Ein Schriftstellerwitz oder: Ich schreibe, weil ich muss

Nicht was er schreibt, ist das vorrangige Ziel des Schriftstellers. Sein vorrangiges Bedürfnis ist das Schreiben – so sagte es André Gorz in seinem letzten Werk, dem „Brief an D.“

Wahre Autoren schreiben, weil sie müssen. Und nicht nur deshalb, damit sie veröffentlicht werden. Der folgende Witz bringt es – wohl unfreiwillig – auf den Punkt.

Ein Schriftsteller ist gestorben und kommt ans Himmelstor. Dort erwartet ihn Petrus und sagt: “Gratuliere, Sie sind fürs Schriftstellerparadies vorgesehen.”

Im Paradies sieht der Schriftsteller andere Schriftsteller, die auf feurigen Stühlen vor rot glühenden Tastaturen sitzen. Bei jedem getippten Buchstaben verbrennen sie sich die Finger. Sie jammern und klagen. “Wenn das das Paradies ist,” meint der Schriftsteller, “dann möchte ich doch gern mal die Hölle sehen.”

Die beiden fahren mit dem Aufzug eine Million Stockwerke nach unten und landen in der Schriftstellerhölle. Und die ist so: Schriftsteller sitzen auf feurigen Stühlen vor rot glühenden Tastaturen, bei jedem Buchstaben, den sie tippen, verbrennen sie sich die Finger, und sie jammern und klagen.
“Wo ist denn da bitte der Unterschied?”
“Die hier unten finden keinen Verleger.”

(Quelle: Montségur)

Das vorrangige Ziel des Schriftstellers

Nicht was er schreibt, ist das vorrangige Ziel des Schriftstellers. Sein vorrangiges Bedürfnis ist das Schreiben.

Schreiben heißt, sich von der Welt und von sich selbst absentieren, um möglicherweise daraus den Stoff für literarische Bearbeitungen zu machen.

Die Frage nach dem behandelten „Thema“ stellt sich erst in zweiter Linie.

André Gorz, Brief an D.

Einen Schriftsteller lieben heißt …

Du hast Dich, wie Du sagtest, mit jemandem vereint, der nicht leben konnte, ohne zu schreiben, und Du wusstest, dass jemand, der Schriftsteller sein will, die Möglichkeit haben muss, sich zurückzuziehen, zu jeder Tages und Nachtzeit Notizen zu machen; dass seine Arbeit an der Sprache sich noch lange, nachdem er den Stift weggelegt hat, fortsetzt und plötzlich, mitten in einer Mahlzeit oder einer Unterhaltung, von ihm Besitz ergreifen kann. […]

Einen Schriftsteller lieben heißt lieben, dass er schreibt, sagtest Du. „Also schreib!“

André Gorz, Brief an D.

Wie vermittelt ein Text die Liebe, die Freude und das Schöne?

Bald wirst Du jetzt zweiundachtzig sein. Du bist um sechs Zentimeter kleiner geworden, Du wiegst nur noch fünfundvierzig Kilo, und immer noch bist Du schön, graziös und begehrenswert. Seit achtundfünfzig Jahren leben wir nun zusammen, und ich liebe Dich mehr denn je.

André Gorz, Brief an D.

Warum berührt dieser Text? Ist es wegen „und ich liebe Dich mehr denn je“? Nein, denn das ist eine Zusammenfassung von dem, was schon vorher zu spüren war. Das Schöne zu nennen, reicht nicht. Der Leser will es spüren. Der Text zeigt, wie es gelingt. Denn:

Der Leser spürt das Schöne, wenn sich jemand im Text mit diesem Schönen beschäftigt und dessen Details wahrnimmt (genau hinsieht, hinhört, es riecht, es berührt oder es schmeckt).

Negative Gefühle beim Leser auszulösen, ist ein Leichtes – die Schönheit des Lebens und der Liebe zu vermitteln, das ist die hohe Kunst.