Die Arme der Autoren

Es ist unmöglich mit Worten zu beschreiben, was notwendig wäre, für jene, die nicht wissen, was Schreiben bedeutet.

Das Schreiben. Das Scheiben hat ein Gesicht. Und man muss sich das Schreiben zum Freund machen. Das Schreiben und der künstlerische Drang sind deine Freunde. Falls es nicht so ist, sind sie deine gefürchteten Feinde.

Vor langer Zeit. Da kam ich in eine Schreibwerkstatt, um einigen Autoren das Schreiben zu zeigen. Ich gab ihnen zur Aufgabe, einen Text zu schreiben, der beim Leser eine starke Emotion auslöst. Ich verließ die Werkstatt, um sie in Ruhe schreiben zu lassen.

Da kam ein alter Autor hinter mir hergelaufen, und er weinte … Ich ging zurück. Etwas war über die Autoren gekommen, denn jeder hatte sich den Schreibarm abgehackt. Die Arme lagen auf einem Haufen … Und ich erinnere mich, wie ich schrie, ich weinte wie ein altes Waschweib. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte: All diese Autoren saßen da und schrieben mit den verbleibenden Händen Texte über den Verlust ihres Schreibarms.

Und ich will mich daran erinnern. Ich will es niemals vergessen. Und dann war mir, als würde ich durchbohrt, durchbohrt von einem einzigen, diamantenen Wort, direkt durch die Stirn. Und ich dachte, mein Gott, diese Schöpferkraft, dieses Genie, dieser Wille, das zu vollbringen. Vollkommen, unverfälscht, vollendet, kristallen, makellos. Und dann wurde mir klar, dass diese Literaten viel stärker als wir alle waren. Weil sie alles ertragen konnten. Das waren keine Ungeheuer, das waren Frauen und Männer, die mit ihrem Herzen kämpften. Dass sie die Kraft haben, die Kraft, das zu vollbringen. Wenn ich in Österreich aus solchen Leuten bestehend ein Verlagsprogramm aufbauen könnte – das wäre der Neuanfang jeglicher Literatur.

Denn dazu gehören Frauen und Männer, die Überzeugungen haben. Und die dennoch imstande sind, ohne Hemmungen, ihre ursprünglichen Instinkte einzusetzen. Ohne Skrupel. Vor allem ohne auf Kritik zu hören. Denn es ist die Kritik, die die Kunst besiegt.


Dies ist eine Paraphase auf den Monolog von Captain Kurtz (Marlon Brando) aus dem Film Apocalypse Now:

Hier der Text deutschen Synchronfassung: Die Arme der Autoren weiterlesen

Sucht

Um als süchtig im Sinne eines Abhängigkeitssyndroms nach ICD-10 zu gelten, müssen mindestens drei der folgenden Kriterien während des letzten Jahres gemeinsam erfüllt gewesen sein:

  1. Starkes, oft unüberwindbares Verlangen
    JA, und solange das da ist, weiß ich, dass meine Welt eine Gute ist

  2. Schwierigkeiten, das Schreiben zu kontrollieren (was den Beginn, die Beendigung und die Menge betrifft)
    JA, denn das Schreiben kontrolliert mich

  3. körperliche Entzugssymptome
    JA (Unruhe, Schlafstörungen, Unkonzentriertheit, Gereiztheit bis hin zu Magenschmerzen oder Kreuzschmerzen)

  4. Benötigen immer größerer Mengen, damit die gewünschte Wirkung eintritt
    NEIN, gottseidank.

  5. fortschreitende Vernachlässigung anderer Verpflichtungen, Aktivitäten, Vergnügen oder Interessen (das Verlangen nach Schreiben wird zum Lebensmittelpunkt)
    JA. Ich ziehe mich zurück, ich muss mit mir und meinem Roman sein.

  6. fortdauerndes Schreiben wider besseres Wissen und trotz eintretender schädlicher Folgen.
    NEIN, denn Schreiben hat doch keine schädlichen Wirkungen. Schreiben macht glücklich! Nur Nichtschreiben macht unglücklich also muss ich schreiben immer schreiben denn dann geht es mir gut und zum Glück kann ich über das Schreiben schreiben wenn ich nicht schreiben kann und dann denke ich dass ich nicht schreibe und eigentlich schreiben sollte

Wider allem

Das Schreiben drängt. Jede Minute des Nichtschreibens ist Versäumnis. Vom Büro durch den Regen nach Hause radeln. Sogleich vor den Laptop. Essen? Ja, aber später. Draußen ist es noch hell. Das Regenpanorama vor meinen Fenstern. Hinter meinen Fenstern ich. Und hinter mir der Roman. Die Welle, auf der ich reite. Ein Hinfortgerissenwerden, das schon Tage anhält. Stehende Luft wird Gegenwind, schleudert steinharte Wassertropfen in mein Gesicht. Aber ich halte mich auf dem Wellenkamm. Wider allem.

Ich schreibe um mein Leben, eigentlich

Und jedes Wort ein Paddelschlag. Jedes Wort begehrt auf, gegen die beinahe Unmöglichkeit, so einen Roman fertig zu kriegen, weil er doch ein Ozean ist. Jeder Satz fängt solche Gefühle, die ihr niemals in mir vermutet hättet. Alles um mich ist groß, die Wellen stellen sich hintereinander in meinen Weg.

Mein Schreiben umspannt zu viele Jahrhunderte, als dass die Taue mein Floß auf Dauer zusammenhalten könnten. In mir sind zu viele Leben, als dass sie alle Platz hätten. Aber ich weiche nicht aus! Ich suche die Welle, die Freakwave, mein Schreiben ist Paddeln, chaotisch und erschöpfend, alles Schreiben nur, damit ich rechtzeitig den Wellenkamm erreiche! Und mich oben halte! Ein paar Sekunden bloß, mit aller Worte Kraft etwas über den Kamm hinaus, eine Satzlänge nur, denn dann! Denn dann reißt es mich mit und das Floß und meine Netze, und ich stehe breitbeinig und fest und habe vor mir steinhart das Wasser, ich rase die Welle hinab, aber alles Fallen ist nichts gegen diese gleichzeitige Wucht, die mich kapitelweit durch die Nacht nach vorne schlägt, Gewitter um mich, und hagelharter Regen gegen meine Tastatur.

Ich schreibe gegen den Wind, gegen das beinharte Meer, gegen das Salz auf meiner Zunge, und gegen die Luft, die mir ausgehen wird, wenn mich die Welle verschlingt. Wenn ich minutenlang im Strudel nicht weiß, welcher Richtung ich Atem abringen soll. Alles ist nass, und mir ist heiß, und es ist kalt, aber es ist der Moment.

Ich meine diesen einen Moment, für den mich jemand geboren hat.

Marita Haas (Signiertes V)

Marita habe ich 2002 in einem deutschen Konzern kennengelernt. Lange nachdem unsere beruflichen Wege auseinandergedriftet waren, tauchte sie beim Texthobel auf. Ein paar Mal. Später dann tauchte sie unter den Gewinnern von Wortlaut 05 auf:

Wortlaut 05: Marita Haas
Wortlaut 05: Marita Haas

Hoffentlich schreibt sie bald wieder. Hier ihr Blog: www.maritahaas.at

Maria Edelsbrunner (Signiertes IV)

Das hier stammt von Maria. Ihre erste größere Veröffentlichung, autorenmorgen01, edition luftschacht. Maria begleitet mich nun seit 1999 durchs literarische Leben. Sie ist Gründungsmitglied von GRAUKO, und wie man sieht, fanden wir es schon vor Jahren schön, dass es uns gibt:

... signiert von Maria Edelsbrunner
... signiert von Maria Edelsbrunner

Oh, ich kürze nicht mehr! Im Gegenteil…

Wie ihr Blogleser wohl gemerkt habt, hatte ich eine Krise. Die resultiert nun in einer geänderten (sprich autobiografischen) Herangehensweise. Dank dessen bin ich meinem Protagonisten Timon viel näher als früher. So bin ich eben dabei, alles bisher Geschriebene zu überarbeiten.

Und nun ist etwas passiert. Im Unterschied zur früheren Arbeitsweise resultiert Überarbeiten nicht in Streichungen, sondern in Erweiterungen. Ich sehe den bisherigen Text als Skelett, das mit Fleisch zu füllen ist. Mit Sinneseindrücken, mit Sinnlichem. Timon verweilt nun. Ich nehme mir Zeit für jene Orte, an denen Timon ist.

Das schlägt sich auch an den Zeichenzahlen nieder: Mein überarbeiteter Romanbeginn umfasst per heute 105.000 Zeichen. Um denselben Handlungsfortschritt zu vermitteln, benötigte ich in der vorigen Fassung 68.000 Zeichen. Um die Hälfte mehr. Mein Roman wird länger.

Hinab und empor

Mein literarischer Absturz ist wie ein Aufschlagen auf dem steinernen Boden. Aber durch zähe Schreibjahre zum Gummiball geworden, so pralle ich ab und schieße sofort empor, weit über die Städte und Felder und Wälder mit ihren Bäumen und den Bäumen mit ihren Blättern und diese Blätter mit grünen Adern, die sich verzweigen und dann wieder verzweigen und immer wieder feiner werden, bis sie beim Blattrand angekommen sind.

Stefan Slupetzky (Signiertes II)

Stefan habe ihn in einer dieser Rauchschwadenkrimiautorennächte kennengelernt. Mit ihm ist es spaßig, auf eine leichte und doch tiefgründige Art. Zudem mag ich seine Gedichte, die viel Wortwitz in sich tragen.

Ich signierte ihm eine „Archäologin“, und er signierte mir seinen ersten Lemming. Wir versicherten einander, dass keiner gezwungen sei, das Buch des anderen zu lesen (was wir dann doch taten).

Das Fall des Lemming
Das Fall des Lemming

Stefan kann so gut schreiben, dass er eigentlich gar nicht Krimis schreiben müsste. So ähnlich sagte ich es ihm einmal, und er schaute mich an, mit diesem Blick, den Autoren haben, bevor sie sagen: „Danke. Du verstehst mich.“ Über seinen Schreibprozess spricht er wenig: Schreiben ist Arbeit für ihn, und über die Arbeit spricht man eben nicht nach Feierabend. So ist es eben. Einmal war er mein Gast bei einer Texthobel-Schreibwerkstatt – ein Trick von mir, ihm etwas über sein Schreiben zu entlocken, denn bei einer Schreibwerkstatt redet man über das Schreiben. So ist es eben.

2008, als er heftig an „Lemmings Zorn“ arbeitete, lud ich ihn für einen Sommertag zu mir aufs Land ein. Nach Stillfried. Und seither liest man nun folgendes, im 4. Lemming-Roman:

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aus: "Lemmings Zorn", Seite 301

Der Pinguin in Wien (Signiertes I)

Von Andrej Kurkow habe ich 2007 folgendes Autogramm bekommen – er hat mir Mischa, seinen Pinguin, gezeichnet. Es war bei einer Gala im Rathaus („Die 100 Lieblingsbücher der Wienerinnen und Wiener“). Andrej saß den Abend bei mir am Tisch, und wir hatten es noch recht lustig.

Pinguine frieren nicht - Signatur
Pinguine frieren nicht - Signatur

Bücher könnten sozialen Medien werden

Mit der Möglichkeit, soziale Netzwerke zu knüpfen und Medien untereinander auszutauschen und zu kommentieren würden sich künftig auch die Medien-Formate grundlegend ändern.

Bücher könnten damit zu sozialen Medien werden.

Denkbar seien zum Beispiel auch Romane, die je nach dem, wo und wie schnell sie gelesen werden, unterschiedlich ausgehen.

Bücher werden eine Revolution erleben, genauso wie Filme.

Nun, da braucht es jedoch noch die geeigneten Autoren. Ach ja, und die guten Ideen. Technisches Potential alleine reicht nicht. Leider. Apropos Soziales Netzwerk: Wie oft haben Autoren schon versucht, gemeinsam einen Roman oder ein Theaterstück zu schreiben? Und wenn es dann gescheitert war, dann sicher nicht an mangelnder Technik. Literaten arbeiteten schon mit Hyperlinks, ehe dieser Begriff erfunden war, siehe Andreas Okopenko’s Lexikonroman.

Und das Kollektiv GRAUKO arbeitet übrigens derzeit gemeinsam an einem Theaterstück. Dazu verwendet es seinen internen Blog schreibraum.wordpress.com als Medium des Austauschs.

Andererseits ist das Öffentlichmachen von Inhalten so einfach wie noch nie. Geografische Schranken zählen nicht mehr, die Grenzen von heute sind Sprache und Lebensart. Darum dieser Blog – ich will sehen, was passiert, wenn ich hier einen Teil von mir öffentlich mache. – Und es passiert etwas. Jeden Tag.
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