Neue Lage: 375.000 Zeichen inklusive Leerzeichen. Ein Drittel ist geschafft.

Am Freitag beginnt das jährliche GRAUKO-Wochenende in Stillfried (wieder so eine Tradition von uns Literaten). Im März setzte ich mir als Ziel, das erste Drittel des Romans bei diesem Treffen kritikbereit zu haben. Damals schätzte ich, dass das wohl einen Umfang von 170 Buchseiten haben würde. Aber damals ahnte ich noch nicht, dass ich mit der damals vorliegenden, 6. Fassung nicht so weit kommen würde.

Heute ist es soweit. Ich habe wochenlang Texte umgearbeitet oder neu geschrieben – galt es doch, aus der 6. Fassung die 7. Fassung zu machen.

Auslöser für diese Arbeit war eine massive Krise Anfang Mai. Zu jenem Zeitpunkt deckte die 6. Fassung inhaltlich bereits erste Romandrittel ab und umfasste etwa 300.000 Zeichen, also etwa 190 Buchseiten. Der größte Kritikpunkt: zu dicht, zu knapp, zu distanziert geschrieben. Mein Roman brauchte also eine neue Sprache.

Von der 7. Fassung liegen nun in etwa 230 Buchseiten vor (375.000 Zeichen inklusive Leerzeichen) – und das, obwohl dieser Text das erste Romandrittel noch gar nicht inhaltlich vollständig abgedeckt – sprich, es ist noch nicht alles verarbeitet, was bereits in der 6. Fassung vorliegt. Ein gutes Zeichen, das Volumen des Romans wächst von seiner inneren Struktur heraus, und nicht, weil ich Dinge von außen anfüge.

Meine Produktivität (gemessen an getippten Zeichen) ist enorm. Ich hatte die 7. Fassung am 10. Mai begonnen und wohl an die 100 Buchseiten völlig neu getippt. Das zeigt mir: wenn mir Handlung, Personen und Topografie völlig klar sind, gibt es kein Halten mehr.

Der große methodische Unterschied zur 6. Fassung ist, dass ich mich selbst autobiografisch ausschlachte, wo immer ich Details für meinen Protagonisten brauche. Das bringt massive Erleichterung und Geschwindigkeit für meine Arbeit.

Tod des Antiquitätenhändlers

Ich fuhr nach Wien, mit dem Zug. Zu Fuß durchquerte ich die Innenstadt und ging zum Antiquariat. Ein Geschäft mit zwei Schaufenstern. Ich drückte meine Nase an das Glas, meine Hände zu Scheuklappen, damit ich hineinsehen konnte. Polierte Biedermeierschränke. Gepolsterte Sessel mit geschwungenen Lehnen. Kleine Ölbilder mit dunklen Landschaften. Eine Vitrine mit bemalten Porzellanfiguren: ein Junge tollt mit seinem Hund umher – ich hatte nie einen Hund. Ein Mädchen spielt Laute – ich hatte nie ein Instrument erlernt; ein junges Paar verliebt auf einer Parkbank – ich hatte nirgends in diesem Schaufenster Preisschilder entdeckt. Ein Foto auf einem Tischchen. Metallrahmen mit schwarzer Schleife. Das Portrait eines Mannes im Pensionistenalter. An der Glastür das handgeschriebene »Wegen Trauerfalls geschlossen«, und dennoch unversperrt. Eine elektrische Klingel machte Lärm, auch als die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Sofort stand die Frau vor mir.

»Wir sind geschlossen«, so sagte sie es.

Ich redete sie an, auf das, was passiert war, und sie erwiderte: »Was wissen Sie denn schon, wie das ist.«

»Glauben Sie mir, ich weiß es«, sagte ich.

Sie führte mich in das Büro. Gestreifte Biedermeiertapete mit Blumenmuster. Ein Stuhl aus geschwungenem mit Lederner Sitzfläche vor einem Biedermeiersekretär. Auf und zu so einem Tisch passt kein Laptop. Hier will die Feder in das Tintenfass getunkt sein, um Worte sind auf handgeschöpftes Papier zu kratzen. Blut hatte die Politur zerstört. »Der muss in die Werkstatt. Aber ich bin noch nicht soweit«, sagte sie.

Wir schwiegen eine Weile, gemeinsam.

»Ich bin noch nicht so weit«, sagte sie.

Sie zog eine leere Schublade aus dem Tisch. »Hier haben die Polizisten den Viola–Ring gefunden. Ein Ring! Was macht mein Mann mit einem neuzeitlichen Ring? Seine Welt ist das Biedermeier.«

Sie fügt ein »gewesen« an.

Das Schlimmste sei der Vorwurf. Sie stützte sich auf dem Sekretär ab, versehentlich auf dem Blutfleck. Sie riss die Hand hoch und legt sich die Finger sich an die Wange. „Mein Mann war doch niemals ein Hehler. Wir haben das gar nicht nötig.“

Ich fragte sie, was mit dem Fußboden war. Dort, wo der Teppich endete, war eine Stelle mit vier Schrammen im Parkett. Splittrige, helle Rillen. Ich beugte mich hinunter und fasste einen herausstehenden Splitter an. Sie sagte, dass sie sich diese Kratzer auch nicht erklären konnte. Es käme ihr vor, als hätte ein Tier seine Pranke ins Holz geschlagen.


Entnommen der 1. Fassung meines momentanen Romanprojekts. Es findet in der jetzigen (7.) Fassung keinen Platz mehr.

Eine Stadt erschaffen

Mein heutiges Schreibgefühl war: Es eröffnen sich mir Räume mit unglaublicher Reichhaltigkeit. Räume, die zuvor noch nie ein Mensch betreten hat. Weil die Gemäuer, die Straßen, ja diese gesamte Stadt vor mir noch nicht existiert haben.

Und mit jeder Fassung des Geschriebenen schärft sich mein Blick auf diese Welt. Was am Anfang völlig unklar war, erzähle ich jetzt mit beiläufiger Leichtigkeit und ohne Widersprüche, denn die Zusammenhänge sind für mich selbstverständlich geworden. Ich bewege mich auf den Straßen mit einer Vertrautheit, wäre das meine Heimat – und diese Stadt ist meine Heimat geworden in all den Jahren, die mich dieses Romanprojekt begleitet.

Habe ich die Stadt erschaffen oder war sie immer schon da, bloß ich war noch zu blind, um sie zu sehen?

versiebenfacht

Montag: Was ich mir für heute vornehme, ist viel – weiß ich doch! Also Geduld, Thomas, wenn es nicht heute fertig wird, dann eben morgen.

Dienstag: Die Handlung quillt mir zwischen den tippenden Fingen auf. Mit jedem Tastendruck sehe ich mehr, und alles passt so gut zusammen. Nach Mitternacht gehe ich auf und ab, beobachte die Kräfte in mir, die für mich alles zusammenfügen und verfugen – aber wann ist die Szene fertig?

Sonntag. Und so wächst mir der Tag zur Woche, weil sich der Reichtum meiner Welt wiedereinmal versiebenfacht hat.

Die Schlacht (Öl auf Leinwand)

Sofort wird der Betrachter mit seinen Blick in das Zentrum getrieben, in das Getümmel aus Pferdeleibern, Reitern, Fußvolk und Leichen. So dicht, dass jeder Hieb einen Aufschrei hinterlässt, jeder Stich einen Blutschwall öffnet, jeder Schuss das Fleisch zerreißt. Es gibt kein Ausweichen mehr, bloß ein Aufbäumen und ein Hinabsinken. Hinter dem Getümmel ein Horizont aus Licht, der die hochgereckten Schwerter glänzen lässt, aber die Gesichter zu Schatten macht. Das ist das Licht der brennenden Stadt, und obwohl die ganze Stadt, ja die ganze Welt zu brennen scheint, reicht das Feuerlicht kaum über aufragenden Lanzenspitzen hinaus – denn von oben drückt dunkel durchwobener Rauch. In so einer Welt hätte eine Sonne gar keinen Platz. Denn das hier passt nicht in ein Tageslicht, aber eine Nacht will sich auch nicht recht einstellen. Und die Jahreszeit? Hier grünt nichts, hier welkt nichts mehr, und von einem Mantel aus Eis und Schnee ist auch nichts übrig.

Rechts oben, dem Bilderrahmen schon recht nahe, die Burg. Sie passt nicht recht in das Gemälde. Zu unversehrt überragt sie das Gemetzel. Monolithisch, wie aus einem einzigen Felsstück gemeißelt. Groß scheint sie zu sein, denn rund um sie ist nichts mehr übrig, das vergleichsweise Kleinheit aufzeigen könnte. So eröffnet sich dem Betrachter der Zusammenhang: erst wenn diese Burg zerstört ist, wird das Gemetzel in sich zusammen fallen.

Wenn sich der Betrachter nun noch etwas Zeit gibt und den Blick schweifen lässt, wird er auch jene zwei Figuren bemerkt, die links in den Vordergrund gesetzt sind. Vielleicht fallen sie deshalb nicht ins Auge, weil sie so unbehelligt wirken. Der ältere, hoch zu Ross, mit glänzendem Harnisch, mit ernstem, bärtigem Gesicht. Ihn rühren weder Pferdekadaver noch bleiche Menschenreste. Er gehört zu jenen, die schon dermaßen viel Schmerz in sich tragen, dass ihn das Leid der anderen nur schwerlich rührt. Sein Schmerz kommt mit jeder Bewegung, steckt in jedem seiner Gliedmaße. Von seinem Pferd wird er nur mit fremder Hilfe herabsteigen können. Er ist General der Schweden. Seine Geißel ist die Gicht.

Der andere, der jüngere, hat schulterlanges, lockiges Haar. Auch er trägt Schmerz in sich. Sein Gesicht ist glatt und grau, so wie ich es vom Spiegel kenne, morgens, wenn ich in meine Leere schaue. Ich hebe meinen Arm und deute zur Burg. Daraufhin hebt der General den Blick, doch ohne den Kopf zu bewegen. Jetzt die Detonation. Mauerwerk und Leiber spritzen empor, sind schwarze Punkte vor der Burg, die im hellen Licht zerbricht.


Entnommen der 1. Fassung meines momentanen Romanprojekts. Es findet in der jetzigen (7.) Fassung keinen Platz mehr.

Ihr habt mir eure Kommentare nur geliehen

Ein Blog lebt von seinen Lesern und denjenigen, die sich mit ihren Kommentaren beteiligen.Wenn ihr hier Kommentare hinterlässt, ehrt mich das, insbesondere, da das Spurenhinterlassen im Internet ein heikles Thema ist.

Darum habe ich in der Verfassung dieses Blogs festgeschrieben, dass ihr das Recht habt, eure Kommentare entfernen zu lassen.

Verweilen (Öl auf Leinwand)

Dieses Gemälde verlangt Zeit ab. Deshalb steht ein Sessel davor. Keiner, der zum Sitzen einlädt, sondern ein kantiger, aus unbehandeltem Holz gezimmert, ohne Krümmung, die sich dem Rücken anpasst. Wer hier Platz nimmt, der soll nicht ruhen, im Gegenteil, er soll sich das Bild erarbeiten, er soll dermaßen aufmerksam sein, denn jederzeit könnte etwas passieren. Ich hänge es in die Violagalerie. Gebe ihm dort einen eigenen Raum. Den Sessel schiebe ich so nahe heran, dass der Betrachter das Gemälde mit ausgestreckten Armen beinahe berühren kann. Aber eben nur beinahe. Der Raum ist weiß. Das Licht diffus, kommt von überall her, es gibt keine Schatten – denn hier drinnen ist jede Bewegung frei von allem. Frei von Schatten, frei von jedem Sinn – hier ist nichts, was Sinn verbreiten könnte. Es existiert nur Raum, Bild, Sessel. Und der Betrachter, der sich zum Teil von allem macht. Sobald er sich gesetzt hat, zur Ruhe gekommen ist und sich abgefunden hat, dass nichts werden kann – und ich meine: er hat sich wirklich damit abgefunden – da setzt Bewegung ein. Eine stille Bewegung, die er im Gesichtsfeld nicht recht lokalisieren kann. Es bilden sich Schattierungen, kontinenthafte Konturen, die aneinander vorbei driften.

Und dann der Moment, in dem das Bild ausufert.

Weil es frei ist, weil es keinen Rahmen kennt. Die Konturen schieben sich über die Leinwandkante zum Betrachter. Sie richten sich auf, formen Gestalten, winden sich glänzend empor, sie erschaffen sich Farben und mit jedem Atemzug wird es reicher. Die Formen gleiten ineinander über, umschließen mich, auf eine glatte, stille Art, und mein Herz – ich stelle es mir vor, wie es inmitten von alledem schlägt. Ich spüre etwas Wachsen, es könnte um mich sein, es könnte in mir sein. Oder ich, ich wachse in etwas hinein, in etwas, das anders ist. – Und schon fallen die Gestalten in sich zusammen. Sind am Boden nur mehr Überreste, die auf die Leinwand zurückgesogen werden und dort verschmelzen, als sei nie etwas gewesen. Raum, Bild, Sessel, ich. Weil ich es nicht geschafft habe. Weil ich nachdenken musste und das Nachgedachte niederschreiben musste.


Entnommen der 2. Fassung meines momentanen Romanprojekts. Es findet in der jetzigen (7.) Fassung keinen Platz mehr.

Neue Kleider für den Blog II

Danke für eure Reaktionen auf die Designänderung! Schön zu hören, dass der Wald, in den ich eine Frage rufe, antwortet. Mehrfach sogar. Widersprüchlich sogar. Pro und Kontra hielten sich erstaunlich präzis die Waage, so dass ich mir dachte: machen wir es wie im amerikanischen Senat – bei Pattstellung zählt auch die Stimme des Vizepräsidenten.

Partyszenario

Geht ein Autor auf eine Party, hat er sich auf folgendes Szenario einzustellen:

Mensch: Ich habe gehört, du schreibst.

Autor: Ja.

Mensch: Was denn?

Autor: Einen Roman.

Mensch: Und worum geht es?

Das ist ein guter Test, ob der Autor dem Wesen seines Romans schon so nahe ist, als dass er es innerhalb der durchschnittlichen Aufmerksamkeitsspanne eines durchschnittlichen Partybesuchers vermitteln kann (Siehe auch Artikel zum Thema Inhaltsangabe). Bei mir war es letztens folgendermaßen:

Autor: Die Geschichte handelt von einem Krankenhaus, das vierhundert Jahre alt ist. Es wurde im 30jährigen Krieg von einem sehr reichen Söldnerführer gegründet. Für eine Frau, die er sehr geliebt hat. Diese Frau war eine Art Krankenschwester, und sie hatte den Mann gesund gepflegt. Er wollte sie heiraten, aber sie lehnte ab. Denn er ist einer, der vom Krieg profitiert und den Krieg schürt. Also, was tut man in so einer Situation, wenn einem eine Frau zurückweist?

Mensch: (schaut)

Autor: Richtig! Man baut ihr ein Krankenhaus. Damit sie es leitet. Und das geht auch einige Jahre gut. Doch dann, 1645, kamen die Schweden und plünderten alles und Viola – so hieß die Frau – war seither verschwunden. Der Mann blieb alleine zurück, und in seinen letzten Lebensjahrzehnten sorgte er mit einer Stiftung dafür, dass dieses Krankenhaus die Generationen überstehen würde.

Mensch: (nippt Alkohol)

Autor: Der Roman beginnt damit, dass eine schwangere Archäologin das Skelett der verschollenen Krankenhausgründerin findet. Und ermordet wird. Ihr Freund und Vater des Kindes kommt in den Ort, um für sich herauszufinden, was passiert ist. Um mit seinem Verlust klar zu kommen. So verstrickt er sich immer mehr in eine Geschichte, die von vierhundert Jahren begonnen hatte.

Mensch: Das ist ja wie ein Hollywoodfilm …

Autor: Äh, ja. Hmm.

Lisa hat einen Blog

Von Lisa Dickreiter habe ich erstmals die Idee eines Schreibtagebuchs gehört (und mir gedacht: Wozu denn, da schreibe ich lieber am Roman als dass ich zusätzlich noch… naja, ich darf doch meine Meinung ändern, oder?). Das war 2005, in der Leondinger Akademie für Literatur.

Schweizer Aussicht. Aufgenommen von Lisa Dickreiter.
Schweizer Aussicht.

Nun hat sie einen Blog, einen erfrischenden. Und lässt uns etwa an ihrem Schreibklausur in der Schweiz teilhaben. Mit Fotos. So zum Beispiel dieses Foto der Nebelwand (wo, so wie ich es verstanden habe, üblicherweise Berge zu sehen sein sollten).

Sie legt ihren Tagebucheinträgen Rubriken bei, wie „Schreib-Zitat des Tages“, „aktuelle Schreibmusik“, „aktueller Film“ oder „aktuelle Lektüre“.

Spannend zu beobachten.

Ein Tag der Schwermut. Gut so.

Schwermut ist ein erstaunliches Gefühl. Das ist so etwas Dichtes um mich, da bekommt jeder Schritt eine Bedeutung. Das Tastengeklimper geht zügig vor sich – nicht mit Leichtigkeit, aber die Worte – ich habe das Gefühl die Worte wiegen schwerer als sonst.

Dabei sind es Szenen der Leichtigkeit und der Lebensfreude, die ich schreibe! Depressives Zeug, das interessiert mich nicht, das kann sich jeder selbst ausdenken, wer will. Ich nehme diese Schwermut heute als Geschenk, das Leben zeigt mir meine Rolle. Und die ist vor dem Laptop. Dem einzigen Ort, wo die Schwermut wirklich gut aufgehoben ist und zu Gold werden kann.

Schwermut befreit mich vom Herumzappeln; ich will nicht dies oder das, auch nicht an mir in Kreisen herumdenken, sondern dieses Große, Schwere, Schöne gleich einer Masse zu etwas formen, das ich in die Landschaft stelle. Die vorbeiziehenden Leser können es ansehen, können es berühren, und jeder Leser nimmt auf seinem Weg den Eindruck mit, der ihm am nächsten ist.