Geschafft. Hat sich heute Vormittag alles aufgelöst, wie von selbst – oder waren die Probleme bloß da, weil ich zu kompliziert gedacht habe? Weil ich Dinge erzählen wollte, die gar nicht zu erzählen waren? Mein Gefühl jetzt: Der Lohn der literarischen Arbeit, diese Leichtigkeit. Vielleicht schreibe ich wegen dieser Leichtigkeit, die mich trägt, wenn ich aufgetaucht bin. Und alles frisch und klar ist.
Monat: September 2009
Die Affirmation zum heutigen Schreibtag
Ich lasse mich voll und ganz auf die Beziehung von Timon und Sophie ein. (=Meine Personen im Roman). Alles, was ich brauche, trage ich schon in mir (seien es recherchierte Fakten oder Emotionen). Ich spüre, dass ich bei den beiden bin. Ich gebe den beiden Gelegenheit, sich mir zu öffnen, genauso, wie ich mich den beiden öffne.
Mindmaps beim Romanschreiben
Um die Personen und die Handlung zu ordnen, arbeite ich mit Mindmaps. Und so verbringe ich manchmal einen ganzen Schreibtag vor solchen Bildern und schiebe herum und denke und schaue und denke und … habe erst mal lernen müssen, auch diese Tätigkeit als produktive Arbeit zu akzeptieren. Obwohl sie keine konkreten Worte abwirft.
Zähe Momente beim Schreiben
Heute stecken die Worte in einer zähen Masse, ich reiße sie buchstabenweise heraus. Sobald ich sie auf meinen Bildschirm gesetzt habe, verrutschen sie und lockern sich. Am Ende werden sie mir von den Schleimfäden fortgezogen, zurück in das Zähe.
Tagebuch?
Habe beschlossen, ab und an Gedanken oder Eindrücke hier in diese Kategorie meines Blogs hinein zu stellen. Wer weiß, was daraus wird.
Romanpersonen begegnen mir
S. ist 19 Jahre alt. Sie hatte als zehnjährige eine Herztransplantation. Sie hilft mir bei der Recherche für Angelika in meinen Roman (Angelika ist ein 13jähriges Mädchen, die ihre Herztransplantation ablehnt). S. lässt mich an ihren Gedanken und Erfahrungen rund um das Thema Herz-TP teilhaben.
Mir scheint, Romanpersonen treten zu mir, mit Hilfe realer Menschen, um mir etwas über sich mitzuteilen.
Danke, S.!
Was ich gelernt habe
Wie wichtig dieser tote Käfer ist,
der auf dem Weg zum Kindergarten liegt,
über den du dich beugst,
obwohl für mich in einer halben Stunde
diese wichtige Besprechung beginnt.
Wie gut es tut, statt des vielen Denkens
dich zu füttern, dich zu wickeln, mit dir raufen,
dir später auch die Regenangst zu nehmen,
Dinosaurierbücher durchzublättern,
und mir von dir die Welt erklären zu lassen.
Wie es sich anfühlt, wenn alles getan ist
– und immer noch dein Schreien.
Ich hatte dich gefüttert,
dich in das Bettchen gehoben,
dich aus dem Bettchen gehoben,
dich umhergetragen,
dich herumgetragen,
dir das Fläschchen gewärmt,
dir das Fläschchen gekühlt,
dich in der Wippe geschaukelt
(bis mir schlecht vom Zusehen war),
dich herumgetragen,
dich umhergetragen,
dich auf den Rücken gelegt,
dich auf den Bauch gelegt,
dir auf den Rücken geklopft,
dich gestreichelt und mit dir geredet
– und überall dein Schreien,
als wäre die Welt ein Übel
und ich ihr schlimmster Teil.
So dauerte sie bis Mitternacht,
deine schwere Arbeit,
die erst beendet war,
als ich bereit war
loszulassen.
Entstanden am 5. 9. 2009 im Rahmen der Lyrikschreibwerkstatt mit Evelyn Schlag in Langschlag.
Besuch bei den Müttern dreier Soldaten
Kindheit?
1 Mein Sohn hat den Kindsvater dreimal gesehen.
Ich musste uns beide ganz alleine durchbringen.
Als er ein Jahr alt war, kam er in die Kinderkrippe.
2 Der Bub hatte eine glückliche Kindheit.
Mein Mann hatte viel Verantwortung im Beruf.
Daher bin ich nach der Geburt zu Hause geblieben.
3 Wir waren immer für Offenheit und Diskussion.
Geheiratet haben wir nicht, denn Beziehung braucht Freiwilligkeit.
Wir haben immer viel mit unserem Kind geredet.
Männer?
1 In den entscheidenden Momenten lassen sie einen im Stich.
2 Der Mann versorgt die Familie, oder was meinen Sie?
3 Bitte verschonen Sie mich mit Ihren Rollenbildern.
Gewalt?
1 Ich weiß, dass sie ihn in der Schule verprügelt haben.
Aber was hätte ich denn tun können?
Jeder Mensch hat etwas, wo er durch muss.
2 Mein Mann hat ihn nicht geschlagen.
Manchmal habe ich zum Kochlöffel gegriffen.
Aber nur, wenn er mich enttäuscht hat.
3 Autorität muss immer hinterfragt werden!
Natürlich auch unsere Autorität.
Jeder muss seinen Weg selbst finden.
Geredet?
1 Natürlich habe ich mit meinem Sohn auch geredet.
2 Klar habe ich meinem Buben gesagt, was wichtig ist.
3 Wir haben immer mit unserem Kind über unsere Gefühle gesprochen.
Schulzeit?
1 Mein Sohn wollte ins Training wie die anderen.
Aber wir hatten einfach nicht das Geld.
2 Gute Noten braucht man, damit man gut verdient.
Der Bub hat so gerne Comics gemalt.
3 Unser Kind war immer in privaten Schulen.
Eine Stunde still sitzen, wie soll er das aushalten?
Armee?
1 Eine sichere Anstellung, Sport und Stipendium.
Solche Chancen soll ich ihm verbieten?
2 Ein Offizier verantwortet das Leben seiner Kameraden.
Da darf man keine Kompromisse zulassen.
3 Unser Kind hat gesagt, er wolle Freiheit dorthin tragen,
wo Diktaturen und Drogenhandel herrschen.
Fernsehen?
1 Ich habe ihn erkannt,
als der Verteidigungsminister an der Front war
und mein Sohn ihm salutierte.
2 Das waren schlimme Bilder.
Aber das war Krieg, und die anderen
waren auch nicht zimperlich.
3 Wir haben immer noch keinen Fernseher.
Wenn mein Kind nicht darüber reden will,
was soll ich tun?
Wiedersehen?
1 Der Kindsvater ist zum Begräbnis gekommen.
Wir haben uns in die Augen gesehen.
Ich habe ihm den Orden gegeben.
2 Mein Bub bekommt Briefe von Frauen.
Wenn ich ihn im Gefängnis besuche, zeigt er mir ihre Fotos.
Einige wollen ihn heiraten.
3 Ich weckte mein Kind am Morgen nach seiner Ankunft.
Es sprang hoch und drückte mir die Luft ab,
bis es zu sich kam und mich erkannte.
Schuld?
1 Männer bauen Bomben, finanzieren Kriege und
wir Frauen bleiben übrig.
Jetzt lassen Sie mich allein.
2 Leiden Sie einmal so wie ich, dann dürfen Sie
noch einmal fragen.
Jetzt gehen Sie fort.
3 Der Mensch ist frei, auch mein Kind war frei.
So haben wir immer gelebt.
Jetzt bin ich müde.
Entstanden am 4. 9. 2009 im Rahmen der Lyrikschreibwerkstatt mit Evelyn Schlag in Langschlag. Die Aufgabe lautete, ein politisches Gedicht zu schreiben.
Der fremde Blick
Weil ich Larven gegessen habe,
die mit dem Kuskus und dem Faschierten
in die gefüllten Paprika gekrochen waren,
die ich hinabgeschluckt habe,
die ich mit Apfelmus nachgefüttert habe
und im Schlagobers umhertümpeln ließ.
Die sich eine Nacht lang verpuppten
und mit meinem morgendlichen Auswurf
drückend fest nach oben drängten.
Ich beeilte mich zum Frühstückstisch,
da hatte ich mein Marmeladebrot,
dick und zäh verklebt bestrichen:
so riss es sie hinab, zurück in meinen Schlund.
Du siehst es klar! Nicht wegen dir habe ich
die Schmetterlinge in meinem Bauch.
Entstanden am 3. 9. 2009 im Rahmen der Lyrikschreibwerkstatt mit Evelyn Schlag in Langschlag. Die Aufgabe lautete, etwas mit fremdem Blick wahrzunehmen. Dieses Gedicht wurde heftig kritisiert.
Caravaggio
Das Dunkel deines Angesichts,
das Weiße deiner Lippen,
fleischig deine Augenlider
und schwarze Locken wie von dir,
so malst du dem Geköpften das Gesicht.
»Seht her, so komme ich zu euch!
Caravaggio, euer missratener Sohn,
gesündigt und vertrieben,
von euch zum Ritter geschlagen und
in eure Kerker geworfen.
Ihr wolltet von mir Marias Himmelfahrt
und ich zeigte euch das tote Fleisch einer Hure.
Ihr wolltet von mir den ungläubigen Thomas
und ich zeigte euch Wunden, so tief und grausam,
dass niemandem ein Zweifel bleibt.
Ihr wolltet Jesus sehen
und ich führte euch hinein
in das Dunkel seines Angesichts.
Ihr wolltet den Kopf des Johannes
und so halte ich euch meinen hin.
Das ist mein Preis – ich flehe euch an!
Rom, schenke mir mein Leben.«
»Es tut uns leid.
Dein Kopf, er kommt zu spät –
alle deine Götter sind schon tot.«
Entstanden am 3. 9. 2009 im Rahmen der Lyrikschreibwerkstatt mit Evelyn Schlag in Langschlag. Die Aufgabe lautete: Schreibe ein Gedicht, dessen erster Satz von einem anderen Teilnehmer stammt.
Kon-Tiki
Einen halben Fisch ins Wasser halten
damit ein Hai anbeißt
von dem ich drei Tage leben kann.
Mitten auf dem Pazifik
einen Sturm überstehen,
mit Wellen, die höher sind als der Mast.
Wir setzen die Segel
in der Küche meiner Großmutter.
Entstanden am 2. 9. 2009 im Rahmen der Lyrikschreibwerkstatt mit Evelyn Schlag in Langschlag. Die Aufgabe lautete, ein Gedicht zu schreiben, dessen Titel oder erstes Wort ein Wort aus der Kindheit war – ein Wort, dem etwas Zauberhaftes, Rätselhaftes oder Faszinierendes anhaftete.