Ist ein Schweineherz kitschig?

Angelika (13) lässt sich von einem Freund (dessen Eltern eine Fleischerei haben) ein Schweineherz schenken.

Bei ihr dreht sich in den letzten Monaten alles um ihr Herz, um Leben und Transplanation. Sie kennt Abbildungen, Videos, Meinungen, Befunde. Timon wiederum hat ihr gesagt, dass er etwas erst dann wirklich begreift, wenn er es angegriffen, berührt hat. Timon ist ein haptischer Mensch, der ohne Geruchssinn auf die Welt gekommen ist.

Darum will Angelika das Herz berühren. Be–greifen. Und Schweineherzen, so hört man, sind Menschenherzen sehr, sehr ähnlich.

Nun: ist das kitschig? Was mir in diesem Zusammenhang hilft, ist GRAUKO. Auf die Kitschgefahr angesprochen, sagte Isolde einmal zu mir: „Schreib nur drauflos, Thomas. Wenn etwas kitschig ist, kürzen wir es dir schon.“ – Und die anderen GRAUKO-Mitglieder nickten beipflichtend.

Kitsch – Das soll was sein, ist aber nichts

„Kitsch ist die Darstellung von etwas Großem mit unzureichenden Mitteln. […] Kitsch bedeutet vor allem ein Zuviel: Das Zuviel an Gefühl in der Metaphorik, das gesucht Altertümelnde in der Wortwahl, als einschmeichelnde Seligkeit oder das Vorspiegeln einer real unerlebbaren Emotion. […] Kitsch benutzt Klischees. Gut dressiert wissen wir, dass unter weißen Haaren reiche Lebenserfahrung steckt, der Obdachlose ein großes Herz hat und Kinder immer die Wahrheit sagen. Dass die meisten auf diese Reize so gut dressiert sind, spart dem Autor und den Lesern Zeit und lästiges Nachdenken.“ (Angela Leinen)

Ich habe es an mir erlebt, wie gut es funktioniert. Wie ich ausgeliefert vor dem Fernseher hocke, das Schiff eben versunken, und das Mädel liegt auf dem herumdümpelnden Klavier. Der junge Mann, den sie liebt, schwimmt, weil es auf einem schwimmenden Klavier eben keinen Platz für zwei gibt. Er sagt ihr, dass alles gut werden wird, und sein Hauch gefriert in der eiskalten Luft. Dann ist er tot. Mir kommen die Tränen – da nützt es gar nichts, dass ich die Register benennen kann, die James Cameron an mir gezogen hat: junger Mann liebt junge Frau, junge Frau soll anderen Mann heiraten, junger Mann ist arm, junge Frau ist aus reicher Familie, und so weiter. Alle Versatzstücke schon tausendmal dagewesen, der Film erspart mir weiteres Nachdenken, ich spüre gleich, woran ich bin. Aber weil es funktioniert mit den Gefühlen, gelten Titanic und Avatar nicht als Kitsch. – Das soll was sein, und es ist etwas.

(Die Zitate stammen von Angela Leinen: Wie man den Bachmannpreis gewinnt, Seiten 53/54)

Schund, Brainfuck, Kitsch und Experiment

Schund: Text, in dem es der Autor dem Leser zu leicht macht.

Brainfuck: Text, in denen es der Autor dem Leser zu schwer macht.

Kitsch: Text, der mit billigen Lockmitteln versucht, den Leser da abzuholen, wo er steht.

Experiment: Text, bei dem der Autor überhaupt keinen Wert darauf legt, dass der Leser etwas versteht.

(Diese recht praktikablen Literaturrandkategorien stammen von Angela Leinen: Wie man den Bachmannpreis gewinnt, Seite 53)