(Gelesen von Maria Edelsbrunner bei der Radiosendung „Planquadrat Couch“ ab 00:34)
Draußen der Nebel, und ich sitze seit viereinviertel Stunden auf meiner blauen Couch. Es dämmert. Ich höre mich atmen.
Ich mag diese Couch. Die Lehnen sind schräg. Man kann sich bequem nach hinten lehnen. Vor viereinviertel Stunden habe ich die Handflächen neben meine Oberschenkel gelegt. Dort sind sie immer noch. Wenn ich etwas bewege, dann hauptsächlich die Augen und nur wenig den Kopf.
Das Wohnzimmer ist geräumig.
Links die drei Fenster. Keine Vorhänge, keine Jalousien. Ich habe in der Regel nichts zu verbergen.
Rechts die Wohnküche.
Weiße Kästen, alles sauber. Ich habe in der Regel nichts zu kochen.
Hinter mir eine Wand mit dem gemalten Bild. Wenn ich mich umdrehte, könnte ich es sehen. Aber das tue ich lieber nicht. Vor viereinviertel Stunden ist es noch da gehangen. Wenn es jetzt fort wäre, es würde meine Situation verkomplizieren. Darum denke ich mir, dass es noch da ist.
Über mir eine weiße Decke.
Unter mir, zwischen Boden und Fußsohlenhaut, ein Teppich.
Vor einigen Wochen hat sie mich besucht. Sie hat gelacht. Und dann hat sie gesagt, du wohnst schon so lange da, es sieht aber so unbewohnt aus, wann kaufst du dir Möbel. Da habe ich mir diesem Couchtisch besorgt. Dreifüßig, mit der Glasplatte, die auf drei Saugnäpfen ruht.
Ich höre das Atmen.
Neben mir, auf der Couch, dort, wo ein anderer Mensch Platz finden könnte, liegt mein Telefon.
Es hat geläutet, und ich bin aufgewacht, bin hierher ins Wohnzimmer gewankt und habe mich hergesetzt. Seither blinkt etwas grünliche an meinem Telefon, und ich sitze hier. Die Handflächen neben den Oberschenkeln am weichen, blauen Couchüberzug.
Ich denke mir etwas.
Dann denke ich nichts mehr. Spüre nur den weichen Möbelstoff auf den Handflächen und den Teppich auf den Sohlen. Früher habe ich über vieles nachgedacht. Aber da habe ich noch Pickel gehabt. Die sind dann verschwunden.
Das Atmen wird lauter. Es ist fremdes Atmen.
Ich schaue auf die Saugnäpfe, auf denen die Glasplatte ruht. Wenn ich die Platte hebe, löst sie sich dann vor den drei Tischfüßchen? Ich beginne mich zu bewegen, um das auszuprobieren. Das Glas haftet nicht. Ich lege das Glas auf den Teppich, lecke die drei Saugnäpfe ab. Dann lege ich die Glasplatte wieder darauf, anpressen und warten. Zum Warten setze ich mich wieder auf die Couch. Es ist eigentlich alles so wie vorhin. Bis auf den Speichel zwischen Saugnäpfen und Glasplatte. Mein Telefon blinkt.
Das fremde Atmen will ich nicht mehr ertragen.
Ich stehe auf, mache vier Schritte zur Wohnküche und ich öffne einen Kasten. Da sind die weißen Plastikflaschen eingeordnet, mit je einem Liter Chlorid. Ich achte darauf, dass ich immer zehn habe. Man weiß ja nie, es kann schlimme Nächte geben. Chlorid erspart die Hausapotheke. Denn wenn alles sauber ist, gibt es keine Krankheit.
Ich schraube eine solche Flasche auf. Entleere sie in den Ausguss. Ein Aufschrei. Weißer Schaum dringt heraus, ich weiß, der Abfluss ist seit langem verstopft. Das Schreien verebbt, geht in Stöhnen über. Ich lege die Hand auf die Nirostaabwasch, spüre das Zittern. Wie von einem Fieberkranken mit Schüttelfrost. Drehe den Wasserhahn auf, Entspannung, das Zittern lässt nach.
Ich weiß, was da im Abfluss fest sitzt. Amorphe Masse, fett geworden. Es hat schwarze, glitschige Haut. Ich kenne es aus diesen Träumen, von denen ich nicht erzählen werde. Wenn die Säure seine Haut zerfrisst, gibt es Ruhe. Für eine Weile.
Ich könnte jetzt schlafen gehen.
Draußen der Nebel. Müsste die Sonne nicht schon aufgegangen sein? Stattdessen ein Grauschleier, nur gut, dass die Fenster dicht sind, sonst würde der Nebel eindringen, sich über mein Gesicht legen und mich ersticken.
Ich sollte die Wohnung verlassen.
Vorher gehe ich noch zur Toilette. Aus Gewohnheit. Vergesse, dass ich nicht hinein kann. Denn die Türe ist von innen abgesperrt, noch immer.
Dass ich nicht ins Klo kann, ist kein Problem. Ich benutze eben das Bad. Zwei Tage, nachdem sie sich eingesperrt hat, habe ich den Türspalt zugeklebt. Mit Isolierband. Wegen des Geruchs. Nach einer Woche ist etwas durchgesickert. Unter der Türe. Also habe ich Fensterkitt verwendet.
Seither keinen Damenbesuch mehr in dieser Wohnung.
Ich war gezwungen, meinen Stuhlgang anders zu organisieren. Dafür habe ich mir die Verschweißmaschine angeschafft. Eine praktische Sache für Lebensmittel, die man luftdicht in Gefrierbeutel verschweißen will. Aber ich habe in der Regel keine Lebensmittel. Und auch keine Gefriertruhe. Darum verwende immer zwei Gefrierbeutel, doppelt hält besser, denke ich, wegen des Geruchs. Die Plastikbeutel schlichte ich über den Chloridflaschen ein.
Ich verlasse die Wohnung.
Ich gehe in die Garage.
Starte meinen Wagen, kontrolliere, ob die Klimaanlage auf Umluft eingestellt ist.
Fahre durch die Stadt, parke, steige aus, halte mir ein Taschentuch vor das Gesicht, wegen des dichten Nebels.
Gehe in ein Haus, in den zweiten Stock. Ordination Dr. Müller steht hier. Ich trete ein, die Empfangsdame schaut mich an.
„Was haben Sie?“, fragt sie.
„Müde bin ich“, antworte ich.
Ich gehe weiter durch das Wartezimmer, wo schon vier Frauen sitzen. Ich gehe in das Behandlungszimmer, ziehe mir den weißen Mantel über und lese am Computer die Krankengeschichte der ersten Patientin. Ich bitte sie herein. Ich sage ihr, sie soll sich frei machen, wir machen jetzt einen Abstrich, das kennen Sie ja. Sie setzt sich auf den Stuhl, die Beine gespreizt. Jetzt erzählt sie mir unaufgefordert etwas privates, und dann meint sie wie froh sie sei, dass ich eine Gynäkologin sei und kein Mann, denn Männer könnten nicht so gut zuhören.
Ich werfe einen Blick auf ihre Vulva, ziehe ich mir Gummihandschuhe an und öffne den Schrank, wo ich die Chloridflaschen eingeordnet habe.