Der Hase und das Kleid der Königin

Als der König starb, war seine Frau, die Königin, so traurig, dass sie sich in ihr Zimmer einschloss und nichts mehr aß. Ihre Diener brachten ihr Essen, aber sie weigerte sich, etwas zu nehmen. Sie wollte nur noch sterben.

Eines Tages hörte sie ein leises Hämmern an ihrer Tür. Sie ging hin und öffnete sie. Da stand ein kleiner Hase. Er sah sie an und sagte: „Ich habe gehört, dass du traurig bist. Kann ich dir helfen?“

Die Königin lächelte traurig und schüttelte den Kopf. „Niemand kann mir helfen“, sagte sie. „Ich bin zu traurig.“

Der Hase sah sie an und sagte: „Ich werde bei dir bleiben, bis du wieder lächeln kannst.“

So blieb der Hase bei der Königin und hielt sie in seinen Armen, bis sie eingeschlafen war. Und als sie aufwachte, lächelte sie.

“Komm, wir gehen in den Wald!”, sagte der Hase.

“Ich kann nicht fort, ich habe kein schwarzes Kleid”, sagte die Königin. Denn Schwarz musste alles sein, das sie trug, denn ein Jahr Trauer zu tragen, das besagte die Tradition.

“Dann lass dir ein Kleid schneidern”, schlug der Hase vor. 

Die Königin rief nach den Schneiderinnen und ließ Maß nehmen. Als die Königin am Ende des Tages ihr neues Kleid sah, da war sie enttäuscht. 

„Es ist nicht fertig“, sagte sie zu den Schneiderinnen. „Es fehlt ein Knopf“.

Die Schneiderinnen entschuldigten sich und sagten, sie würden sofort einen neuen Knopf annähen. Aber als sie den Knopf angenäht hatten, sah das Kleid immer noch nicht fertig aus. „Es fehlt ein Saum“, sagte die Königin.

Die Schneiderinnen entschuldigten sich wieder und sagten, sie würden sofort einen neuen Saum nähen. Aber als der Saum angenäht war, sah das Kleid immer noch nicht fertig aus. 

„Es ist zu kurz“, sagte die Königin.

Die Schneiderinnen entschuldigten sich wieder und sagten, sie würden den Saum schmäler machen. Aber danach sah das Kleid immer noch nicht fertig aus. 

„Es ist zu eng“, sagte die Königin.

Die Schneiderinnen entschuldigten sich wieder und sagten, sie würden es sofort weiter machen. Aber danach sah das Kleid immer noch nicht fertig aus. 

„Es fehlt ein Ärmel“, sagte die Königin.

Die Schneiderinnen entschuldigten sich wieder. Die Königin war so enttäuscht, dass sie weinte. Sie weinte so sehr, dass sie sich nicht mehr beruhigen konnte. Sie weinte die ganze Nacht und am nächsten Morgen war sie immer noch traurig. Im Morgengrauen dann ging die Königin in den Wald, sie trug ihr unfertiges Kleid. Sie setzte sich auf einen Baumstamm und weinte. Plötzlich sah sie ein Tier, das auf sie zukam. Es war ihr Freund, der Hase.

„Warum weinst du, Königin?“, fragte der Hase.

„Ich bin so traurig“, sagte die Königin. „Ich habe ein Trauerkleid, aber es ist nicht fertig. Erst fehlt ein Knopf, dann der Saum, dann ist es zu kurz und zu eng, und schau: es fehlt ein Ärmel!”

„Ach ja, der Ärmel! Ich kann dir helfen“, sagte der Hase.

“Was du alles kannst, sogar nähen”, sagte die Königin. Sie lächelte.

Da nahm der Hase ein Beil und hieb auf den Oberarm der Königin ein. Die Königin schrie auf und rannte weg. Der Hase hoppelte hinterher, packte die Hand der Königin und riss dermaßen an, dass die Sehnen schnalzten und der Hase nun ihren Arm gänzlich in Händen hielt. 

Die Königin brach zusammen.

Der Hase knabberte mit rotnassem Maul am Fleisch ihres Unterarms, der ja sehr dünn war, weil die Königin wegen ihrer Trauer so abgemagert war. Er schaute auf die Königin hinab, die im schwarzen Kleid auf dem Waldboden lag. Er sagte: “Jetzt passt die Ärmellänge.”

Er schmiegte sich an die Füße der Königin, streichelte ihre Fußgelenke und sagte: “Und zu kurz ist das Kleid auch?” 

“Nein, das Kleid ist fertig”, stöhnte die Königin, damit sie nicht auch ihre Füße verlor.

Alte Krimis – Derrick Folge 176

In Folge 176 bewegt sich der alte Derrick eine Treppe herab, vorbei an einem Festnetztelefon. Derrick hält in seinen Händen eine Mappe mit papierenen Akten. Er geht in ein Zimmer, auf dem Tisch gibt es einen Aktenkoffer und eine Kaffeetasse. 

Man muss folgendes dazu sagen, zu dieser Situation. Die Möbel sind dunkelbraun wie die Haselnuss. Derrick steht in dem Zimmer, das vielleicht als Wohnzimmer gemeint ist – aber es könnte auch das Wartezimmer eines Landarztes sein – ich meine keinen Allgemeinmediziner, sondern einen Psychiater – klar müssen Stühle und Tische massiv sein, damit kein Schaden eintritt. Über dem Tisch hängt ein Luster aus hin- und herverbogenem, weißem Metall, hängt so tief, dass er Derricks Brustwarzen berühren würde, wenn er den Tisch zur Seite schob, was er aber nicht tut, weil der Tisch massiv und Derrick alt ist. Das Fenster, an dem Derrick steht, ist eng und von einem Fensterkreuz gevierteilt. Seitlich hängt grauer Vorhangstoff, ich meine dieses Grau der Spitzendecken, die man immer als erstes wegwirft, wenn man die Wohnung der verstorbenen Eltern nach Verwertbarem durchsucht.

Derrick legt die Aktenmappe in den Aktenkoffer. Er greift zu der weißen Kaffeetasse, stellt sich an das Fenster und schaut hinaus. Währenddessen wird in weißer Schrift das Wort “Rachefeldzug” eingeblendet. 

Dann schrillt das Telefon wie eine Türglocke. Derrick stellt seine Tasse ab, geht zum Festnetztelefon, aber der Fußboden unter ihm ist gekachelt. Kackgelbe, quadratische Kacheln, nicht einmal diagonal verlegt. Derrick geht vorbei an einem Schrank, hinter dessen Glastüren neun Teller hängen, angeordnet drei mal drei, dann hebt er den Telefonhörer ab, wendet sich zur Kamera und sagt ein scharfes: “Ja!”

Später kommt eine Frau herein, und Derrick sagt folgenden Satz zu ihr: “Viel Vergnügen hier beim Saubermachen. Auf Wiedersehen.”

Was in dem Haus sauberzumachen ist, erschließt sich nicht, weil die Zimmer so geleert aussehen. Wobei: die Kaffeetasse samt Untersetzer gilt es natürlich in die Küche zu tragen, zu säubern, zu trocknen und in einem Schrank abzustellen.

Vor dem Haus wird auf Derrick geschossen, daraufhin schleudert er den Aktenkoffer weit fort, und als das abgeschlossen ist, tritt er zur Seite, während die Putzfrau im Hausinneren nichts bemerkt, weil sie mit dem Saubermachen von Derricks Dreck bis über beide Ohren beschäftigt ist.

Harry kommt und sagt zu Derrick: “Etwas ist merkwürdig.”

Worauf Derrick wiederholt: “Ja, etwas ist merkwürdig.”

Weil Derrick nicht weiß, was merkwürdig ist, wartet er auf das, was Harry als nächstes sagt.

Harry sagt: “Dass man dich nicht getroffen hat.”

Daraufhin sagt Derrick sofort: “Das finde ich auch.”

Der Gedanke ist unzulässig, dass der Attentäter folglich nur eine Frau sein kann, weil Frauen ja ein nicht so zielstrebiges Naturell wie Männer haben, und es ihnen mehr um Aufmerksamkeit denn um das Töten geht, es also mit hoher Wahrscheinlichkeit die Putzfrau sein kann, weil sie es satt hat, dieses Kotzeschrubben und Eiterkrusten aus Kaffeetassen kratzen und die versifften Inkontinenzlaken zu bügeln – dieser Gedanke ist hier unzulässig, weil ein anderer alter Mann der Täter ist. Dies entpuppt sich aber erst, nachdem Derrick eine Wohnung besucht, in der junge Leute mit Dauerwellenfrisur und überbreiten Schulterpölstern umherstehen, und jemand zu Derrick sagt: “Sie sind nicht gut für die Stimmung.”

Worauf Derrick sagt: “Ja, ist ja gut, na was ist denn das? Ne Party oder sind die alle nur zufällig hier?”