Notschlafstelle für Literaten

Ich komme in Texten anderer Autoren vor. Immer öfter. Zuerst war es Margarita Kinstner, die mich in ihrer Kolumne mehrmals verewigt hatte, und nun ist Kuno Kosmos hinzugekommen. Vorgetragen beim letzten GRAUKO-Treffen, und wer ihn schon einmal gehört hat, der weiß, dass sein Vortrag Erlebnis ist.

Notschlafstelle
Kuno Kosmos

Das Arbeitszimmer von Thomas war geräumig und gemütlich und enthielt sogar eine Matratze, auf der sichs gut ruhen ließ, aber sein Besitzer hatte an diesem Abend bei gleich drei Mädels einen tiefen Eindruck hinterlassen. Sein Text bei unserer gemeinsamen Lesung handelte von Würmern, die sich erst durch den fauligen Leib einer Heiligen fressen, um dann einander gegenseitig zu verzehren, sodass immer weniger und größere Exemplare übrig blei-ben, die sich auch die Knochen der Heiligen einverleiben. Schließlich bleibt nur mehr ein Riesenwurm übrig, der als frauenschändendes Monster eine Stadt terrorisiert.

Die drei hingen den ganzen Abend an seinen Lippen, bereit, ihm zu fortgeschrittener Stunde erst die Kleider und dann die Haut vom Körper zu reißen, und es war auszuschließen, dass er die Nacht alleine verbringen würde, mit mir als scharchendem Schlafgast auf der Matratze.

Glücklicherweise hatte ich angeboten, gegebenenfalls auch in eine Notschlafstelle für Literaten auszuweichen, und dieser Plan B wurde nun schlagend. Wider Erwarten gab es tatsächlich eine solche Bleibe in Wien, Thomas nannte mir über seine Schulter hinweg die entsprechende Adresse. Ja, Wien war einfach anders. Die Kunst ließ sich hier von sekundären Dingen wie Hunger oder fehlender Unterkunft nicht unterkriegen, und aus dem brodelnden Kochtopf erschreckender Schicksale von Begabten und Begnadeten erhoben sich laufend Phönixe hinaus in die Weltbedeutung. Ich würde die heutige Nacht vielleicht zwischen zwei künftigen Nobelpreisträgern verbringen, die nur gerade eine unprospere Phase ihres genialen Schaffens durchliefen und mich mit den entscheidensten Worten meines ganzen Lebens infizierten.

Mit der Wiener U-Bahn weitgehend vertraut und mit einem Stadtplan in der Tasche stand ich um 0.30 vor einem Schild, dessen altdeutsche Aufschrift ich bis eine Stunde davor noch für unmöglich gehalten hatte: „Notschlafstelle für Literaten“. Die Tür war angelehnt und knarrte wie in einem Gruselfilm, ein wackeliger Pfeil wies auf einen schwach beleuchteten Kellerabgang im hinteren Anteil des Stiegenhauses. Während ich die abschüssigen Stufen hinab balancierte, studierte ich die in unregelmäßigen Abständen aufgehängten Portäts, teils hinter ganzem oder zerbrochenem Glas, teils ohne, und entdeckte immerhin Goethe, Brecht, Camus und Hemingway unter ihnen. Hinter einer weiteren angelehnten Tür am Ende der Stiege fand ich eine kleine Bar mit vier leeren Hockern vor. Auf dem Tresen standen halb gefüllte Gläser und Aschenbecher, Notizzettel lagen herum, ein Barkeeper aber fehlte. Ich zwängte mich vorbei zur nächsten Türe, auch diese wieder angelehnt, und betrat einen kleinen Gastraum mit einem runden Tisch in der Ecke, um den fünf Männer mittleren Alters saßen und, wenn ich die Wortfetzen im Vorbeigehen richtig wahrgenommen hatte, über Erich Fried diskutierten.

Während ich mich fragte, wie man sich hier eigentlich als Literat auswies, betrat ich durch einen Vorhang aus bunten Ketten den schummrigen Schlafsaal, ein etwa 100 m² großes Gewölbe, ausgestattet mit 50 – 60 Matratzen, von denen die meisten bereits belegt waren. Ich hatte ja nur die beiden Gedichte mit, die ich zur Lesung beigetragen hatte, im Vergleich zu Thomas‘ Text unbedeutsame Betrachtungen über neurotisches Verhalten in Wahlzellen und die Insuffizienz des Namens „Petra“ zur Beschreibung weiblicher Anmut. Niemanden schien meine Ankunft zu kümmern, also ging ich zur nächsten freien Matratze, legte meine Tasche und meine Jacke ab und setzte mich. Augenblicklich tauchte ich dabei in den bodennahen menschlichen Dunst, welchen ich in den nächsten Stunden zu atmen hätte. Ich konnte Mund-, Achsel- und Fußgerüche identifizieren, dazu Moder, Fürze, Geruch von Erbrochenem, Blut und frisch ejakuliertem Sperma. Ja, die Nacht würde lang werden in diesem Schützengraben der Literatur, aber wer sie überstand, der blieb für immer furchtlos, und nur mehr nackte Wahrheit würde seiner Feder entfließen, direkt auf die Rückseiten der Urkunden und Preise, welche es laufend dafür hageln würde.
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Schreibanfänge und das Würfelreich. Kuno Kosmos im Interview.

Über das Beschreiben dieses Würfelreichs in allen möglichen Aspekten und das Verfassen dieses Monsterwerkes Panta Cubo – es ist ja nicht fertig geworden ist, es hätten ja 12 Bücher werden sollen – bin ich wieder zum Schreiben gekommen und habe mir eine gewisse Schreibroutine angeeignet, die es mir ermöglicht, meine Texte ohne großen Reibungsverlust aufs Blatt zu bringen beziehungsweise in den PC zu bringen.

Vom Schreiben etwas über sich selbst lernen. Kuno Kosmos im Interview.

Wie man eine Frage anders verstehen kann! Ich habe Kuno gefragt, was er über das Schreiben gelernt hat. Ich meinte dies in Hinblick auf seine Schreibtechnik und wollte wissen, ob sich die verbessert habe – er hingegen redete über das Lügen.

In diesem Interview gibt es Einblick in die Spam-Story, sein aktuelles Romanprojekt, das eine betrügerische Seite des Internets zum Thema hat: 419 scam (Vorschussbetrug).

Es ist ein großes Abenteuer: Über das Schreiben epischer Texte. Kuno Kosmos im Interview.

Da bin ich völlig drin, und ich kann genau beschreiben, wie die Räume ausschauen, wie das Licht ist, wie nahe die Personen sind, und es ist praktisch automatisch, was sie dann sagen. Ganz kleine Abweichungen von der Szene sind schon möglich, ich konzipiere die Szene nie völlig durch, sondern immer nur einen gelungenen Anfang, und während des Schreibens ergibt sich automatisch, wie es weitergehen musste.

Handschriftliches und Rhythmuszeichen. Kuno Kosmos im Interview.

Über den Schwellwert, den ein Einfall überschreiten muss, um die Ehre zu erlangen, in den Computer getippt zu werden. Über bislang siebzig Büchleins mit Gedankenblitzen. Über abgebrochene Versuche und den Umgang mit Rhythmus.

Liebe ist biogenes Motivationssystem zur Zeugung von Nachkommenschaft.

Inspiration und Melodie. Kuno Kosmos im Interview.

Kuno Kosmos, GRAUKO, erzählt, wie in ihm Gedichte und Romankapitel entstehen.

Dies ist ein Interview über die Melodie, die den Text umhüllt und begleitet, über Grübel- und Wartevorgänge, über tagelange Vorarbeiten und das rauschartige Niederschreiben.

Hier die Biografie von Kuno Kosmos, die ich www.grauko.com entnommen habe:

Mit dem Schreiben ist es ähnlich wie mit dem Lernen von Fremdsprachen: kann man erst einmal eine, lassen sich die nächsten immer schneller lernen.

Meine ersten Texte schrieb ich mit 4, in einer selbst erhorchten Lautschrift. Mit 7 lernte ich das „echte“ Schreiben, genierte mich für mein bisheriges Gekritzel und feierte erste Erfolge mit Schulaufsätzen. Mit 12 erfasste mich eine breit gestreute Schreibwut. Es begann mit geheimen Drohbotschaften an eine verehrte Klassenkollegin, dann kamen Gstanzln, Kurzgedichte und Liedtexte hinzu. Ein Jahr später entstand mein erster „Roman“, stolze 27 Seiten lang. Gedichte ereilten mich in Folge regelmäßig und wurden auch zum Gaudium von Freunden vorgetragen. Kurzgeschichten schlossen sich an, eine Novelle mit latinisierten Turmsätzen, mehrere Szenen eines Theaterstücks, Übersetzungen von englischen Liedtexten.

Mit 26 begann meine Prosa-Phase mit den Schwerpunkten Sozialutopie, Neurobiologie und Philosophie (oder was davon noch übrig blieb). Berufsbedingt erlernte ich auch das didaktische und wissenschaftliche Schreiben. Eine umfangreiche Phantasiegeschichte erbrachte ein Epos mit 5000 Versen, aufgeteilt in 99 Kapitel und mit 1111 Fußnoten garniert; fünf Jahre dauerte dieses Vergnügen.

Ich nehme gerne Bezug auf das Hier und Heute. Meine Wahrnehmung ist zoomish, meine Verarbeitung rauschhaft. This is my Revier, is ein Teil von mir, my imperium, regno ergo sum. Die am meisten überraschenden Einfälle habe ich knapp vor dem Einschlafen, kurz nach dem Aufwachen und während des Überfahrens einer roten Ampel. Sind es Gedichte, so sind sie melodisch verknüpft. Ich trage sie daher auch singend vor.

Derzeit beschäftige ich mich mit 419-Scam, einer, wie es aussieht, literarisch unterschätzten und alles andere als brotlosen Schreibkunst.