Der Aufzug: Hörspiel über eine zerbrechenden Ehe. Hab ich als Schüler geschrieben.

In der Schule gab es die Aufgabe, ein Hörspiel zu schreiben. Instinktiv wählte ich eine Handlung, die sich gut zum Hörspiel ein passt – eine, die in absoluter Dunkelheit passierte. In einem Aufzug, der stecken blieb.

War ich damals vierzehn? Ich denke, es war noch in der Unterstufe, als ich das geschrieben habe.





Dschi-Dsche-i Wischer: Manchmal wuchtelweich vor Freude.

Ein Wesen, das genauso aussieht, wie es sich der Zuhörer vorstellt.

So ist es doch in der Literatur, nicht wahr? Nicht der Autor schafft die Personen. Sondern der Leser. Und jeder Leser auf seine unvergleichbar eigene Art. Darüber spricht Dschi-Dsche-i in diesem Video.

Für mich ist er ein Stück Kindheit. Zehn vor sieben lief er an jedem Schulmorgen auf Radio Ö3.

(Für die, die ihn nicht kennen: er stammt von Christine Nöstlinger.)

Wie ich begann, einen Frauenroman zu schreiben

Als ich an der Archäologin zu arbeiten begann, zweifelte ich natürlich, ob ich als Mann aus der Sicht einer Frau schreiben konnte. Wusste ich denn, was man als Frau denn überhaupt so wollte? Der Kinderwunsch, die Sehnsucht nach Beziehung … was war es, was eine Frau – im Unterschied zum Mann – überhaupt interessierte?

Darum recherchierte ich. Und der erste Schritt in der Recherche war: ich kaufte mir im Supermarkt die maxima. Denn, „was Frauen wirklich interessiert, steht in der neuen maxima.“

Soundtrack meiner Jugend. Dunkle Geschichten im Kopf.

23. Mai 1983. Sonntag. Tatort am Sonntagabend: Peggy hat Angst.
Zu Beginn dieses Lied, das mich lange Zeit begleitet hat. Der Soundtrack dunkler Geschichten, die ich mich noch nicht recht niederzuschreiben getraut habe. Die schon die Grundmuster meines heutigen Schreibens in sich trugen: Macht, soziale Umbrüche, Gewalt. Nein, noch keine Liebe. Literatur ist erst gut, wenn sie Liebe in sich trägt.

https://www.youtube.com/watch?v=Mq1XPAzjJhQ

Mit zehn Jahren Borchert. Erste Begegnung mit Literatur.

Erste Klasse Mittelschule. Wir haben dieses dünne Reclambüchlein kaufen müssen. Und es lesen müssen. Drinnen sind Geschichten gewesen, die ich seither nie wirklich vergessen habe, obwohl mir Literatur nie sonderlich viel bedeutet hat.

Vielleicht sind mir diese Texte geblieben wegen dieser Schönheit, die zu schwer gewesen ist, als dass ich gewusst hätte, wohin damit.

„Es ist wegen der Ratten. Die leben doch von Toten, von Menschen.“

Der blinde Lessing

Lessing hat viel mit meiner Großmutter zu tun, denn wir kamen öfters an seinem Denkmal vorbei, wenn wir in Richtung Eisgeschäft gingen. Eines Tages erzählte sie mir folgende Fabel:

Die blinde Henne

Eine blind gewordene Henne, die des Scharrens gewohnt war, hörte auch blind noch nicht auf, fleißig zu scharren. Was half es der arbeitsamen Närrin? Eine andre sehende Henne, welche ihre zarten Füße schonte, wich nie von ihrer Seite und genoss, ohne zu scharren, die Frucht des Scharrens. Denn sooft die blinde Henne ein Korn aufgescharrt hatte, fraß es die sehende weg. […]

Als meine Großmutter fertig war mit dem Erzählen, weinte sie. Ich sah diesen Lessing an, der keine Augen mehr hatte. Und in seiner rechten Hand … hielt er da etwas von dem Korn oder hatte man ihm alles genommen?

Vor etlichen Jahren hat man das Denkmal auf einen anderen Platz gestellt. Nun liegt es nicht mehr am Weg zum Eisgeschäft sondern steht vor der Praxis meines Urologen. Das ist gut, denn so sehe ich Lessing mindestens einmal im Jahr. Und letztens hatte ich eben zufällig meine Kamera mit dabei und schoss obiges Foto.

PS. Ja, ich habe den Schlusssatz der Fabel verschwiegen. Weil ihn auch meine Großmutter nicht erwähnt hatte. Vielleicht war Lessing wirklich blind gewesen, in gewisser Weise.

Balzac und ich und meine Großmutter und Stefan Zweig

Dieses Buch-Exemplar fand ich als als Zehnjähriger auf dem Nachtkästchen meiner Großmutter. Ich fragte sie, worum es denn in dem Buch ginge. Um Balzac, antwortete sie. Und weil ich nicht wusste, wer Balzac war, sah ich mir das Bild genauer an und setzte ich ihn mit Cyrano de Bergerac gleich, dem Hässlichen mit der Nase.

Und eben mit diesem Buch haben mir meine Großmutter und Stefan Zweig zwei Jahrzehnte später eröffnet, was es heißt, Literat zu sein. In den kommenden Tagen werde ich darauf eingehen, was die Arbeitsweise des Balzac für mich bedeutet.

Schreibwerkstatt ’99: Der Wasserspeier

Letztens fiel mir folgende Schreibübung in die Hände, die aus der legendären Schreibwerkstatt von Julian Schutting 1999 in Maria Trost stammt. Es war die zweite Aufgabe. Sie lautete: Zur Kirche von Maria Trost hinüber gehen und etwas mit fremdartiger Sichtweise zu beschreiben.

Der Wasserspeier (Finale Fassung, 13.7.1999)

Wasserspeier gegenüber der Wallfahrtskirche Maria Trost. Errichtet 1934. Renoviert 1984 und zur Labung der Pilger wieder in Betrieb genommen.

Du gehst auf mich zu, ganz nahe stehst du bei meinem Gesicht, ich will mich abwenden, weil mir ekelt. Du berührst mich, ich kotze, du bückst dich zu meinen Lippen und saugst das Erbrochene ein.

Ich will dich nicht sehen! Mir tun die Augäpfel schon weh, so fest schiele ich nach rechts. Gefesselt in Stein, nur mit dem Kopf in der Welt draußen, zur Unbeweglichkeit verdammt.

Du heuchelst Interesse für die Inschrift über meinem Kopf und starrst dabei nur mich an. Hör auf damit! Ich bin häßlich, ich weiß. Ein Engelsgesicht mit Pausbacken hätte ich sein sollen, doch die Stirnfalten entlarven ich als Greis. Laß dir den Mund von einer Metallröhre entstellen, laß dir von schwitzenden Männern die Hand auf das Gesicht legen, wenn sie sich zu deinen Lippen beugen, um deinen Ausfluß zu lecken! Deinen Zorn könnte auch kein Stein für sich behalten.

Und jetzt laß mich alleine.

Hier nun die beiden vorangegangen Entwürfe, die ich auf Anraten Schuttings einkürzte:

Der Wasserspeier (Fassung 1, 12. 7. 1999)
(Feedback: zu manieriert, in der Art „Ein Christbaum erzählt“, pseudonaiv, geht nicht auf, Perspektive stimmt nicht, im Zuschauen wäre dieser Ansatz gut.)

Du gehst auf mich zu, ganz nahe stehst du bei meinem Gesicht, ich will mich abwenden, weil mir ekelt. Du berührst mich, ich kotze, du bückst dich zu meinen Lippen und saugst das Erbroche ein. Dir graut vor gar nichts, du bist wohl Schriftsteller. Davon muß es in der Nähe ein Nest geben, denn ein Dutzend deinesgleichen führt unbeflecktes Papier spazieren, ich sehe die verbissenen Gedanken, die den Kampf gegen die Allgemeinplätze längst verloren haben.
Ich schaue dich nicht an, auf den Haupteingang sehe ich, mir tun die Augäpfel schon weh, so fest biege ich meinen Blick nach rechts. Gefesselt in Stein, nur mit dem Kopf in der Welt draußen, bleibt mir nichts anderes übrig. Nur dort, auf den Stiegen, finde ich gelegentliche Abwechslung, wenn ich Brautpaare ins Glück treten sehe.
Du trinkst, als müßte ich deine geistige Leere füllen. Du ärgerst dich, daß der Strahl zu früh erlischt. Das will ich erleben, wie du mit fünfundsechzig so wie ich auf Knopfdruck Wasser lassen kannst!

Du heuchelst Interesse für die Inschrift über meinem Kopf und starrst dabei nur mich an.

Hör auf damit! Ich bin häßlich, ich weiß es selber, ein Engelsgesicht mit Pausbacken, das kitschiger ist als es selbst das Barock zuließe. Doch die Stirnfalten entlarven mich als Greis, sie verraten dir meine Leiden. Laß dir den Mund von einer Metallröhre entstellen, laß dir von schwitzenden Männern die Hand auf das Gesicht legen, wenn sie sich zu deinen Lippen beugen, um deinen Ausfluß zu lecken! Du würdest auch nicht glücklich dreinschauen.

Du trinkst noch einmal, gierig.

Ersticken sollst du an mir!

Du weichst zurück, bist du erschrocken? Weil du glaubst, mich grinsen gesehen zu haben? Du hustest, armer Mensch, die Luft will sich nicht von dir atmen lassen, vergänglicher Mensch! Du änderst deine Farbe, das kann ich nicht, du sinkst auf die Knie, das kann ich auch nicht.

Aber eines kann ich.

Dich überleben.

Der Wasserspeier (Fassung 2, 12. 7. 1999)

Mir ekelt vor dir. Du berührst mich, ich kotze, du bückst dich zu meinen Lippen und saugst das Erbrochene ein. Dir graut vor gar nichts, du bist wohl Schriftsteller.

Der Schriftsteller fährt zurück. Hat diese Worte tatsächlich jemand gesagt? Er schaut sich um. Niemand hier. Nur der Trinkbrunnen vor der Kirche. Der Schriftsteller liest die Tafeln, die anläßlich der Errichtung 1934 und der Renovierung 19xx angebracht worden sind. Der Wasserspeier erinnert den Schriftsteller an das Gesicht der barocken Engeln, die sich im Inneren der Kirche tummeln.

Ein zweiter Versuch, der Durst zwingt den Schriftsteller dazu. Er drückt nochmals den silbrigen Knopf unter dem Wasserbecken, doch das Wasser will nicht in seinen Magen.

Denn da ist das Lachen.

Der Schriftsteller hustet, das Flüssige schneidet die Luft ab, es brennt in der Nase.

Das Gesicht verliert plötzlich die kindlichen Züge. Die Stirnfalten entlarven es als Fratze eines Greises. Der Schriftsteller wendet sich ab, damit er wieder atmen kann.

P. outet sich noch nicht als Schriftsteller

Ich habe da einen Bekannten, P., der an einem spannenden Romanprojekt arbeitet. Ich fand ihn in facebook und fragte an, sein facebook-Freund zu werden.

P. verweigerte das. Mit folgender Begründung:

Ich möchte nicht, dass noch jemand von meinen literarischen Aktivitäten erfährt. Daher, bitte, auch keine Nachrichten an meine Pinnwand, die darauf hindeuten. Noch genieße ich den Freiraum, nicht auf das Schreiben angesprochen zu werden. Den möchte ich mir noch so lange wie möglich erhalten.

Dafür habe ich natürlich großes Verständnis, P. Mein Outing im breiteren privaten Umfeld gab es 1999, als ich mir wegen des Schreibens 8 Monate lang berufliche Auszeit verordnet habe (und bekam Wortmeldungen wie: „Die IT-Branche verändert sich so schnell, da wirst du den Anschluss verlieren“. Siehe auch Schreibwerkstatt ’99: Die Krise danach). Im beruflichen Umfeld habe ich mich erst geoutet, als ich den Vertrag mit Random House hatte (2002).

Aufruf an euch Eltern oder: Meine erste Kurzgeschichte

Wenn ihr einen Sohn habt
und dieser Sohn schreibt ab und zu
und ihr versteht es nicht
weil ihr eben nur Biographien und Zeitungen lest
und – klar, es ist schlecht, was er geschrieben hat!
im Vergleich zu dem, was die Autoren geschrieben haben
deren Biographien ihr gelesen habt
und von denen in Zeitungen berichtet wird.

Aber.

Ich bitte euch:
Sagt eurem Sohn irgendetwas
bloß damit es nicht 10 Jahre braucht
bis er mit dem Schreiben weitermacht.


Hier ist meine erste Kurzgeschichte. Getippt auf meinem C64 mit dem Textverarbeitungsprogramm Vizawrite. Ausgedruckt auf einem Tintenstrahldrucker. Ich habe die Geschichte mit achtzehn geschrieben. Sie ist texttechnisch nicht gut. Ich stelle sie auch nicht auf meinen Blog, damit sie oft gelesen wird. Sondern weil sie zu mir gehört.

Das waren Zeiten: Word 2.0

Damit habe ich meinen ersten Roman getippt. War ein gutes Programm. War zuverlässig. Weil Word 2.0 nicht mit so großen Dateien konnte, musste ich meinen Roman auf drei Dateien aufteilen.

Word 2.0

Da ich einen zu schmalbrüstigen Computer hatte, blieb mir bis 1997 das hier verwehrt:

Word 6.0

(Achtung: bei Word 6.0 sollte man besser die Schnellspeicherung nicht verwenden)

Ab dann wurde Word ja einigermaßen unübersichtlich:

Menüpunkte in Word

(Hier geht’s zur Quelle dieser Bilder)

Warten, sechs Jahre lang

Gabriela_42 schrieb auf amazon.de:

Thomas Wollingers Roman weckt, und das sei an den Anfang gestellt, den dringenden Wunsch, weitere Bücher des Autors zu lesen, und dies möglichst bald.

So schrieb sie am 6. Juli 2004.
Jetzt haben wir 2010.

Gabriel_42, du hast 6 Jahre gewartet. Danke. Ich bitte dich noch um etwas Geduld. Zwei Jahre bloß noch. Dann, hoffentlich, ist es soweit.

„Die Blonden verschwinden“ oder: Wie Ideen zu mir kommen

Mai 2000. Ich steckte tief in den Arbeiten zur Archäologin. Meine wichtigste Quelle war die erwähnte Anthologie, wo die Skelette der ermordeten Familie anthropologisch und archäologisch aufgearbeitet wurden. Und plötzlich, in meinem Caféhaus, tat sich mir etwas auf. In einer Tageszeitung:

Kurier 11. Mai 2000
Kurier 11. Mai 2000

Man braucht sich nur auf den Straßen umschauen. Wenn die Zuwanderung weitergeht, werden die Blonden bei uns in der nächsten Generation verschwinden.

Univ. Prof. Johann Szilvássy, Anthropologe. Zitiert im Kurier 11. Mai 2000

Szilvássy? Der Name kam mir gekannt vor … und ich schaute noch einmal auf das Cover der Anthologie. Szilvássy war einer der vier Autoren. Er leitete die antropologische Aufarbeitung der Skelette. Ja, so kommen sie zu mir, die Romanpersonen und die großen Zusammenhänge. Ganz von selbst.