Zugfahrt mit einem Blinden

Ich werde gefragt, wie ich zu meinen Romanpersonen komme.

Nun, sie kommen zu mir. Manchmal begegnen sie mir, nachdem sie ihren Platz in meinem Roman gefunden haben. Wohl weil ich erst dann bereit bin für eine solche Begegnung.

Vorigen Sonntag im Zug, auf meinem Heimweg vom GRAUKO-Treffen. Da kam ein Mann in den Großraumwaggon, hereingeführt von einem Schaffner. Der Mann – wohl an die sechzig Jahre alt – hatte den Platz mir gegenüber reserviert. Er faltete seinen weißen Teleskopstock und legte ihn auf seine Sitzfläche. Mit oszillierenden Fingerbewegungen ertastete er die Gepäckablage über ihm – dort verstaute seine Tasche. Er sagte „Entschuldigung“, als er mich streifte. Er sagte: „Ich seh‘ nichts.“ Er streifte sich die Jacke ab, er ertastete die Position des Kleiderhakens zwischen seinen Fenstern, er hing die Jacke auf. Er setzte sich, der gefaltete Teleskopstock hinter ihm auf dem Sitz. Er roch meinen Kaffee und sagte es. Wir redeten. Über Bücher die er las, und das, was ich schrieb.

Ich beobachtete seine Bewegungen, prägte mir seine tiefe Stimme ein, seine umsichtigen, langsamen Bewegungen und gleichzeitig diese flinken Finger, mit denen er binnen Kurzem die Umgebung vermisst.

Eine zentrale Person in meinem Roman ist ein blinder, alter Mann. Eine sehr aktive Gestalt. Einer, der den Überblick hat, über das was war und das, was nicht offensichtlich ist.

Meine Affirmation zum heutigen Schreibtag

Ich habe 3 Stunden. Diese Zeit nutze ich, indem ich mich intensiv in meine Romanperson Dagmar hineinspüre (und die mindmaps ergänze).

Es ist nicht mein Ziel, Worte im Roman zu tippen. Den Erfolg des heutigen Tages messe ich nicht anhand der Vergrößerung des Textdokuments. Den heutigen Erfolg fühle ich, weil ich Dagmar näher gekommen bin.

Kopflastig

Unlängst fragte mich eine Kollegin: „Wie gehst du mit der ganzen Kopflastigkeit um? Ich versuche nämlich oft, davon wegzukommen. Würde mich interessieren, wie du das siehst.“

„Kopflastig“ definiere ich für mich als „viel denken und viel reflektieren“. Es gibt Gedanken, die gut tun, und solche, die nicht gut tun. Nicht gut sind jene, die ich mal „Sorgengedanken“ nenne. Sprich, das Durchspielen von Szenarien, was denn alles so in der Zukunft an schlimmen Dingen passieren könnte (damit meine ich Überlegungen, die über das konstruktive Lösungsfinden hinausgehen) – denn ich werde mich niemals besser fühlen, alleine dadurch, dass ich mich in künftige Probleme hinein versetze. Sondern indem ich meine Einstellung ändere („Das, was ich mir wünsche, tritt ein.“) – denn ich schaffe mir selbst ja meine Realität. Ich bestimme selbst, wie ich mich fühle (Siehe Gesetz der Anziehung). Manchmal gelingt es mir, mich bewusst besser zu fühlen, manchmal geht es eben nicht, auch das gehört dazu, man ist ja keine Maschine, und ich habe das Recht, mich auch mal mies zu fühlen.

Als Autor habe ich ein ganz tolles Instrument, um Kopflastigkeit in etwas Konstruktives zu kanalisieren: ich erschaffe Personen, in die ich meine Gedanken hineinlege – und je intensiver ich das mache, desto besser (treffsicherer, emotionaler) werden die Texte. Dort sind sie gut geparkt, meine Zweifel und Befürchtungen. Und die Freude natürlich auch! Die wertvollen Begegnungen. Die Liebe für etwas oder für jemanden. Als Autor habe ich quasi kein Gefühl umsonst durchlebt, denn alles ist Teil des Reichtums, aus dem ich für mein Werk schöpfe.

Sich die richtigen Ziele setzen

Sitze mit Barbara Jascht in der Kremser Morgensonne. Wir reden über Ziele. Die meisten Menschen stellen sich die Frage, ob sie ihren Zielen gerecht werden. Dabei ist die Frage anders zu stellen: Werden die Ziele ihnen gerecht? Passen die Ziele zu den Menschen?

Also: Wie passt das Ziel Ich will gut schreiben? Liegt zu fern in der Zukunft! Besser: Ich schreibe gut? Viel zu zurückhaltend. Literaturpreise bekommt man nicht mit schlichtem Gutschreiben. Ich schreibe verdammt gut – klingt schon besser, weil emotionaler. Ich gebe mich nicht mit dem Mittelmaß zufrieden? – Kein Mittelmaß ist okay, doch: was will ich stattdessen? Ich gehöre zu den besten Autoren Österreichs? Klingt schon brauchbarer … Meine Aufgabe ist es, meine Ziele für mich zu definieren, so, dass sie zu mir passen. Ich will so gut schreiben, dass ich mich für den Literaturnobelpreis qualifiziere. – Was bitte sehr heißt qualifizieren? Also, Thomas, willst du nun den Nobelpreis oder nicht? Hast du Angst dir so ein Ziel zu setzen?

Das Geheimnis liegt darin, so zu leben, als wäre es schon passiert.

Die Affirmation zum heutigen Schreibtag

Ich lasse mich voll und ganz auf die Beziehung von Timon und Sophie ein. (=Meine Personen im Roman). Alles, was ich brauche, trage ich schon in mir (seien es recherchierte Fakten oder Emotionen). Ich spüre, dass ich bei den beiden bin. Ich gebe den beiden Gelegenheit, sich mir zu öffnen, genauso, wie ich mich den beiden öffne.