Draußen Sonnenuntergang.
Drinnen Schreibtisch.
Und mir ist nach Schreien.
Weil ich mich heute immer noch nicht
an das Wesentliche dieses Tags
herangeschrieben
habe.
Draußen Sonnenuntergang.
Drinnen Schreibtisch.
Und mir ist nach Schreien.
Weil ich mich heute immer noch nicht
an das Wesentliche dieses Tags
herangeschrieben
habe.
… ist ein Begriff, den ich von den Kollegen des Theaters im Stockwerk gelernt habe:
Fallhöhe ist das, was eine Person zu verlieren hat, sollte ein bestimmtes Ereignis eintreten. Klassisches Beispiel: Ein Mensch, der in das Gefängnis muss, wenn seine Hochstapelei auffliegt.
GRAUKO schreibt eben ein Theaterstück, und nach dem ersten Entwurf kam von den Theaterkollegen der Wunsch, die Fallhöhe der Hauptperson zu vergrößern. Um die Spannung zu steigern. Klassisches Beispiel: Der Hochstapler von vorhin, der jemanden umbringt, um sein Geheimnis zu vertuschen. Und nun als Mörder gejagt wird.
Die Fallhöhe ist ein Hilfsmittel, um einen Spannungsbogen zu erzeugen und zu halten.
Neulich in der U-Bahn. Folgende Stelle zum ich-weiß-nicht-wievielten Male gelesen:
Wir kamen im Schutz der Dunkelheit beide mit unseren Heeren und erbrachen, aus entgegengesetzten Richtungen vorstoßend, die Tore der Zitadelle. Es gab keinen Widerstand gegen unser blutiges Werk; wir baten nicht um Pardon und gaben keinen. In Blut schwimmend kamen wir zusammen, eine blutbefleckte, grünlichtige Vereinigung in der Nacht, und alle Sterne außer dem wie ein Skalp über dem Loch in der Decke hängenden schwarzen Fixstern waren erloschen. Wenn sie richtig hergenommen wurde, spie sie wie ein Orakel alles aus, alles, was ihr im Laufe des Tages, gestern, vorgestern, letztes Jahr, alles bis zurück zum Tage ihrer Geburt, widerfahren war. Und nicht ein Wort, nicht die geringste Einzelheit war wahr.
Henry Miller: Wendekreis des Steinbocks.
Rohwolt Taschenbuchverlag 2005.
Seite 227.
Dann klappe ich das Buch zu, halte es fest wie etwas, an das ich mich festhalten kann und denke mir: Da ist ein weites Land aufgetan. Das sind Worte, die in mich einfahren, wie bei manchen Haikus, nein, ärger, das ist wie bei Kindheitsgerüchen, die an den Verstand vorbei direkt ins Gefühlte zielen. Die etwas auslösen. Was da in mir passiert, entzieht sich einfachen Worten.
Was immer es sein mag – offensichtlich ist es das krasse Gegenteil von Show, don’t tell. Miller hält sich nicht mit dem auf, was seine Sinne wahrnehmen. Steigt gleich hinein in seine Schlussfolgerungen. Er benutzt verfremdende Bilder was das Zeug hält. Keine Dialoge, keine Beschreibungen, aus denen ich etwas schließen könnte – Miller sagt mir, welche Meinung ich über diese Frau zu haben habe. Er bricht all die Regeln, die ich nutze. In dem Roman gibt es keine Handlung mit den üblichen Spannungsbögen und auch sonst nicht das übliche Zeug, das einen Leser bei der Stange hält. Der Ich-Erzähler gibt sich keine Mühe, sympathisch zu wirken. Der Roman ist eigentlich eine Schwanzbeschau, es wimmelt von Mösen und Männern, die nur ficken wollen.
Dennoch lese ich seine Bücher, und ich lese immer wieder in ihnen.
Henry Miller eröffnet mir ein weites Land, das jenseits der offensichtlich wahrnehmbaren Worte und Regeln liegt. Wie Lyrik. Bloß dass Miller auf diesem Land herumtrampelt und sich nicht schert, worauf er gerade getreten ist.
… hier gewisse Gedanken und Überlegungen einen Ort finden. Denn wohin sollte ich sie sonst tun? Einen Freund anrufen und ihm etwa erzählen, was ich mir soeben zum Thema „Kill all Darlings“ überlegt habe?
Es sind Gedanken, die den Tag lang herumgeschwebt sind. Wenn ich einen Blogeintrag tippe, hasche ich nach ihnen mit beiden Händen. So wie nach Zigarettenrauch. Was vorhin so klar formulierbar schien, das entpuppt sich beim Tippen als reichlich diffus. Genauso ergeht es mir bei diesem Blogeintrag hier. Vorhin noch wusste ich genau, wie ich die Wichtigkeit des Blogs niederschreiben würde. Jetzt ergänze ich meine Sätze da und dort, und habe schon doppelt so viel getippt wie hier zu lesen sein wird.
Wenn ich einen Blogeintrag geschrieben habe, habe ich das Gefühl, etwas geschrieben zu haben. Das ist gut. Das ist wie eine Therapie für einen Tag, an dem ich am Roman nicht weitergetan habe.
Nebel und Regen,
unsichtbar ist der Fuji –
auch das macht mir Spaß.
(Basho. Hundertelf Haiku. Ammann Verlag 2009, Seite 84)
Belagert werden
im dreißigjährigen Krieg –
auch das macht mir Spaß.
(Wollinger)
Für unsere jährliche Lesung haben wir von GRAUKO uns etwas besonderes ausgedacht: Wir lassen unsere Texte von Schauspielern aufführen.
Es geht um
Liebe, Tod und Teufel.
Es spielt die Theatergruppe „Theater im Stockwerk“.
Gemeinsam mit den Schauspielern greifen wir tief hinein in das, was das Leben ausmacht. Unsere Texte werden in Szene gesetzt und werden vertont und werden gesungen. Auf den Theaterbrettern wird geliebt und gemordet, man bekriegt sich und belacht sich.
Das „Theater im Stockwerk“ hat sich als kongeniale Ergänzung von uns GRAUKO Literatinnen und Literaten entpuppt (So ist ein gar ein ganzes Theaterstück für Sommer in Planung).
Von mir wird der Text Besuch bei den Müttern dreier Soldaten auf die Theaterbretter gebracht.
Zeit: Sonntag, 28.2.2010 um 17:00
Ort: Theater im Stockwerk
Cafe Stockwerk, Jakominiplatz 18/1, Graz
Eintrittspreis: 6 Euro
Eine Literatin, versunken in jener Welt, die sie sich soeben erschafft.
(Dieses Foto gelang mir auf der Texthobel-Schreibwerkstatt im Februar 2010.)
Ich nehme intensiv wahr, sobald ich etwas konstruiere, das mit dem Wahrgenommen zu tun hat.
Beispiel sind die Haikus, die ich lese: Meine Paraphasen sind Wahrnehmung. Ich übertrage das Zeitlose aus vergangen Jahrhunderten auf mein Heute.
Beispiel ist der Roman, den ich schreibe: Ich mache mir das Leben zu eigen, indem ich Leben konstruiere.
Der alte Weiher!
Es stürzt ein Frosch sich hinein –
Nachhall des Wassers.
(Basho. Hunderelf Haiku. Ammann Verlag 2009, Seite 48)
Der alte Autor!
Mit viel Mühe noch dabei –
Nachhall seines Zorns.
(Wollinger)
Es nieselt leise
und der Alte und ich nachts
uns ähnlich werden.
(Buson. Quelle: Haiku, Japanische Dreizeiler, Reclam. Seite 193)
Es atmet leise
und mein Roman und ich nachts
uns ähnlich werden.
(Wollinger)
Zum Wintermondlicht
das vergebliche Rufen
des blinden Knaben.
(Issa. Quelle: Haiku, Japanische Dreizeiler, Reclam. Seite 219)
Zum Wintermondlicht
das vergebliche Schreiben
des Literaten.
(Wollinger)
Creativity is the act of rebellion by definition. You have to be downright subversive to break the rules and to confront conventional wisdom, don’t you? And if everyone accepts what you are doing when you are doing it, you’re obviously not on the forefront and you are doing something that is within the paradigm. If every accepts what I am doing, I’m in the wrong field.
Allan Snyder
Der arme Knabe,
der sich Reis mahlen wollte,
betrachtet den Mond.
(Basho. Quelle: Haiku, Japanische Dreizeiler, Reclam. Seite 146)
Der Romanautor,
der weiterschreiben wollte,
betrachtet den Mond.
(Wollinger)
Die Fischersleute
vom ganzen Dorf sind draußen:
Der Mohn in Blüte!
(Kyorai. Quelle: Haiku, Japanische Dreizeiler, Reclam. Seite 197)
Die Literaten
vom ganzen Dorf sind draußen:
In der Schreibwerkstatt!
(Wollinger)
Ich bin wütend.
Auf die, die mich stören. Auf die, die mich stören könnten. Ich schalte das Handy ab.
Ich gehe auf und ab und herum, getrieben vom Gedankenringelspiel in meinem Kopf. Sorgen will er sich machen, dieser Kopf. Befürchtungen will er durchdenken, und alles bauscht er auf und wirbelt es irre herum, denn jeder Sitz auf dem Ringelspiel ist wiederum ein eigenes Ringelspiel.
Diagnose: Ich kann die Welt nicht ausstehen, weil ich mich im Moment selbst nicht ausstehen kann. Weil ich seit drei Wochen keinen Text getippt habe (Konzeptionsarbeit gilt nicht).
Ich will mich der Außenwelt nicht zumuten, in diesem Zustand. Ich muss mich zuerst wieder zum Menschen schreiben.
Wie einer, der zittrig nach der Medizin greift, hocke ich mich an den Laptop. Ich türme Textbrocken zu Mauerwerken auf, allesamt grob behauen. Für Feines keine Muße. Zu gehetzt. Zu viel muss raus. Jetzt, und jetzt ist nicht die Zeit für Worte. Es ist die Zeit der Zustände, für Getriebenes, das in die Tastatur gehackt werden muss.