Show, don’t tell oder: Plappermäulige Blicke

Philipp Bobrowski ist treffend in seinen Ansichten rund um Textqualität.  Letztens las ich bei ihm etwas über plappermäulige Blicke:

Hoffend sah ich sie an. Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu und mir wurde ganz heiß.

In der Regel sagt so ein vielsagender Blick nur eines: Hier weiß jemand den Blick nicht zu deuten oder sich nicht auszudrücken. Im günstigsten Fall ist es die Figur, in den weitaus meisten Fällen ist es leider der Autor. Vor allem in den Texten von Schreibanfängern tummeln sich die vielsagenden Blicke an jeder Ecke. Dieses Geschnatter und Geplapper ist kaum auszuhalten. Mal ein vielsagender Blick wäre ja noch in Ordnung. Auf die Dauer kann man vom Autor aber durchaus verlangen, sich ein bisschen mehr Mühe zu geben, einerseits der Abwechslung wegen, andererseits, weil ein Blick eben so viel mehr (und Subtileres) sagen kann als viel.

Übrigens sind tiefgründige Blicke meist nicht weniger oberflächlich. Und auch ein hintergründiges Lächeln sollte nicht ständig in den Vordergrund gerückt werden.

Wenn ich nicht schreibe, sterbe ich

… das klingt übertrieben, und in einem Roman würde ich mir überlegen, so einen Satz unterzubringen.

Er widerspiegelt ein schubweises, minutenlanges Gefühl. Und dabei toben in meinem Kopf Überlegungen, die so seltsam und wirr sind, dass sich mein Verstand an den Kopf greift und fragt: Über so etwas denkst du nach?

Das ist, weil ich nicht schreibe.

Wie beim Piloten, der aus Sauerstoffmangel eine Situation nicht mehr realistisch einschätzen kann und darum auch nicht daran denkt, dass er bloß zur Sauerstoffmaske greifen muss, um wieder klar zu werden. Deshalb in den Flugzeugen die Anweisung, zuerst sich selbst die Maske anlegen, dann erst den anderen. Hätte ich eine Checkliste wie die Piloten, dann würde ganz oben stehen:

Schreib, Thomas. Schreib.

Der Roman ist futsch oder: Ein Königreich für eine Sicherungskopie!

Gehe immer davon aus, dass dein Computer heute das letzte Mal funktioniert hat.

So ist es. Computer sterben. Es geschieht meist plötzlich. So dass du keine Chance hast, deinen Roman und eure Fotos zu retten. In der Computerbranche weiß jeder über Ausfallswahrscheinlichkeiten der Geräte Bescheid (nicht umsonst haben gibt es Ausfallsrechenzentren), doch unter Literaten gehört das nicht zum verbreiteten Wissen.

Jede Datei, die wichtig ist, muss zumindest auf zwei voneinander unabhängigen Geräten abgespeichert sein.

Diese beiden Geräte können etwa Laptop + externe Festplatte sein, oder Laptop + USB-Stick (Wenn ihr unterwegs sind, dann, bitte, steckt nicht beides in dieselbe Tasche – für den Fall, dass euch diese Tasche abhanden kommt). Oder ihr schickt die Dateien einem Freund. Oder, wenn ihr keinen Freund habt, dann schickt die Dateien an euren Webmail-Account und lasst sie dort im Posteingang liegen.

Ich konstruiere ein herzkrankes Mädchen (Folge 217)

Erstens.

Angelika (12) leidet nicht an Post-Traumatic Stress Disorder (PTSD), das ist mir nun klar (Danke euch Bloglesenden für eure Kommentare und Mails).

Sehr wohl war ihre Chemo (als 4jährige) ein Trauma . Sie hat das Trauma überwunden, sie hat überlebt. Angelika ist resilent.

Resiliente Personen haben erlernt, dass sie es sind, die über ihr eigenes Schicksal bestimmen. Sie vertrauen nicht auf Glück oder Zufall, sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand. Sie ergreifen Möglichkeiten, wenn sie sich bieten. Sie haben ein realistisches Bild von ihren Fähigkeiten.

  • Resiliente Personen gehen mit Stress effektiv um.
  • Sie haben gute Problemlösefähigkeiten.
  • Bei Problemen bitten sie um Hilfe.
  • Sie glauben, dass es Möglichkeiten gibt, mit Lebensproblemen umzugehen.
  • Ihre Beziehungen zu Freunden und Familienmitgliedern sind eng.
  • Mit Freunden und Familie sprechen sie über das Trauma und ihre Gefühle.
  • Sie sind spirituell/religiös eingestellt.
  • Statt als „Opfer“ sehen sie sich als Überlebende.
  • Sie helfen anderen.
  • Sie versuchen, dem Trauma etwas Positives abzugewinnen.

Das passt alles gut zu Angelika, so wie ich sie schon früher erlebt habe.

Angelika entscheidet also aus sich heraus. Sie wägt ab: Der Weg ohne Herztransplantation, der Weg mit Herztransplantation. Beide Wege sind keine leichten. Sie entscheidet sich, dass sie leben will. Nicht für das Sterben entscheidet sie sich, sondern für das Leben ohne Operation.

Sie ist fest in ihrem Entschluss, denn…

Zweitens.

Angelika ist stur. Sehr stur.

Ein Herz oder: Was mir beim Recherchieren so begegnet

Patient mit Berlin Heart
Berlin Heart

Das Berlin Heart ist ein Apparat, der wie ein Herz funktioniert und ein Überleben bis zur Transplanation ermöglicht.

Dabei ragen dem Patienten 4 dicke Schläuche aus dem Bauch – wochenlang, monatelang, bis ein passendes Spenderherz verfügbar ist. Mobilität ist insofern gegeben, als man den Apparat auf Rollen herumschieben kann.

Eine Innsbrucker Krankenschwester gab mir ihre Diplomarbeit über das Berlin Heart (Danke!). Der junge Patient auf dem Foto meinte: „Nicht jeder hat ein Herz, auf das man sich lehnen kann!“

Angelika in meinem Roman wird kein Berlin Heart benötigen, ihr Herz geht nicht so schnell kaputt.

Ich weiche immer noch aus

Bin immer noch nicht nahe genug an meiner herzkranken Angelika. Ich recherchiere eben Post-Traumatic Stress Disorder (PTSD), mit der Idee, dass ihre Chemotherapie ebendieses Trauma ist. Und das mit den Trauerphasen nach Kübler-Ross zusammenbringen. Aber PTSD passt nicht so recht, weil meine Angelika immer noch starkes und waches Interesse an der Welt zeigt. Ich könnte bei meinen Tiroler Freunden anrufen, mit von Krankenschwestern das Verhalten der Kinder wieder einmal erzählen lassen…

Nein! Weitere Recherche wäre wieder eine Ausflucht! Niemand kann für mich diesen Weg gehen. Denn niemand außer mir hat Zugang zu Angelika, keiner kennt sie besser als ich. Ich weiß genug. Ich muss aus mir heraus Angelika schaffen.

Wie man sich dieses Schaffen vorstellen kann? Auf und abgehen in meinem Schreibraum. Und die einzige Ablenkung, die ich mir erlaube, ist, dieses Blogeintrag zu tippen. Um klarer zu werden.

Richtig trauern oder: Fernsehverbot nach Kübler-Ross

Jeder geht mit Trauer und Verlust anders um, klar. Doch wenn ich einen Charakter baue, der dann orientiere ich mich vorerst am jeweils gängigen Verhalten. Später erst konstruiere ich mir aus diesem Üblichen das ganz Spezifische meiner Romanpersonen – indem ich es mit meinen eigenen, ganz persönlichen Erfahrungen vermenge.

Eine gute Quelle ist Kübler-Ross. Sie geht auf das Sterben aus der Sicht des Sterbenden ein und sieht folgende Verhaltensweisen (die nicht in dieser Reihenfolge passieren müssen):

1) Nichtwahrhabenwollen und Isolierung
2) Zorn
3) Verhandeln
4) Depression
5) Akzeptanz

Es muss ja auch nicht immer ums Sterben gehen – ähnliche Verhaltensmuster eröffnen sich mir bei Alltäglichkeiten, etwa, wenn ich meinem Kind das Fernsehen verbiete – dann macht es auch solche Phasen durch, manchmal innerhalb weniger Minuten :-)

Die Kübler-Ross’schen Verhaltensweisen lassen sich gut auf andere Verluste ummünzen. Im Roman kann ich diese Verhaltensweisen einer Person, aber auch unterschiedlichen Romanpersonen zuordnen; ich kann die Personen zwischen Verhaltensweisen hin- und herspringen lassen. Das macht deutlich, in welcher Ausnahmesituation sich die Personen befinden.

Schmerzenskind und Lebenskind

Mindmap zu Angelika
Mindmap zu Angelika

Angelikas Weigerung, eine Herztransplantation durchführen lassen, fußt in ihrem Kindheitstrauma: mit 4 eine Chemotherapie.

Seit der Chemo sieht Angelika zwei Kinder in sich:
1) das Schmerzenskind und
2) das Lebenskind.

Das Schmerzenskind hat schier Unerträgliches auf sich genommen, um dem Lebenskind leben zu geben. Und jetzt, mit 12, wo Angelika wieder viel Leid droht, sagt Angelika: „Das kann ich dem Schmerzenskind nicht nochmals antun.“ Und so beschließt sie, zu leben ohne zu leiden, so lange es geht.

Letztens, im Zug von Graz nach Wien, habe ich Mindmap erstellt, um mich Angelikas Entscheidung zu nähern. Und um einzuordnen, wer in Angelikas Umfeld wie reagiert.

Zug

Einmal im Monat zu GRAUKO. Das bedeutet zweimal zweieinhalb Stunden Schreiben im Zug. Draußen schiebt sich verschneites Land vorbei, Eiskristalle werfen sich gegen die Fenster, und drinnen im Großraumwagen ist viel Freiheit: für Beine, fürs Hinausschauen, fürs Gedankenschweifen.

Ich höre Musik aus dem Laptop, nippe am Kaffee und bin bei Angelika und Timon.

Welchen Laptop soll ich mir kaufen?

Franz ist Literat. Er will sich einen Laptop kaufen und bittet mich um Rat.

Ich frage ihn, wie er denn den Laptop verwenden will. Er arbeite mit Textverarbeitung, er surft im Internet, tippt E–Mails, überträgt Fotos von seinem Fotoapparat, hört Musik und sieht sich gelegentlich Filme an.

Ich spreche mit Franz ein paar Themen durch:

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Eugenie Kain † 2010

Eugenie Kain habe ich im Rahmen der Leondinger Akademie für Literatur kennen gelernt. Eine warmherzige, analytische Autorin und Lehrerin. Bei ihr habe ich auch erstmals gesehen, dass Mindmaps für die literarische Arbeit nützlich sein können.

Die Fotos habe ich am 4.2.2006 mit meinem Handy in Leonding gemacht.

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Meine wiederkehrenden Themen und ich

Ich habe Themen. Die mir starkes Anliegen sind. Themen, die wohl seit meiner Kindheit an mir gehangen sind. Als Fragmente von Geschichten, als Handlungen nie geschriebener Drehbücher, als nackte Eindrücke. Meine Themen drängen in alles, was ich schreibe. Nie will ich aufhöre, darüber zu schreiben. Dazu gehört: auf der Flucht sein; sich in einer fremden Welt wiederzufinden; alleine auf sich gestellt sein; in einer belagerten Stadt zu sein; die Machtkämpfe innerhalb von Eliten; Krieg als Wesen des Menschseins.

Aber: Meine Texte sind umso besser, je weniger diese Themen in Erscheinung treten. Das ist das, was ich vor 1999 so brutal falsch gemacht habe: ich habe über diese Dinge geschreiben. Direkt. Ausschließlich.

Denn diese Themen sind kopflastig. Das ist ein gravierendes literarisches Problem – in der Literatur zählt nur das Gefühl.

Also arbeite ich subversiv. Gefühle als Träger meiner Themen. Ich bediene mich Romanpersonen, die den Leser in ihre Welt hineinziehen lassen, sanft und ruckartig gleichzeitig. Wie zum Beispiel ein herzkrankes Mädchen. Niemals plante ich, über ein herzkrankes Mädchen schreiben! Aber nun ist sie da, Angelika, nun muss ich mit ihr, nun will ich mit ihr. Wenn der Roman zuende gelesen ist, werden sich alle an sie erinnern. Nur wenige werden sich denken: Das ist ein Roman, der von jenen alten Kriegen handelt, die immer noch in unsere Köpfen sind.

Das ist okay.

Aufstellung oder: Nachbeben einer Recherche

Romanaufstellung mit Playmobilfiguren
Romanaufstellung mit Playmobilfiguren

Um meine Innsbrucker Recherchereise zu verarbeiten, stellte ich die Romansituation auf (ein wenig Familienaufstellung): Angelika (mit weißen Hut), ihre Mutter (gelber Hut) und daneben ihre Zwillingsschwester, also Angelikas Tante (roter Hut).

Erstaunlich: da verschiebe ich die eine oder andere Figur, und Widerstände tun sich in mir auf, oder Traurigkeit, Hoffnung oder Freude.

Mir ist etwas klar geworden: Ich habe mich bislang vor etwas Wesentlichem gedrückt. Es geht um den Entschluss Angelikas, ihre Herztransplantation zu verweigern: In früheren Konzepten war ihr Entschluss längst gefallen und kommuniziert, lange vor Romanbeginn.

Dabei ist das einer größten Konflikte überhaupt – wie schade eigentlich, wenn ich ihn nicht vor den Augen des Lesers auslebe! Und so schicke ich nun meinen Protagonisten und mich direkt hinein. Wenn sich das Kind wider dem Willen von Mutter und Tante nicht operieren lässt.

Es ist die Großmutter (die Figur mit der Krone), die sagt: „Angelika, entscheide selbst. Es ist dein Leben.“

Was für ein Riss in der Familie! Und dabei ist dieser Riss nicht eben erst entstanden: es sind die alten Fronten, die sich auftun. Der Roman wird in sich weiter und weiter. Und dabei ist das bloß das erste Drittel. Wahnsinn.

Leserunde

Seit 1993 bin ich Mitglied der Leserunde. Sie trifft sich monatlich. Jeder liest einen vorbereiteten Text zu einem vorbestimmten Thema und einer vorbestimmten Literaturgattung.

Die vorgelesenen Texte sind nur ausnahmsweise Selbstverfasstes. Es geht also nicht um Schreiben, und die Mitglieder sind (bis auf eine Ausnahme) keine Literaten.

Es geht um einen Austausch, der vom Zufall gesteuert ist.
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