Verliebter Autor
turtelt mit der Geliebten
anstatt zu schreiben.
Monat: März 2010
Jemand hat ein Gedicht für mich geschrieben!
Denise Klement hat ein Gedicht geschrieben – wäre an sich nichts seltenes, denn Denise Klement schreibt oft und gut Gedichte. Aber diesmal: sie hat eines geschrieben und dieses mir gewidment! Danke! Hier ist es:
Du zählst dich auf
-eins-zwei-drei-,
monotone Quantensprünge,
die sich da auf deiner
Netzhaut spiegeln. Du
flüchtest in deine
Ecken, und ganz hinten
dann gehst du
in deinen letzten Schuhen
festen Schrittes auf
und abKomm schon, lad mich
ein zu deinem Spiel;
ich öffne vor dir
mein Haar. Und ich
lächle und verwundert sehe
ich deine glatte Haut.Dein Gesicht drängt nach
vorn. Mein Mund ruft
einen deiner Namen.Fast hätte ich
dir geglaubt.(für Thomas Wollinger)
Maler sein
Will heute ein Maler sein, der seine Farben
auf eine weiße Leinwand klatscht
als wären sie Dialogfetzen.
wechselt die Richtung
Trage seit Tagen eine Szene mit mir. Und jedesmal,
wenn ich an dieser Szene herumdenke, wenn
ich an ihr tippe, dann wechselt
sie die
Richtung
mit solcher Mühelosigkeit,
als würde es sie gar noch nicht geben.
William Blake und seine Liebe zur Kindheit
Über die BBC-Dokumentation The Romantics bin ich zu William Blake gekommen. Maler und Lyriker. Einer der ersten Romantiker. Mit einer großen Achtung und Liebe zur Kindheit.
In meinem Roman ist Kinderliebe ein wichtiges Thema – mein fiktives Krankenhaus, das Violanum, ist von Fürsorge für Kinder und Mütter geprägt. Nun arbeite ich daran, wie ich diese Liebe der Gründerin des Krankenhauses, Viola (*1600 †1645), ausdrücke. Ich nahm von William Blake unter anderem das Gedicht Nurse’s Song (aus Songs of Experience) zum Vorbild. Es entstand folgendes Textstück, das Teil der alten Überlieferungen werden soll:
Viola und ihre Kinder
Es erhebt sich die Sonne.
Fröhlich macht sie den Himmel.
Und die silbernen Glocken läuten
und begrüßen den Sommer.
Die Feldlerche und Drossel,
die Vögel im ganzen Wald,
alle singen laut und rundherum
zum frohgemuten Glockenton.Und da habe ich euch zugesehen,
euch Buben und euch Mädchen,
so wild seid ihr umher gelaufen,
habt gelacht und seid gesprungen
auf den Uferwiesen und den Wegen.
Ich werde Ihnen heute sagen, wie ich schreibe.
Mein Name ist Thomas. Ich bin Autor. Ich werde Ihnen heute sagen, wie ich schreibe.
Übrigens: nichts von dem, was ich hier sage, steht auf den Zetteln, die Sie ausgeteilt bekamen. Darum, heben Sie die Köpfe und sehen Sie mich an. Hören Sie mir gut zu. Denn ich sage Ihnen jetzt, wie ich schreibe.
Ich schreibe, indem ich anfange.
Weil, mit irgendwas muss man doch anfangen!
Mit zwei Menschen vielleicht.
Die setze ich nebeneinander. In einen Panzer. Oder an den Frühstückstisch. Ich will über das Frühstücken schreiben. Mehr Ideen habe ich nicht. Aber ich könnte weiter nachdenken.
Frühstück 1967 in einem Panzer im Sechstagekrieg.
Oder in einem Siebzigerjahre-Wohnblock in Graz.
Das in Graz ist besser. Denn ich habe gelernt, dass man nicht immer wie wild töten muss, um beim Leser was zu bewirken. Aber wie wild ficken, das muss man in einem Roman. Außer natürlich, es ist vom Krieg die Rede. Die meisten Bücher in Österreich haben was mit dem Krieg zu tun, darum wird so wenig gefickt.
Merken Sie, wie ich mich winde, um nur ja nicht mit dem Schreiben zu beginnen? Wie ich abschweife? Als Autor bin ich die meiste Zeit damit beschäftigt, abzuschweifen. Ich denke an alles Mögliche, damit ich mich nur ja nicht dem Wesentlichen stellen muss.
Ich zwinge mich zurück zum Frühstück. 2 Menschen also. Was für Menschen? Das muss ich doch wissen, als Autor, oder? Mann und Frau meinetwegen. Sie ist gut gelaunt, denn sie hat einen jüngeren Liebhaber. Er aber ist Autor.
Und jetzt? Keine Ahnung! Die Leute fragen mich immer, wie ich das alles so durchkonstruiere in meinen Romanen, aber da ist nichts Konstruiertes, das ist alles nur passiert, das passiert in meinem Kopf und immer wieder und hört nicht auf. Mein Schreiben ist dann gut, wenn es bloßes Beobachten ist. Und so beobachte ich die beiden und schreibe auf, was beim Frühstück passiert, während ich darüber schreibe.
Entstanden für eine Lesung/Aufführung Theater im Stockwerk in Graz – Kollegen des Improvisationstheaters unterbrechen die Lesung und führen den Text spontan weiter
Kerstin küsst den Winter
Kerstin öffnet die Augen, bevor Papa sie geweckt hätte. Denn draußen passiert etwas. Etwas weiches, sanftes. Grau ist der Morgen, aber für so etwas Wunderbares braucht es keine Sonne! Der Schnee ist gekommen. Als Papa hereinkommt, um sie zu wecken, steht Kerstin längst am Fenster und drückt die Nase an die Scheibe.
„Hörst du das?“, fragt Kerstin.
„Was denn?“, fragt Papa.
Papa stellt sich hinter sie, legt seine weichen Hände auf ihre Schultern.
„Der Winter ist gekommen“, sagt sie.
Dann Frühstück und Strumpfhose und dicke Hose und dicker Pullover und dicke Jacke und Schal und Haube und Handschuhe und endlich draußen! Schule? Nein, jetzt keine Zeit, jetzt ist Winterzeit! Jetzt muss watteweicher Schnee durchwatet werden, jetzt müssen die Handschuhe fort, damit Flocken auf der Hand landen, frei dahinschmelzen können. Jetzt will sie die Stille hören, die sich mit der weißen Decke über die Stadt legt. Jeden Schritt genießen, denn jeder Schritt hinterlässt eine Spur. Das ist so anders als im Staubsommer.
Sie kommt am Park vorbei, wo Schneepolster auf den Schaukeln bereit liegen. Die Sandkiste ist schon eine Schneekiste, das Holzpferd ein Eisbär, das Holzhaus ein Iglu. Sie öffnet das Tor zum Spielplatz, ein Quietschen wie aus Sommertagen, doch keine Kinder, die ihr den Platz auf der Schaukel streitig machen könnten. Danke, Winter! Sie setzt sich auf ihre Lieblingsschaukel, die Metallkette ist kalt, sehr kalt, das mag sie, und die blöden Handschuhe hat sie ohnehin schon irgendwo am Weg verloren. Sie wippt vor und zurück. Dabei sieht sie auf die Schule gegenüber vom Spielplatz. Ihre Schule. Die Fenster leuchten gelb und drinnen gehen Gestalten auf und ab. Kerstins Lehrerin wird jetzt schon fragen, wo denn die Kerstin geblieben ist. Kerstin knöpft sich den Mantel auf, und der Schal … es ist so frisch, hier kann sie so herrlich atmen, der Winter hat das Leben und die ganze Welt so neu gemacht. Danke, Winter!
Sie will den Winter umarmen und presst sie ihre Lippen an die Metallkette der Schaukel. Das schmeckt nach nicht viel, vielleicht nach Wassereis. Und irgendwann bemerkt Kerstin: die Kette hält ihre Lippen fest. Sie ist angefroren.
Küssen, denkt Kerstin, das schmeckt ein bisschen süßlich, fast wie Blut.
Entstanden am 1.11.2008 in der Texthobel-Schreibwerkstatt für Kinderbuch und Jugendliteratur, geleitet von Saskia Hula. Jugendliteratur folgt ganz anderen Gesetzmäßigkeiten, wie ich von Saskia gelernt habe. Sie meinte zu meinem Text, dass das Ende nicht kinderbuchtauglich sei und ab „Sie will den Winter…“ zu kürzen wäre. Das stimmt, finde ich.
Mein literarisches Manifest (weiterer Entwurf)
Ich spüre Zusammenhänge auf.
Ich fördere hinter dem Offensichtlichen das Versteckte zu Tage.
In Namen des Lesers stelle ich Fragen.
Ich formuliere Gegenmeinungen, um der gefährlichen Vereinfachung entgegenzutreten.
Ich biete Sichtweisen auf die Welt, die so gestaltet sind, dass sie den Aufwand des Buchlesen rechtfertigen.
Meine Beobachtung greift ein.
Mein Roman ist ein System. Es besteht aus meinen Romanpersonen und aus mir selbst. Ich bin Teil, und alle Teile sind eng miteinander verwoben.
Weil alles so verwoben ist, gilt der Beobachtereffekt – analog zu dem, den Schrödinger für die Physik identifiziert hat: Meine Beobachtungen sind zwangsläufig mit einer Störung des Beobachteten verbunden. Meine Beobachtung schafft Realität. Meine Beobachtung greift ein.
Weshalb ist das wichtig für mein Schreiben? Um beispielsweise meine Widerstände zu verstehen. Um mit ihnen umzugehen. Wenn ich eine Szene nicht schreiben will, dann liegt es wohl an meiner Beziehung zu dem, was in dieser Szene vorkommt. Eine Romanperson etwa, mit der ich (als Autor höchstpersönlich) nicht kann. Vielleicht berührt diese Person irgendein wundes Thema in mir. Andererseits kann mein Dialog mit den Romanpersonen Erkenntnisse bringen. Auch über mich. Ich bemühe mich, alle meine Romanperson zu verstehen. Ich helfe mir, indem ich Eigenschaften von mir heranziehe, die ähnlich sind. Ich arbeite mit Analogien aus meinem eigenen Erleben, um zu begreifen.
„Die Blonden verschwinden“ oder: Wie Ideen zu mir kommen
Mai 2000. Ich steckte tief in den Arbeiten zur Archäologin. Meine wichtigste Quelle war die erwähnte Anthologie, wo die Skelette der ermordeten Familie anthropologisch und archäologisch aufgearbeitet wurden. Und plötzlich, in meinem Caféhaus, tat sich mir etwas auf. In einer Tageszeitung:
Man braucht sich nur auf den Straßen umschauen. Wenn die Zuwanderung weitergeht, werden die Blonden bei uns in der nächsten Generation verschwinden.
Univ. Prof. Johann Szilvássy, Anthropologe. Zitiert im Kurier 11. Mai 2000
Szilvássy? Der Name kam mir gekannt vor … und ich schaute noch einmal auf das Cover der Anthologie. Szilvássy war einer der vier Autoren. Er leitete die antropologische Aufarbeitung der Skelette. Ja, so kommen sie zu mir, die Romanpersonen und die großen Zusammenhänge. Ganz von selbst.
Das Ausmaß der Tragödie oder: Wie Ideen zu mir kommen
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Dieses Buch war während meiner Arbeit an der Archäologin meine meistgelesene Quelle. Darum wirkt es auch so zerfallen. Es beinhaltet alles, was über diese Skelette herausgefunden wurde. Wie zum Beispiel das Alter der Toten:
Mann, 30 Jahre.
Frau, 45 Jahre
Frau, 40 Jahre
Bub, 3 Jahre
Bub, 8 Jahre
Bub, 6 Jahre
Mädchen, 9 Jahre
Wie zum Beispiel die Tatsache, dass alle Kinder die 45jähre zur Mutter und den 30jährigen zum Vater haben. Die Frau war demnach eine Spätgebärende, in einer Zeit, als die Menschen im Durchschnitt dreißig wurden. In einer Zeit, die üblicherweise keine Skelette hinterließ. Sie starben gleichzeitig, Opfer eines großen Gemetzels. Die Bilder der Skelette geben Details preis.
Mord vor 3000 Jahren oder: Wie Ideen zu mir kommen
Manche Ideen begleiten mich seit der Kindheit.
Etwa diese Skelette. Ich stand an der Grube, sieben war ich damals. Ich schaute hinab und sah Schädel und Knochen. (Meine kleine Schwester warf einen Stein hinab, und die umstehenden Archäologen nahmen ihr das übel. Damit endete wohl das weitere Interesse meiner Schwester für Archäologie.)
Der Zeitungsartikel wurde geschrieben, da wusste noch keiner, dass die ältere Frau die Mutter all der toten Kinder war. Und dass der Mann, dem der Kopf davongerollt war, ihr Mann war und dass er fünfzehn Jahre jünger war als seine Frau.
Und die Skelette? Die kann jeder ansehen. Sie liegen im Naturhistorisches Museum Saal XII (Bronzezeit)
Und jetzt?
Ein großer Teil ist geschafft. Freue ich mich darüber?
Den Text sollte ich überarbeiten – aber nicht gleich, erst etwas ruhen lassen. Ich denke an die kommenden Themen. Aber halt! So einfach ist das Weiterschreiben nicht, da müssen noch einige Varianten durchdacht werden. Etwa der lang geplante Auftritt einer neuen Romanperson. Werde mich bald in diese Person hineinfühlen, werde sie kennenlernen.
Der Schreibfluss der der letzten Tage – als ich getippt habe wie einer, der bloß mitprotokolliert, was in meinem Kopf vor sich geht – dieser Fluss muss sich sein Bett graben.
Bin vielleicht doch ein Workaholic.
Wie kannst dir nur soetwas ausdenken?
Leser: „Woher kriegst du eigentlich deine Ideen? Du musst ja total seltsam denken, dass dir so etwas ausdenken kannst.“
Autor: „Ach, diese Geschichten kommen zu mir.“
Hier also ein Beispiel für eine Geschichte, wegen der man mir blühende und abartige Fantasie attestiert hätte – hätte ich sie erfunden.
Wie kannst dir nur soetwas ausdenken? weiterlesen
Ich protokolliere Leben
Am besten schreibe ich, wenn ich bloß protokolliere: ich erfinde nichts, ich schreibe nur nieder, was die Romanpersonen machen.
Das ist der Fall, wenn alles schon erfunden ist, wenn alles schon gefühlt ist. Ich erkläre nichts, ich lasse euch Romanpersonen die Arbeit machen. Es ist ja schließlich euer Leben! Also, steht auf und lebt, eine jeder auf seine Art.
Und sollte sich noch irgendein dichterischer Firlefanz einschleichen, dann schneide ich ihn ab. Schnipp.