Heldenreise mit Post-Its auf Esstisch

Ich restrukturiere gerade den Plot.

Ab dem zweiten Foto arbeite ich mit den Archtetypen aus dem Masterplot Quest (=Heldenreise). In meinem Plot gibt es viele Schwellenhüter, das ist mir klar geworden. Das ist auch gut so, denn jeder hütet etwas, ein Geheimnis, das mein Protagonist lüften muss, um weiter zu kommen. Diese Geheimnisse sind meist mit einer persönlichen Schwäche des Schwellenhüters verbunden. So lernt mein Protagonist das Umfeld kennen – was ja auch das Ziel des 1. Romanteils ist.

Im dritten Foto, das blaue Kabel, das ist die Zäsur von 1. zum 2. Romanteil (den 2. Teil strukturiere ich noch nicht).

Im vierten Foto – wenn man lange genug und konzentriert schaut – ist ein Kind zu zu erkennen.

Blutige Spiele auf heißem Sand

Ein neues, blankes Dokument. Seit ein paar Tagen ist das die Arena, in der die großen Gegner aufeinander treffen. Timon und Dagmar. Wir erinnern uns: Dagmar hat Timons schwangere Freundin getötet – und Timon weiß das noch nicht.

Unbefleckt von Vorigem will ich den Sand der Kampfstätte haben – nichts soll ablenken. Blanker Dialog und herausgerissene Gedankenfetzen. Es geht nicht mehr um Nuancen. Es ist Zeit zu überleben.

Dagmar, die Angreiferin. Sie will Timon in ihre Gewalt bringen. Ihre Waffen sind Schuldgefühle und das Vertrauen, das die Tote ihr entgegengebracht hat.

Timon, der Defensive. Er kämpft nicht bloß gegen Dagmar, schlimmer, er kämpft gegen sich selbst. Den ersten Kampf muss er verlieren. Er wird begnadigt, er wird versklavt.

Es werden Monate folgen, in denen er Kraft sammelt. In denen er sich innerlich eint. Er wird Schreckliches erfahren. Er wird aufbegehren und niedergeschossen. Dann wird die finale Schlacht anheben, die alles, was seit vierhundert Jahren gewesen ist, bis in die Katakomben hinab erschüttern wird.

Hört, ihr aufmerksamen Leser, hört ihr hier gar den Master Plot namens „Rivalry“ heraus?

(Und dieses neue Dokument arbeite ich dann in das bisherige Manuskript ein – es werden neue Szenen entstehen, und Bestehendes wird durch den Konflikt bereichert).

Rivalität und Gerechtigkeit

Mindmap meiner Romanpersonen

Im kroatischen Nachmittagsregen hatte ich eine Erkenntnis, eine von jenen, die das Unzusammenpassende ineinander fügte. Nämlich, dass das Rückgrat meines Roman ein Mutter-Tochter-Konflikt ist.

Ich saß an meiner Personen–Mindmap und räumte mit meinen Personen auf. Nachdem ich aus den Zwillingen Dagmaralt und Isabellaalt endgültig Dagmarneu geschaffen habe, kam nun die Mutter Elisabeth (60) dran. Mein erster Gedanke: Arme Mutter einer Mörderin! Arm, weil schon ihr Vater, ehemals Leiter des Violanum, so sehr seine Enkelin Dagmar favorisiert hatte. Und Elisabeth so ungerecht behandelt worden war (Wo bleibt da die literarische Gerechtigkeit?).

Schlimmer noch. Der (verstorbene Groß–) Vater sah Elisabeth als zu schwach, als dass sie ihm in der Leitung des Hospitals nachfolgen sollte. Lieber sollte eine Generation übersprungen werden und gleich seine Enkelin Dagmar eingesetzt werden. Doch er lebte nicht lange genug, um Dagmar auf den Thron zu hieven – Dagmar war noch zu jung, als ihr geliebter Großvater starb. Nur deshalb wurde Elisabeth Leiterin des Violanums. Sie hatte niemals Zugang zu ihrer Tochter Dagmar gefunden. Dagmar war für sie ein Geschöpft des Großvaters, und Elisabeth hatte ihre Tochter aufgegeben.

Elisabeth, ein armes Wesen, gepeinigt von ihrem toten Großvater und ihrer starken Tochter … und wo bleibt da die literarische Gerechtigkeit? Hier kommt sie:

Weil sich Elisabeths Zorn nicht mehr gegen ihren Vater richten konnte, richtete sie ihn – unbewusst – gegen ihre Tochter. Das ist es! Eine Mutter, die den Kampf gegen Ihren Vater weiterführt. Die ihre eigene Tochter mit allen Mitteln (als Nachfolgerin im Krankenhaus) zu verhindern sucht. Die automatisch die widersprechende Meinung vertritt. Die durch ihre Festgefahrenheit verhindert, dass sich ihr die Tochter nähern kann. So wird Dagmar – ohne wirklich Mutterliebe erfahren zu haben – in eine radikale Lebensanschauung getrieben, quasi das verstärkend, was sie vom Großvater mitbekommen hatte.

Und das führte zu einem Mord, der – aus Dagmars Sicht – nötig war, um das Violanum zu retten. Damit habe ich nun den Master Plot »Rivalry« mit Mutter und Tochter als Gegner. Und die beiden sind nun im Grunde gleich stark:

A principal rule of this plot is that the two adversaries should have equivalent strengths
(Roland B. Tobias: 20 Master Plots, Seite 125)

Anfang in Kroatien

GRAUKO bei der Arbeit.

Nun schreiben alle: Margarita unter dem Feigenbaum redigiert ihren Roman. Isolde, Peter und Maria auf der Terrasse arbeiten an ihrem Theaterstück.

Und ich? Wie fange ich es an? Soll ich meinen bisherigen Roman durcharbeiten und Dagmar nach den neuesten Erkenntnissen schärfen? Aber Dagmars Mutter. Die muss ich mir noch überlegen. Schließlich ist der Master Plot „Rivalry“ eine wichtige Strömung im Roman, da muss ich schon wissen, wie die Gegnerinnen (Mutter und Tochter) aufgestellt sind.

Wie ich mit dem Buch “20 Master Plots” arbeite

Ronald B. Tobias: 20 Master Plots And How to Build Them

Das Buch von Ronald B. Tobias ist für mich ein handliches Instrument, um meinem Romanprojekt eine frische Sichtweise zukommen zu lassen und Verbesserungsvorschläge zu erhalten.

Erstens bildete ich meine Romanhandlung in das Schema der Masterplots ab (mit * habe ich die Relevanz bewertet):

Master Plot 1: Quest (Suche) ***

Master Plot 2: Adventure (Abenteuer)

Master Plot 3: Pursuit (Jagd, Verfolgung)

Master Plot 4: Rescue (Rettung)

Master Plot 5: Escape (Flucht)

Master Plot 6: Revenge (Rache)

Master Plot 7: The Riddle (das Rätsel)

Master Plot 8: Rivalry (Rivalität) **

Master Plot 9: Underdog (der Unterdrückte, Unterlegene)

Master Plot 10: Temptation (Versuchung)

Master Plot 11: Metamorphosis (Verwandlung)

Master Plot 12: Transformation (Umformung – der Persönlichkeit, des Charakters) *

Master Plot 13: Maturation (Reif werden)

Master Plot 14: Love (Liebe) *

Master Plot 15: Forbidden Love (Verbotene Liebe)

Master Plot 16: Sacrifce (Opferung)

Master Plot 17: Discovery (Entdeckung – im Sinne von Verstehen, wer man selbst ist)

Master Plot 18: Wretched Excess (erbärmliche Maßlosigkeit)

Master Plot 19 und 20: Ascension and Descension (Aufstieg und Abstieg)

Zweitens schaute ich mit jene Master Plots, die meinen Roman berühren, genauer an:

a) Hauptsächlich ist mein Roman ein „Quest“ (Timon sucht etwas, das ihm hilft, mit dem Verlust seiner Sophie fertig zu werden).

b) Das nächste interessante Master Plot ist „Rivalry“. Timon gerät in eine Stadt, in der zwei rivalisierende Ideologien vorherrschen, wie das Krankenhaus geführt werden soll. Überlegungen rund um diesen Master Plot haben dazu geführt, dass ich – wie berichtet – eine Romanperson entfernt habe, um die Rivalität griffiger zu machen – diese wird nun als Mutter–Tochter–Konflikt ausgetragen.

c) Und es geht um Liebe – die von Timon und der verstorbenen Sophie (da ist einiges noch offen) und die Liebe Timons zu dem Baby.

d) Dann gibt es die Transformation – Timon, der Einzelmensch, der Für–sich–lebende, übernimmt Verantwortung für ein Baby und letztlich für die ganze Stadt.

Ich werde diese Plots in der nächsten Zeit noch wiederholt durcharbeiten, als Unterstützung für die Umstrukturierung wegen der gestrichenen Romanperson und bei der Gestaltung der weiteren Abschnitte.

(Interessant ist übrigens auch, dass ich im Roman instinktiv stets eine Dreiteilung hatte, unbeabsichtigter Weise an Aristoteles und seine Dramaturgietheorie angelehnt (Wird auch in dem Buch behandelt). Derzeit bin ich in etwa im ersten Teil, wobei die beiden weiteren Teile vielleicht nicht so viel Umfang benötigen werden.)

Warum ein Handlungsmuster?

Ich übersetze für mich den Begriff „Master Plot“ mit „Handlungsmuster“. Es beschreibt nicht meine Handlung, aber identifiziert ein Muster, dem meine Handlung – mit einem bestimmten Anteil – folgt. Und hilft mir, Arbeit zu sparen, weil ich auf Erfahrung von Autorengenerationen zurückgreifen kann.

Seite 6
Seite 6
Seite 8
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(Quelle: Roland B. Tobias: 20 Master Plots and how to build them)

Explosion, wieder einmal

Jedesmal, wenn ich zwei Romanpersonen zusammenführe, ist das für mich eine emotionale Explosion, die meine Texte und Ideen weitertreibt.

Es ist so abgelaufen:

  1. Gestern, unter Tags, im Buch „20 Masterplots“ geblättert (Wobei das Buch bloß ein Anlass war, über Grundsätzliches nachzudenken).
  2. Nachts, um ein Uhr, nach sinnlosem Websurfen, der Funke: „Thomas, was wäre, wenn du die Romanpersonen „Dagmar“ und „Isabella“ zusammenlegtest?“
  3. Erstes Gefühl: Klarheit. Die beiden waren ohnehin Zwillingssschwestern, und damit würde die ohnehin große Komplexität des Romans reduziert. Handlung und Charaktere werden wesentlich schärfer.
  4. Dann Erschütterung. Wie soll das sein? Die Mutter der herzkranken Angelika zur Mörderin von Timons Freundin machen?
  5. Und dann ging es los. Bis in den Morgen. Ich hörte Amy Macdonald („Spark“)…

… immer und immer wieder. Ich beobachtete sie, wie sie auf den Steg ging, ihren Koffer abstellte, und alles ergab so viel Sinn in mir. Alte Fragen wie „Wovon lebt Dagmar?“ und „Warum ist ihre Ehe gescheitert?“ und „Was will sie?“ und „Wie ist ihre Beziehung zur Mutter?“ und „Wer sind die Opponenten im Kampf um das Violanum?“ sind plötzlich von selbst beantwortet. Und Dagmars Handlungen – ich habe jetzt viel mehr Freiheit. Ich kann den Leser Dagmars Zerrissenheit spüren lassen:

  1. das so Fürsorgliche und Schützende einer Mutter mit schwerkrankem Kind
  2. der Berufsethos einer Krankenschwester
  3. die Vorbildwirkung der Krankenhausgründerin Viola (+1645)
  4. das Erbe ihres dominanten (verstorbenen) Großvaters, der Dagmars Mutter stets als schwach verachtet hat.

Ich sagte mir: „Thomas, was hast du da für ein Monstrum erschaffen?“

Ich antwortete: „Es ist immer schon hier gewesen. Bloß jetzt erst ist dein Blick frei.“

Gegen drei Uhr skizzierte ich eine Schlussszene zwischen Timon und Dagmar. Jetzt bin ich müde. Wie immer, wenn ich vor einer neuen Fassung meines Romans stehe.

Handlungsmuster “Zwei Strömungen”

Da gibt es ein Handlungsmuster, das mich seit der Kindheit fasziniert. Es besagt, dass die handelnde Person in zwei unterschiedliche Handlungen hineingeworfen wird. Ich nenne es „Zwei Strömungen“.

Gutes Beispiel dafür geben historische Romane/Filme ab. Bei denen gibt es einerseits die großen historischen Ereignisse, andererseits einen krimihaften Mordfall oder eine Liebe.

Titanic:

1: Ein Schiff fährt und jeder weiß, es wird sinken.
2: Eine Liebesgeschichte und die Sache mit dem Klavier am Ende.

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins:

1: Prager Frühling und sein Ende
2: Teresa und Tomas beginnen eine lebenslange Beziehung, die unter Tomas‘ ständigen Affären leidet.

Casablanca:

1: Deutsche Besatzung / Résistance / Collaboration
2: Bogart zwischen Bergmann und Staatsraison

Der abenteuerliche Simplicissimus:

1: Der Dreißigjährige Krieg tobt
2: Ein Schelm stolpert durch die Ereignisse.

Es gibt meist eine übergeordnete Makro-Strömung, die durch die untergeordneten Makro-Strömung für den Leser emotional fassbar wird.

Dieses Handlungsmuster ist m.E.n. genau dann gut eingesetzt, wenn die beiden Strömungen gegen Ende ineinander münden und zu einem kraftvollen, emotionalen Strom werden.