Ich werde gefragt, wie ich zu meinen Romanpersonen komme.
Nun, sie kommen zu mir. Manchmal begegnen sie mir, nachdem sie ihren Platz in meinem Roman gefunden haben. Wohl weil ich erst dann bereit bin für eine solche Begegnung.
Vorigen Sonntag im Zug, auf meinem Heimweg vom GRAUKO-Treffen. Da kam ein Mann in den Großraumwaggon, hereingeführt von einem Schaffner. Der Mann – wohl an die sechzig Jahre alt – hatte den Platz mir gegenüber reserviert. Er faltete seinen weißen Teleskopstock und legte ihn auf seine Sitzfläche. Mit oszillierenden Fingerbewegungen ertastete er die Gepäckablage über ihm – dort verstaute seine Tasche. Er sagte „Entschuldigung“, als er mich streifte. Er sagte: „Ich seh‘ nichts.“ Er streifte sich die Jacke ab, er ertastete die Position des Kleiderhakens zwischen seinen Fenstern, er hing die Jacke auf. Er setzte sich, der gefaltete Teleskopstock hinter ihm auf dem Sitz. Er roch meinen Kaffee und sagte es. Wir redeten. Über Bücher die er las, und das, was ich schrieb.
Ich beobachtete seine Bewegungen, prägte mir seine tiefe Stimme ein, seine umsichtigen, langsamen Bewegungen und gleichzeitig diese flinken Finger, mit denen er binnen Kurzem die Umgebung vermisst.
Eine zentrale Person in meinem Roman ist ein blinder, alter Mann. Eine sehr aktive Gestalt. Einer, der den Überblick hat, über das was war und das, was nicht offensichtlich ist.