotion auslöst. Ich verließ die Werkstatt, um sie in Ruhe schreiben zu lassen.

Da kam ein alter Autor hinter mir hergelaufen, und er weinte … Ich ging zurück. Etwas war über die Autoren gekommen, denn jeder hatte sich den Schreibarm abgehackt. Die Arme lagen auf einem Haufen … Und ich erinnere mich, wie ich schrie, ich weinte wie ein altes Waschweib. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte: All diese Autoren saßen da und schrieben mit den verbleibenden Händen Texte über den Verlust ihres Schreibarms.

Und ich will mich daran erinnern. Ich will es niemals vergessen. Und dann war mir, als würde ich durchbohrt, durchbohrt von einem einzigen, diamantenen Wort, direkt durch die Stirn. Und ich dachte, mein Gott, diese Schöpferkraft, dieses Genie, dieser Wille, das zu vollbringen. Vollkommen, unverfälscht, vollendet, kristallen, makellos. Und dann wurde mir klar, dass diese Literaten viel stärker als wir alle waren. Weil sie alles ertragen konnten. Das waren keine Ungeheuer, das waren Frauen und Männer, die mit ihrem Herzen kämpften. Dass sie die Kraft haben, die Kraft, das zu vollbringen. Wenn ich in Österreich aus solchen Leuten bestehend ein Verlagsprogramm aufbauen könnte – das wäre der Neuanfang jeglicher Literatur.

Denn dazu gehören Frauen und Männer, die Überzeugungen haben. Und die dennoch imstande sind, ohne Hemmungen, ihre ursprünglichen Instinkte einzusetzen. Ohne Skrupel. Vor allem ohne auf Kritik zu hören. Denn es ist die Kritik, die die Kunst besiegt.


Dies ist eine Paraphase auf den Monolog von Captain Kurtz (Marlon Brando) aus dem Film Apocalypse Now:

Hier der Text deutschen Synchronfassung: Die Arme der Autoren weiterlesen

Reise (Teil 2)

Hat der junge Wortemeister,
Sich doch einmal wegbegeben!
Doch verfolgen ihn die Geister
mit ihrem Willen durch das Leben.

Seine Wort und Werke:
Achtlos! Auch sein Brauch.
Er sucht Geistesstärke
sucht die Liebe auch.

Schreibe! Schreibe!
Manche Strecke,
dass zum Zwecke
Sätze fließen,
und mit reichem vollem Schwalle
zum Romane sich ergießen.

William Blake und seine Liebe zur Kindheit

Über die BBC-Dokumentation The Romantics bin ich zu William Blake gekommen. Maler und Lyriker. Einer der ersten Romantiker. Mit einer großen Achtung und Liebe zur Kindheit.

In meinem Roman ist Kinderliebe ein wichtiges Thema – mein fiktives Krankenhaus, das Violanum, ist von Fürsorge für Kinder und Mütter geprägt. Nun arbeite ich daran, wie ich diese Liebe der Gründerin des Krankenhauses, Viola (*1600 †1645), ausdrücke. Ich nahm von William Blake unter anderem das Gedicht Nurse’s Song (aus Songs of Experience) zum Vorbild. Es entstand folgendes Textstück, das Teil der alten Überlieferungen werden soll:

Viola und ihre Kinder

Es erhebt sich die Sonne.
Fröhlich macht sie den Himmel.
Und die silbernen Glocken läuten
und begrüßen den Sommer.
Die Feldlerche und Drossel,
die Vögel im ganzen Wald,
alle singen laut und rundherum
zum frohgemuten Glockenton.

Und da habe ich euch zugesehen,
euch Buben und euch Mädchen,
so wild seid ihr umher gelaufen,
habt gelacht und seid gesprungen
auf den Uferwiesen und den Wegen.

Seitwärts gesetzte Beine

Die kleinen Krebse,
seitwärts gesetzte Beine.
Das klare Wasser.

(Basho. Hundertelf Haiku. Ammann Verlag 2009, Seite 36)

In kurze Sätze
genau gesetzte Worte.
Das klare Gefühl.

(Wollinger)

[Anmerkung von mir: Mein Haiku gefällt mir heute nicht mehr. Weil da das Wort „Gefühl“ genannt wird. Weil zu viel gewollt ist. Weil es keine natürliche Beobachtung ist, sondern … ach, was weiß ich. Ich sehe mir ja ab und an meinen Blog selbst an und das, was da veröffentlicht ist, trifft oft meine jetzige Stimmung nicht mehr oder aber ich würde es ganz anders sagen oder gar nicht.]

Es atmet leise

Es nieselt leise
und der Alte und ich nachts
uns ähnlich werden.

(Buson. Quelle: Haiku, Japanische Dreizeiler, Reclam. Seite 193)

Es atmet leise
und mein Roman und ich nachts
uns ähnlich werden.

(Wollinger)

Zum Wintermondlicht
das vergebliche Rufen
des blinden Knaben.

(Issa. Quelle: Haiku, Japanische Dreizeiler, Reclam. Seite 219)

Zum Wintermondlicht
das vergebliche Schreiben
des Literaten.

(Wollinger)