Bittere Tropfen
rausgepresst in die Tasse.
Unruhige Finger.
Monat: September 2010
Radfahren als Schreibtechnik oder: Erbsünde
In der Früh, vor dem Frühstück. Auf das Rad und auf die Donauinsel, weil sonst gar nichts weitergeht. Weil mir Spazierengehen zu träge wäre. Ich brauche Geschwindigkeit. Denn ich habe ein wichtiges Gespräch zu führen. Mit mir selbst. Es geht immer noch um Dagmar und um Timon. Weshalb sie, die Mörderin, ihn, den Freund des Mordopfers, als Gast in ihr Haus aufnimmt. Es ist ein mühsames Gespräch. So oft entgleiten meine Gedanken, und plötzlich rede ich über irgendetwas anderes. Ich muss – als eigener Moderator – mich zur Ordnung rufen.
Ich ringe mir mach etlichen Varianten ein Resultat ab – und jetzt, beim Blogtippen, spüre ich, wie gut es sich fügt.
Dagmar sieht die Chance, Timon endgültig zu vertreiben, in dem sie Salz in Timons wunden Punkt streut. Ihn quält die Schuld, nicht bei Sophie gewesen sein, als ihn gebraucht hat. Dagmar ist Timons schlechtes Gewissen – und sie hat einen Informationsvorsprung, ist sie doch Freundin der Ermordeten gewesen. Dagmar verstärkt somit ein Thema, das Timon seit seiner Kindheit mit sich trägt: Die Erbsünde, dass sich Männer vor der Verantwortung drücken, meist dann, wenn darauf ankommt.
Wie sagte doch Timons Mutter? „Männer sind in den entscheidenden Momenten des Lebens nicht da.“
Letztens, in der Texthobel-Schreibwerkstatt
Autogramm von Lisa Dickreiter
Und so bestellte ich Lisas Vom Atmen unter Wasser, steckte das Buch jungfräulich in ein Kuvert, schickte es nach Berlin, und nach ein paar Tagen war es wieder da. Mit Signatur.
2006 habe ich sie in Berlin besucht. Wir haben in ihrem Schreibraum eine Woche lang an unseren Romanen geschrieben, und nach getaner literarischer Arbeit hat sie mir Berlin gezeigt. Schöne Tage waren das.
Übrigens: schau mal in Lisas Blog vorbei!
Es muss doch einen Grund geben!
Ich knete mein Hirn. Denn es braucht etwas. Etwas, einfach das ist. Das sicherlich einfach ist.
Die Ausgangssituation lautet: Timon kommt zu dem Haus, in dem nun Dagmar wohnt, seine erste Begegnung mit ihr.
Dagmar sieht ihn, den Verzweifelten, Einsamen, dem sie die Freundin und das Ungeborene genommen hat. Klar denkt sie im ersten Moment: Geh weg! Doch bald darauf soll sie meinen: Welch geniale Fügung, dass Timon gekommen ist, denn er ist genau das, was ich brauche.
Und nun die bescheidene Frage an mich: Weshalb ist es so passend für Dagmar, Timon als Gast in ihr Haus aufzunehmen?
Dafür gibt es einen einfachen Grund.
Ganz sicher.
Gebt mir Vorbilder!
Der erste Eindruck eines Menschen! Wie fange ich an? Wie stelle ich mir Dagmar vor, die Mutter, die Mörderin? Ich brauche ein Gesicht.
Ihre Liebe und Grausamkeit geformt aus dem, was ihre Kindheit war. Die Klarheit in Gedanken, all das Reine, dieses große Ziel, den alles überdauernden Glauben. Eine Schönheit, die eigentümlich ist.
Die Zerrissenheit in ihr ist Spiegelbild von dem großen Gegeneinander, dessen Sie nur Teil ist. Dagmar ist wie ein schroffer Felsen, der nur deshalb übrig ist, weil er der härteste unter all dem Gestein gewesen ist.
Gebt mir Vorbilder!
Ich schaue zu den Frauen, die ich gehabt habe. Ich erinnere mich an ihre Stärke und daran, wie es war, ihre Schwäche zu sein.
Allmählich erschaffe ich ihr ein Gesicht.
Ich habe es getan.
Wochenlanges Herumgetue. Ja? Nein? Wozu sollte ich denn? Nun bin ich drinnen. Mit folgender Absicht:
facebook soll mir Plattform sein, Kontakte rund um das Schreiben zu halten oder zu schaffen. Ich will über facebook an Menschen gelangen, denen gefällt, was ich literarisch zu bieten habe.
Habe auch den Vorsatz, auf facebook nur Schreiben-relevante Dinge zu posten (hört! hört!). Hier also bin ich:
(Eigentlich wollte ich vor 3 Stunden schon abendessen. Ihr seht – Southpark hat recht: I am sucked into facebook.)
facebook – Soll ich? Soll ich nicht?
facebook um mich herum.
Bekannte schicken mir Fotogalerien auf facebook. Laufend erhalte ich vom facebook-Server Einladungen von Menschen, die mich als Freunde haben wollen. Meine Schwester ist auf facebook. Nun ist auch der Texthobel auf facebook. Und wer gehört zu seinen Freunden? Etwa der, der seine Seminare leitet? Nein. Sondern sondern Robert Menasse.
Soll ich nun? Muss ich nun?
Am besten formuliert Southpark meine Zweifel, in der Episode You Have 0 Friends.
Nachts
„Um was geht es in deinem Roman?“ – Mein Elevator Pitch
Der Roman erzählt von einem jahrhundertealten Spital, dem Violanum. Seine mystische Gründerin Viola ist seit fast vierhundert Jahren verschollen. Ihr Wirken hat über Generationen hinweg eine Gesellschaft geformt, die sich gänzlich dem Violanum verschreibt und es, wenn nötig, mit Gewalt verteidigt.
Sophie, eine junge Archäologin, findet Violas Skelett. Dieser Fund zieht Sophie in einen Machtkampf: Die Leiterin des Violanums ringt mit ihrer Tochter, wie das Werk Violas weiterzuführen wäre. Sophies Fund stellt alles in Frage, worauf sich das Violanum gründet. Daraufhin stirbt Sophie, hochschwanger, bei einem Brand.
Der Roman beginnt damit, dass der Freund von Sophie und Vater des Ungeborenen, Timon, zum Violanum reist. Bald kämpft er gegen jene jahrhundertealten Kräfte, die Sophie getötet haben.
Dies ist die zweite Fassung meiner Inhaltsangabe. Die erste Fassung, paar Stunden zuvor entstanden, lautete:
Der Roman handelt von der Rivalität von Mutter und Tochter, die darum ringen, wie ein alteingesessenes Spital zu leiten sei. Beide sind Nachfahren von Viola, der mystischen Spitalsgründerin, die seit fast vierhundert Jahren verschollen ist.
Sophie, eine schwangere Archäologin, findet das Skelett von Viola. Damit gerät sie zwischen die Fronten. Ihr Fund stellt alles in Frage, worauf das Violanum seit Jahrhunderten gegründet ist. Bevor die Erkenntnisse bekannt werden, stirbt Sophie bei einem Brand.
Der Roman beginnt damit, dass Timon, Vater des Ungeborenen, in die Ortschaft kommt, um das Geschehene für sich aufzuarbeiten.
Auf diese erste Fassung bekam ich von E. folgende Rückmeldung: »Naja ehrlich gesagt find ichs nicht sehr spritzig, Neugierde weckend und spannend. Eher wie wenn mich wer über etwas informiert, als mich für etwas zu gewinnen«
Deshalb stellte ich das Jahrhundertealte und Mystische an den Beginn, und nun erntete ich ein »Schon um einiges besser.« – Danke, E., für’s Feedback! Du siehst, ich lass‘ mir was sagen :-)
Autorenzusammenarbeit
Jeder Autor hat sicherlich schon einmal versucht, mit anderen eine Geschichte oder ein Gedicht zu schreiben. Meist gelingt es nicht.
Ausnahme gefällig? Isolde, Maria und Peter arbeiteten in Kroatien intensiv an einer Komödie. Täglich mehrere Stunden auf der Terrasse. Sie waren mit großem Eifer dabei, wechselten sich beim Tippen ab, lasen laut die unterschiedlichen Rollen des Stücks. Sie griffen die Pointen der anderen auf und trugen Gedanken und Worte weiter (Isolde, du hast da sicherlich ein poetischeres Bild dafür). Und ich? Erfreute mich am Zuhören und fotografierte die drei.
Meer
Über das Nichtschreiben und das Nichtschreibenkönnen
Sehen wir der Tatsache ins Auge: der Autor schreibt die meiste Zeit seines Lebens nicht. Er schläft. Isst. Trinkt (Alkohol und Schreiben – das ist auch so ein Thema). Er hat Sex und was immer es sonst noch braucht, um sich einem literarischen Thema zu nähern. Und selbst Recherche, das Fundament des Schreibens, ist zugleich ein Nichtschreiben!
Letztens, in Kroatien, erlebte ich eine wunderbare Qualität des Nichtschreibens: Ich war umgeben von heftig schreibenden Literaten und hatte dennoch – oder gerade deshalb – stundenlang keine Lust zu schreiben und – jetzt kommt’s! – ich fühlte mich gut dabei. Ich las Lolita und schaute auf das Meer auf die Segelschiffe, zwischen 25 bis 35 waren es, jawohl, ich las und zählte Schiffe, ohne einen Roman über einen pädophilen Seglerzähler zu planen.
Achtung: Nichtschreiben meint nicht das Nichtschreibenkönnen. Denn Nichtschreibenkönnen ist grausam. Es formt mit dem Schreibenwollen ein gnadenloses Spiel. Nichtschreibenkönnen kann Unruhe sein, Lärm, Dringliches, kann ein Telefonat oder die Mutter oder eine E–Mail sein. Es kann Beisammensein sein oder – weit schlimmer – ein mehrtägiger Urlaub mit dem/den/der Liebsten in einem Land voll Strand und gutem Essen und mit der urlaubsmittigen Frage: »Was ist dir wichtiger, das Schreiben oder ich?«
Der Autor als Gott seiner Romanpersonen?
Ich verstehe jetzt, warum Gott den Menschen freien Willen gegeben hat: Weil es sonst so mühsam ist! Meine Romanpersonen tun ja nichts ohne mich. Ich muss mir alles für sie überlegen, jede Kleinigkeit bis hin zu Frisur, Hobbies, Vergangenheit, Sex und und und… Und da kann es einem Gott reichen, so dass er am Ende sagt: Macht es euch doch selbst.
Gott hat einen Vorteil: er muss keinen Leser bei der Stange halten. Er braucht nicht für Lesevergnügen sorgen und sich mit literarischer Gerechtigkeit abmühen. Und heilige Bücher werden trotz allem verfilmt.
Mein Plan: Zuerst Hausaufgaben machen
Die Situation: Ich habe aus Dagmaralt und Isabellaalt Dagmarneu geschaffen. Ich habe Dagmars Mutter Elisabeth modelliert. Ich kenne nun den Konflikt der beiden – und es ist genau dieser Konflikt, in den mein Protagonist Timon hineingezogen wird. Und dass Timons Freundin Sophie umgebracht worden ist, hat mit diesem Konflikt zu tun.
Ich könnte nun den Roman von Beginn an mit den neuen Zusammenhängen durcharbeiten, doch fehlt noch einiges. Der blinde Ingenieur, der mit Sophie ein Buch herausbringen hat wollen. Ich weiß, er ist der Bruder von Dagmars Vater. Na und? Warum ist er im Violanum? Ist er Spielfigur oder Spieler? Was will er? (Mir gefällt der Gedanke, dass der Mutter/Tochter–Konflikt alles umliegende zu Spielfiguren macht)
Dagmars Vater ist 1968, vor ihrer Geburt, von Dagmars Großvater erschossen worden. Wie ging das genau vor sich? Wie gehe ich damit um?
Mein Plan:
- Zuerst will ich diese Hausaufgaben machen. Sprich: Denken. Denn habe ich gewisse Überlegungen bloß aufgeschoben, darf ich mich nicht wundern, wenn ich mich in eine Sackgasse schreibe. Und ich will nicht wieder so viel Text streichen! Darum will ich die Zusammenhänge für mich schlüssig geklärt haben. Wie in einem Geschichtsbuch, mal grob, muss ich wissen, wer gegen wen und warum und wie.
- Dann will ich mich reinlassen. Sprich: Tippen was das Zeug hält. Voll in die Emotion hinein. Inmitten einer Landschaft, die mir mein braves Hirn vorab schon vermessen hat.