Letztens fiel mir folgende Schreibübung in die Hände, die aus der legendären Schreibwerkstatt von Julian Schutting 1999 in Maria Trost stammt. Es war die zweite Aufgabe. Sie lautete: Zur Kirche von Maria Trost hinüber gehen und etwas mit fremdartiger Sichtweise zu beschreiben.
Der Wasserspeier (Finale Fassung, 13.7.1999)
Wasserspeier gegenüber der Wallfahrtskirche Maria Trost. Errichtet 1934. Renoviert 1984 und zur Labung der Pilger wieder in Betrieb genommen.
Du gehst auf mich zu, ganz nahe stehst du bei meinem Gesicht, ich will mich abwenden, weil mir ekelt. Du berührst mich, ich kotze, du bückst dich zu meinen Lippen und saugst das Erbrochene ein.
Ich will dich nicht sehen! Mir tun die Augäpfel schon weh, so fest schiele ich nach rechts. Gefesselt in Stein, nur mit dem Kopf in der Welt draußen, zur Unbeweglichkeit verdammt.
Du heuchelst Interesse für die Inschrift über meinem Kopf und starrst dabei nur mich an. Hör auf damit! Ich bin häßlich, ich weiß. Ein Engelsgesicht mit Pausbacken hätte ich sein sollen, doch die Stirnfalten entlarven ich als Greis. Laß dir den Mund von einer Metallröhre entstellen, laß dir von schwitzenden Männern die Hand auf das Gesicht legen, wenn sie sich zu deinen Lippen beugen, um deinen Ausfluß zu lecken! Deinen Zorn könnte auch kein Stein für sich behalten.
Und jetzt laß mich alleine.
Hier nun die beiden vorangegangen Entwürfe, die ich auf Anraten Schuttings einkürzte:
Der Wasserspeier (Fassung 1, 12. 7. 1999)
(Feedback: zu manieriert, in der Art „Ein Christbaum erzählt“, pseudonaiv, geht nicht auf, Perspektive stimmt nicht, im Zuschauen wäre dieser Ansatz gut.)Du gehst auf mich zu, ganz nahe stehst du bei meinem Gesicht, ich will mich abwenden, weil mir ekelt. Du berührst mich, ich kotze, du bückst dich zu meinen Lippen und saugst das Erbroche ein. Dir graut vor gar nichts, du bist wohl Schriftsteller. Davon muß es in der Nähe ein Nest geben, denn ein Dutzend deinesgleichen führt unbeflecktes Papier spazieren, ich sehe die verbissenen Gedanken, die den Kampf gegen die Allgemeinplätze längst verloren haben.
Ich schaue dich nicht an, auf den Haupteingang sehe ich, mir tun die Augäpfel schon weh, so fest biege ich meinen Blick nach rechts. Gefesselt in Stein, nur mit dem Kopf in der Welt draußen, bleibt mir nichts anderes übrig. Nur dort, auf den Stiegen, finde ich gelegentliche Abwechslung, wenn ich Brautpaare ins Glück treten sehe.
Du trinkst, als müßte ich deine geistige Leere füllen. Du ärgerst dich, daß der Strahl zu früh erlischt. Das will ich erleben, wie du mit fünfundsechzig so wie ich auf Knopfdruck Wasser lassen kannst!Du heuchelst Interesse für die Inschrift über meinem Kopf und starrst dabei nur mich an.
Hör auf damit! Ich bin häßlich, ich weiß es selber, ein Engelsgesicht mit Pausbacken, das kitschiger ist als es selbst das Barock zuließe. Doch die Stirnfalten entlarven mich als Greis, sie verraten dir meine Leiden. Laß dir den Mund von einer Metallröhre entstellen, laß dir von schwitzenden Männern die Hand auf das Gesicht legen, wenn sie sich zu deinen Lippen beugen, um deinen Ausfluß zu lecken! Du würdest auch nicht glücklich dreinschauen.
Du trinkst noch einmal, gierig.
Ersticken sollst du an mir!
Du weichst zurück, bist du erschrocken? Weil du glaubst, mich grinsen gesehen zu haben? Du hustest, armer Mensch, die Luft will sich nicht von dir atmen lassen, vergänglicher Mensch! Du änderst deine Farbe, das kann ich nicht, du sinkst auf die Knie, das kann ich auch nicht.
Aber eines kann ich.
Dich überleben.
Der Wasserspeier (Fassung 2, 12. 7. 1999)
Mir ekelt vor dir. Du berührst mich, ich kotze, du bückst dich zu meinen Lippen und saugst das Erbrochene ein. Dir graut vor gar nichts, du bist wohl Schriftsteller.
Der Schriftsteller fährt zurück. Hat diese Worte tatsächlich jemand gesagt? Er schaut sich um. Niemand hier. Nur der Trinkbrunnen vor der Kirche. Der Schriftsteller liest die Tafeln, die anläßlich der Errichtung 1934 und der Renovierung 19xx angebracht worden sind. Der Wasserspeier erinnert den Schriftsteller an das Gesicht der barocken Engeln, die sich im Inneren der Kirche tummeln.
Ein zweiter Versuch, der Durst zwingt den Schriftsteller dazu. Er drückt nochmals den silbrigen Knopf unter dem Wasserbecken, doch das Wasser will nicht in seinen Magen.
Denn da ist das Lachen.
Der Schriftsteller hustet, das Flüssige schneidet die Luft ab, es brennt in der Nase.
Das Gesicht verliert plötzlich die kindlichen Züge. Die Stirnfalten entlarven es als Fratze eines Greises. Der Schriftsteller wendet sich ab, damit er wieder atmen kann.