Jeder flieht anders. Die Literatur der Ute Schlerath.

Ute Schleraths Texte sind Gedanken, in kürzeste Form gebracht, und sind sie einmal gelesen, dann entfalten sie sich und bleiben im Leser hängen, mit ihrer Schärfe und Leichtigkeit und Schönheit.

Man kann saftiges, duftendes Obst und butterzarte Kartoffeln essen. Man kann aber auch besten Brand trinken. So sind diese Texte Essenz, Destillat. Klar, rein, wesentlich und doch enthalten sie alle Üppigkeit eines Sommers. Oder Lebens.

Dieser Film begleitet diese vielfältige Frau durch ihre Arbeitsumgebung, durch ihre Texte und durch ihre musikalische Laufbahn. Ute Schlerath macht ihre Arbeitsumgebung zur Bühne, auf der sie ihre tiefen Gedanken mit spitzbübischer Art mit uns teilt.

Dieser Film mit seinen 45 Minuten ist eine Collage von tiefen Gedanken, von spitzen Blickwinkeln, von Fröhlichkeit und vom Anderssein.

Die Taube (Ute Schlerath)

Aus der Serie: Geniale Männerdialoge. Heute: Ich will es nicht hören.

I just need her to give me another shot.
If I could just get another shot
Listen, can I tell you something?
Yeah.
This is none of my business.
I don’t want to hear it.
All right.
I’m sorry.

Aus: True Detectives, Folge 4, 23:15.

Das Erschrecken an den eigenen Gedanken

Capricho nº 52: ¡Lo que puede un sastre! de Goya, serie Los Caprichos

Letzten Freitag, irgendwann um Mitternacht. Ich hocke mit Peter Heissenberger (GRAUKO) in Graz zusammen und erkläre ihm den Roman, an dem ich arbeite. Lege müde und dennoch voll Elan meine literarischen Probleme aus. Er sagt, was ihm dazu einfällt, und dann habe ich sie, die letzte große Idee, die ich brauche, damit die Handlung schlüssig vor sich gehen kann.

Genauer: Ich verfüge über ein stimmiges Szenario, um meine Heimatstadt in den Bürgerkrieg zu schicken.

Heute Sonntag. Ich denke weiter, kombiniere die Ethnien in meinem Roman mit den Ereignissen vergangener Kriege und sehe Mütter, denen man die neugeborenen Kinder entreißt, weil sie einer fremden Ethnie angehören – und da ich als Literat klarerweise eine ausmalende Phantasie habe, höre ich das Schreien und die versetze mich hinein in die Verzweiflung, mit der die Frauen ihre Neugeborenen verstecken und um Hilfe rennen und flehen …

Also trinke ich ein Glas Rotwein, weil die Bilder im Kopf schon heftig sind und ich meine Heimtatstadt in Gräben und Schutthaufen wandle. Da habe ich natürlich auch gleich eine wichtige Romanfigur geschaffen – die Mutter mit dem Neugeborenem – und das ganze kombiniert mit meinem Protagonisten, der irgendwie überleben will und dennoch einen Weg sucht, um Mensch zu bleiben.

Und da erschrecke ich.

Und ich beobachtete mein Erschrecken über mein Konzept und sitze auf meinem Sofa, als Zeuge eines emotionalen Prozesses, der nun angestoßen bis ans Ende des Romans rollen würde, vielleicht jahrelang.

Satt dasitzen und Probleme genießen

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Ich liebe diese Abende, an denen ich zuhause sitze, satt und von meiner Heizung gewärmt, und nachdenke.

Ich höre lauschige Musik und denke nach, wie ich es logisch hinkriege, dass Wien in einem Bürgerkrieg untergeht. Meine Überlegungen führen mich an eine physische Verwandlung á la Stadt der Blinden und an eine Situation á la Jugoslawien 1991. Ich lese mir durch, was Ethnie bedeutet, und befinde, dass ich es wohl schaffen werde, die Mechanismen des kollektiven Mordens in meine Heimat zu verlegen.

Dazu braucht es nur noch ein paar wenige Überlegungen, ich spür’s.