Der Mörder und seine Biographen

Nun, wo sich die Arbeiten an unserem gemeinsamen Roman dem Ende zuneigen, haben Isolde und ich den zugehörigen Elevator Pitch geschrieben:

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Was als literarisches Eintauchen in die Sinnlichkeit einer mediterranen Insel beginnt, wird zum Horrortrip für zwei Schriftsteller, als sie gezwungen werden, die Biographie für einen gejagten Kriegsverbrecher zu schreiben. Dieser Mann zieht sie immer tiefer in den Kosmos der Insel, und er lässt sie spüren, wie eng ihre beiden Leben von Kindheit an mit den Ereignissen des letzten Kriegs verwoben sind.

Diese beiden Schriftsteller aus Österreich können unterschiedlicher nicht sein: ein 40jähriger Thriller-Autor und eine 23jährige Lyrikerin gewinnen das Aufenthaltsstipendium auf der Insel und sehen sich gezwungen, den Sommer im selben Haus zu verbringen. Die beiden dringen Schicht um Schicht zum Wesen der Insel vor – jeder auf seine ganz eigene Weise, ihre beider Wahrnehmungen sind geprägt von der Art, wie sie literarisch arbeiten. Und am Ende stehen sie Peter gegenüber, dem charismatische Herrscher der Insel.

Peters Krieg haben alle Waffenstillstände nichts anhaben können, ebensowenig die Versuche, ihn zu töten. Er führt den beiden Schriftstellern auf grausame Weise vor, wie der Krieg ihre beiden Leben schon immer im Griff gehabt hat. Für ihn ist Krieg eine Abfolge von Ereignissen, die sich jedem freien Willen entziehen; so ist er der Treibende und gleichzeitig auch nur Getriebener. Und er braucht die Schriftsteller, damit sie sein Leben niederschreiben – nicht, um seine Taten zu schönen, sondern um der Welt den freien Willen wegzuargumentieren.

Dies ist der Roman eines heißen Sommers, in dem die beiden Schriftsteller nicht nur um ihr Überleben kämpfen, sondern auch darum, ihren freien Willen zu behalten.

Diesen Beitrag widme ich allen, die sich davor drücken, den Elevator Pitch ihres Romans frühzeitig zu schreiben. (Also ist er mir gewidmet)

Sehr gelungen schrieb Stephan Waldscheidt unlängst in schriftzeit:

Sie gehören auch zu den Autoren, die das Exposé zu Ihrem Roman erst schreiben, wenn es zu spät ist.

Ja, zu spät.

Das ist keine Frage, sondern eine statistische Erkenntnis aus meinen Beratungen, Workshops und Gutachten. Die meisten unerfahrenen Autoren […] beginnen ihren Roman ganz ohne Leitfaden. Ein Großteil der anderen hält eine Kurzzusammenfassung des Inhalts für eine gute Idee. Bricht dann aber mittendrin ab, weil der Schreibdrang zu groß wird, doch endlich richtig mit dem Projekt loszulegen. Für das Exposé bleibt ja später noch Zeit. Dann wird es vergessen, weil der Roman gerade so gut flutscht. Im Moment braucht man es offenbar noch nicht.

Diese Denke hat beinahe so viele Romane auf dem Gewissen wie das Internet und sonstige Schreib-Ausreden.

Ein Teil der Autoren bleibt irgendwann stecken und wünscht sich, vorher ein Exposé geschrieben zu haben. Die, die weiterschreiben bis zum Ende, scheinen besser dran. Ein Irrtum. Sie sind die eigentlich Leidtragenden. Denn steht ein Roman erst einmal in seiner vollen, vierhundertsechsundachtzig Normseiten prallen Pracht auf dem Papier, sorgt er für eine der gefährlichsten Illusionen im Autorendasein: die Fertige-Roman-Illusion.

Für mich ein Ansporn, meine Hausaufgaben für „ausgegraben“ zu machen.

Wie schreibe ich einen Elevator Pitch?

Der Elevator Pitch hat zum Ziel, das Wesen des Romans zu vermitteln – und das Wesen eines jeden literarischen Werks sind seine Emotionen. Genau dann, wenn die Emotionen ankommen, wird die Leserin neugierig und die Literaturagentin bittet um das Manuskript.

Ich könnte etwa folgendermaßen beginnen…

Als junger Mann entflieht W. dem Stadtleben und siedelt sich zuerst in einer unbenannten Stadt, danach im benachbarten idyllischen Dorf „Wahlheim“ an. Er genießt es, in der Natur umherzustreifen und verarbeitet seine Eindrücke immer wieder durch Zeichnungen. Eines Tages lernt Werther den Amtmann kennen, der ihn zu sich einlädt. Werther schiebt den Besuch jedoch auf und hat ihn bald vergessen… (Quelle: Wikipedia)

Da jedoch muss sich die Leserin durch etliche Sätze ackern, bis sie zum Wesen der Geschichte kommt.

Beim Elevator Pitch reißt schon der erste Satz mit. Jeder weitere Satz verstärkt die Emotion, steigert die Spannung, schafft noch mehr Neugierde. Ein Elevator Pitch ist viel zu knapp, um Unnötigem Raum zu bieten. Kürzen! Kürzen!

Ein junger Rechtspraktikant verliebt sich in eine Frau, die bereits einem anderen Mann versprochen ist. Er schafft es nicht, sie für sich zu gewinnen. Seine Liebe und sein Leiden formuliert er in bewegenden Briefe an einen Freund. Im letzten Brief kündigt er seinen Selbstmord an.

Auch hier: es darf noch mehr Emotion sein! Darum, werte Blogleserin, schreib doch du einen mitreißenden Elevator Pitch zu diesem Werk…

„Um was geht es in deinem Roman?“ – Mein Elevator Pitch

Der Roman erzählt von einem jahrhundertealten Spital, dem Violanum. Seine mystische Gründerin Viola ist seit fast vierhundert Jahren verschollen. Ihr Wirken hat über Generationen hinweg eine Gesellschaft geformt, die sich gänzlich dem Violanum verschreibt und es, wenn nötig, mit Gewalt verteidigt.

Sophie, eine junge Archäologin, findet Violas Skelett. Dieser Fund zieht Sophie in einen Machtkampf: Die Leiterin des Violanums ringt mit ihrer Tochter, wie das Werk Violas weiterzuführen wäre. Sophies Fund stellt alles in Frage, worauf sich das Violanum gründet. Daraufhin stirbt Sophie, hochschwanger, bei einem Brand.

Der Roman beginnt damit, dass der Freund von Sophie und Vater des Ungeborenen, Timon, zum Violanum reist. Bald kämpft er gegen jene jahrhundertealten Kräfte, die Sophie getötet haben.

Dies ist die zweite Fassung meiner Inhaltsangabe. Die erste Fassung, paar Stunden zuvor entstanden, lautete:

Der Roman handelt von der Rivalität von Mutter und Tochter, die darum ringen, wie ein alteingesessenes Spital zu leiten sei. Beide sind Nachfahren von Viola, der mystischen Spitalsgründerin, die seit fast vierhundert Jahren verschollen ist.

Sophie, eine schwangere Archäologin, findet das Skelett von Viola. Damit gerät sie zwischen die Fronten. Ihr Fund stellt alles in Frage, worauf das Violanum seit Jahrhunderten gegründet ist. Bevor die Erkenntnisse bekannt werden, stirbt Sophie bei einem Brand.

Der Roman beginnt damit, dass Timon, Vater des Ungeborenen, in die Ortschaft kommt, um das Geschehene für sich aufzuarbeiten.

Auf diese erste Fassung bekam ich von E. folgende Rückmeldung: »Naja ehrlich gesagt find ichs nicht sehr spritzig, Neugierde weckend und spannend. Eher wie wenn mich wer über etwas informiert, als mich für etwas zu gewinnen«

Deshalb stellte ich das Jahrhundertealte und Mystische an den Beginn, und nun erntete ich ein »Schon um einiges besser.« – Danke, E., für’s Feedback! Du siehst, ich lass‘ mir was sagen :-)

Elevator Pitch

Eine berühmte Autorenfrage lautet: Wie schreibe ich ein Resumée?

Meine Einstellung dazu: Vergiss es. Du brauchst etwas, das den Lektor/Agenten hinter dem Ofen hervorholt. Einen Elevator Pitch.

Stellen wir uns vor, ich begegne einem Verleger in einem Lift. Ich habe ein paar Stockwerke Zeit, ihn zu überzeugen, mein Manuskript zu lesen – was sage ich ihm? (Oder meine ich, die Handlung meines Romans ist so vielschichtig, der kann ich in wenigen Worten nicht gerecht werden, und wir beide stehen also schweigend nebeneinander, bis der Verleger endlich aussteigt und ich mir nicht mehr überlegen muss, ob ich etwas sagen sollte?)

Eine E–Mail bietet heutzutage nicht mehr Chance als eine gemeinsame Liftfahrt:

Ich wache auf, wenn ich eine Mail von einer Autorin bekomme, die darauf verzichtet, mir Gebrauchs– und Interpretationsanweisungen für ihr Manuskript und ihr Leben anzubieten. Die stattdessen das Konzentrat ihrer Geschichte in 5 bis 10 Sätzen so dosiert, dass jeder davon unverzichtbar ist. Und die seltene Begierde erwecken, davon noch 1000 bis 10000 Sätze mehr lesen zu wollen.

(Christine Koschmieder, Literaturagentin, in: Angela Leinen: Wie man den Bachmannpreis gewinnt Seite 112)

Ein Elevator Pitch ist schwierig. Er gelingt mir nicht beim ersten Mal. Auch nicht beim fünften Mal. Er ist der Prüfstein meiner Idee. Ob meine Idee trägt. Denn eine gute Idee lässt sich kurz und bündig vermitteln (was nicht heißt, dass alles, was bündig formulierbar ist, eine gute Idee darstellt). Ist der Elevator Pitch nicht mitreißend, kann das daran liegen, dass ich noch kein gutes Konzept meines Romans habe, dass ich das Wesentliche noch nicht spüre.

Ich teste meinen Elevator Pitch laufend bei Menschen, die mich noch nicht kennen und die mir mit den üblichen Fragen kommen (Und was machst du so? – Ich schreibe Romane. – Und was für Romane?). Wenn ich nachher mit geweiteten Augen angeschaut werde, wenn ich ein Das–Ist–Aber–Spannend höre, dann habe ich gewonnen. Wenn ich hingegen Fragen oder Zweifel sehe, dann habe ich ebenfalls gewonnen – nämlich die Chance, meinen Zugang zum Roman zu verbessern.

Partyszenario

Geht ein Autor auf eine Party, hat er sich auf folgendes Szenario einzustellen:

Mensch: Ich habe gehört, du schreibst.

Autor: Ja.

Mensch: Was denn?

Autor: Einen Roman.

Mensch: Und worum geht es?

Das ist ein guter Test, ob der Autor dem Wesen seines Romans schon so nahe ist, als dass er es innerhalb der durchschnittlichen Aufmerksamkeitsspanne eines durchschnittlichen Partybesuchers vermitteln kann (Siehe auch Artikel zum Thema Inhaltsangabe). Bei mir war es letztens folgendermaßen:

Autor: Die Geschichte handelt von einem Krankenhaus, das vierhundert Jahre alt ist. Es wurde im 30jährigen Krieg von einem sehr reichen Söldnerführer gegründet. Für eine Frau, die er sehr geliebt hat. Diese Frau war eine Art Krankenschwester, und sie hatte den Mann gesund gepflegt. Er wollte sie heiraten, aber sie lehnte ab. Denn er ist einer, der vom Krieg profitiert und den Krieg schürt. Also, was tut man in so einer Situation, wenn einem eine Frau zurückweist?

Mensch: (schaut)

Autor: Richtig! Man baut ihr ein Krankenhaus. Damit sie es leitet. Und das geht auch einige Jahre gut. Doch dann, 1645, kamen die Schweden und plünderten alles und Viola – so hieß die Frau – war seither verschwunden. Der Mann blieb alleine zurück, und in seinen letzten Lebensjahrzehnten sorgte er mit einer Stiftung dafür, dass dieses Krankenhaus die Generationen überstehen würde.

Mensch: (nippt Alkohol)

Autor: Der Roman beginnt damit, dass eine schwangere Archäologin das Skelett der verschollenen Krankenhausgründerin findet. Und ermordet wird. Ihr Freund und Vater des Kindes kommt in den Ort, um für sich herauszufinden, was passiert ist. Um mit seinem Verlust klar zu kommen. So verstrickt er sich immer mehr in eine Geschichte, die von vierhundert Jahren begonnen hatte.

Mensch: Das ist ja wie ein Hollywoodfilm …

Autor: Äh, ja. Hmm.

Inhaltsangabe oder: Mein Roman in 320 Zeichen

„Ah, du schreibst einem Roman. Interessant. Worum geht es denn?“

Wenn ich imstande bin, auf diese Frage bündig zu antworten, bin ich mir über das Wesen meines Romans im Klaren. Eine gute Idee zeichnet sich dadurch aus, dass ich sie treffend vermitteln kann – was nicht heißt, dass es mir leicht fällt, sie treffend zu vermitteln („Simple but not easy“).

Hier nun meine Antwort im Format einer doppelten SMS:

Im Zentrum des Romans steht ein jahrhundertealtes Krankenhaus. Seine mythische Gründerin Viola ist seit dem 30jährigen Krieg verschollen. Jahrhunderte später entdeckt eine junge, schwangere Archäologin Violas Skelett – daraufhin wird sie ermordet. Nun kommt ihr Freund in die Stadt, um mit dem Verlust fertig zu werden.