Ich habe Probleme mit Gewalt: (1) Gewalt ist dank der Krimis inflationär – ich will nicht krimihaft wirken. (2) Ich selbst habe solche Gewalt noch nie erlebt – wie soll ich sie dann beschreiben?
Aber ich brauche Gewalt im Roman. Denn ich ziehe die Auswirkungen des 30jährigen Kriegs hinein in das unmittelbare Erleben der Gegenwart. Das geht nicht ohne Gewalt. – Darum habe ich hier als Kompensation dieses David-Lynch-hafte Foto einer Sommerblumenwiese in diesen Beitrag gestellt :-)
Nun mein erster Entwurf:
Er kam auf mich zu. Er rief meinen Namen und hob die Hand – um mir zuzuwinken, dachte ich zuerst. Während er auf mich zuging, schoss er auf mich, mit ausgestrecktem Arm. Ich rannte los. Es war wohl der dritte Schuss, der mir diesen Schlag versetzte, und mir war klar: Wenn ich aufhörte, mich weiterzuschleppen, würde ich tot sein.
Mannomann, das ist ja wie bei diesen Krimis, von denen die Selbstverlage leben. Warum ist der Text schlecht? Weil ich mich entschieden hatte, hinzusehen, aber nicht nahe genug dabei war.
Welche Chance habe ich? Recherche. Genau hinschauen. Mehrere Quellen vermengen (Erlebnis eines Söldners aus dem 30jährigen Krieg, Bauchschuss-Erlebnis eines Wehrmachtsoldaten, Bericht eines Berliner Mauerflüchtlings 1962 mit Schusswunden inkl. Lungenschuss, Kriegserlebnisse einer Frau im zweiten Weltkrieg) – und vor allem wenig werten. Nun der nächste Versuch:
Ostenfeld griff sich an die Hüfte. Zog etwas hervor. Das war eine Pistole. Ich rannte erst los, als er den Arm schon in meine Richtung ausgestreckt hatte. Das Ufer entlang. Ich dachte: Lauf im zick–zack, wie die Hasen auf dem Feld, immer hin und her. Ich hörte einen klatschenden Knall hinter mir, ich hörte ein Zischen ganz nahe an mir vorbei. Ich bog ab, rannte eine Treppe hinauf. Dann hinein in das steile Stiegengewölbe, das zur Hauptstraße führte. Das war wie ein Kanal, da war keinen Raum mehr für Zick–Zack. Um mich hallte ein Schuss. Ich dachte: Geh in Deckung – aber wie denn, ich bin über einen Meter neunzig, ich kann nicht in einer Mauerritze verschwinden. Aber gleich war es geschafft, noch ein Stockwerk höher, dort oben war die Hauptstraße, dann war ich wenigstens aus der Schusslinie. Dann dieser Schlag gegen meinen Bauch – wie mit einem Riesenhammer. Ich fiel. Ich lag da. Mit der Hand und dem Unterarm presste ich die Wunde zusammen. Das Blut lief mir über die Finger. Der Schmerz kam wellenförmig mit jedem Herzschlag. Meine Beine – ich versuchte mit einem Fuß den anderen Fuß zu berühren. Ich atmete möglichst hoch oben an der Kehle, um nur ja den Bauch in Ruhe zu lassen. Dann dieser unbändige Entschluss: Du musst weg. Ich presste die linke Hand und den Unterarm noch fester gegen die Wunde. Ich drehte mich langsam zur Seite und robbte irgendwohin. Der Boden war aus Steinen, es war ein Seitengang im Gewölbe, in den ich kroch. Als mir die Kraft ausging, dachte ich: Komm, Timon, eine Armlänge schaffst du noch. Aufgeben kannst du später immer noch. Und ich zog mich diese eine Armlänge weiter und dann dachte ich: Wenn du die Armlänge geschafft hast, dann schaffst du doch noch eine. Das ging weiter so, hinein ins Dunkle. Dann stieß ich mit dem Kopf an eine Holztür. Hier war mein Weg zu Ende. Aber einen Plan hatte ich immer noch: Wenn sie kommen, lege den Kopf auf die Seite und spiele den Toten. Ich hörte Stimmen. »Wo ist er?« – »Am Ende der Blutspur, wo sonst?«
Ostenfeld kam zu mir. Ich spielte den Toten. Ostenfeld trat mit dem Schuh gegen meinen Bauch. Dieser Schlag zerstörte alle Beherrschung in mir, und ich sagte, dass er mich endlich töten solle.
(Babsi meinte dazu: »Hast du gut gemacht. Ordentlich Tempo! Das einzige was unnötig ist „Ich fiel. Ich lag da.“ Nona. Beschreib, WIE er fiel, wo er reingefallen ist (in Dreck, in Staub, welcher Fußboden). Wenn man fällt, liegt man da.«)
(Ja, ja, man merkt, sie hat den Texthobel besucht :-)
nicht übel, macht lust, weiterzulesen. mir gefällt das mit dem wellenförmigen schmerz, vielleicht kann man in die richtung noch weiterbohren. mit schmerzen verzerrt sich ja die wahrnehmung. und wenn man die miteinbezieht in die erzählung, funktioniert kein klares bild mehr. ganz oldschool, aber vermutlich der einzige weg: sich ganz und gar in die figur hineinversetzen. (und ich weiß ja nicht, was für ein kerl (?) der protagonist ist, aber … angst ist auch was wichtiges. und angst verschiebt die wahrnehmung auch um einiges. in so einer situation ein logisch, knapp denkendes geschöpf zu sein, ist ein wenig sonderbar und utopisch. das logische überlebensfunktionieren kommt ja in so einer situation eher nicht vom bewussten herumdenken. – ich würd deswegen den „ich bin 1,90“-satz auch rausstreichen.)
Oh, danke für das Feedback! Du sprichst eine kritische Frage an: was macht Angst mit jemandem, in so einer Situation? Deine Sichtweise ist wichtig. Ich will da gerne meine hinterliegenden Überlegungen mit dir teilen. Nun, weil ich das nicht selbst erlebt habe, kann ich mir nur mit Analogem und Recherchiertem helfen. Analoges: Als Kind vor anderen Kindern davonlaufen. Recherchiertes zum Thema Verwundung im Krieg: etwa Herbert Zand, Roman der Eingekesselten, Erlebnisberichte von Bauchschüssen im WK II, und dann war da dieses TV-Interview mit dem zusammengeschossenen Mauerflüchtling Wilfried Tews, der sein Beinaheverbluten schilderte. Da hat sich folgende Sichtweise für mich ergeben: Es gibt Menschen, die funktionieren klar trotz schwersten Verletzungen, denn sie wollen überleben, und ich glaube, das ist bei den meisten Menschen so. Ich hatte mir das alles natürlich auch mit dem Blick nach Kübler-Ross angesehen. Da berühren wir erst die Anfangsphasen wie Denial, Anger und Bargening, die Phasen Depression und Acceptance kommen noch nicht in diesem Text. — jetzt beim Schreiben komme ich drauf, dass ich dem Thema „Extremsituation“ mehr Raum geben sollte in dem Blog, auch, um deiner Sichtweise mehr Raum zu geben.
lustig, mir ist grad ein „krimi“ passiert. aber vielleicht ist es doch eher eine komödie. ich würd mich aber sehr freuen, wenn du zeit für ein bisschen feedback hast;-)
Ich habe auch ein Problem mit Gewalt, da ich sie weder selber aussüben noch an mir erleben will, also habe ich auch eines mit Kriminalromenen, ich lese sie zwar gelegentlich ganz gerne, aber beim Selberschreiben spießt es sich, so daß ich bei den wenigen Versuchen, die ich machte den vermeintlichen Mord immer in einem Selbstmord enden ließ. Es ist aber eine interessante Frage, denn wir leben ja in einer Welt voller Gewalt und da bekomme ich schon in einer einzigen Therapiestunde bzw. einmal Morgenjournal hören, mehr als mir lieb ist mit, als realistische Schreiberin habe ich damit auch kein Problem einen Krieg, eine Vergewaltigung etc zu schildern, aber wenn ich in die nächste Buchhandlung gehe, um mir meine Sommerbücher auszusuchen, wird mir sicher ein leichter lockerer Krimi empfohlen, wo die Leichen dann am Mitsommerboden oder in der Altausseener Seenlandschaft herumjliegen, was zum Glück doch nicht der Realität entspricht, eigentlich seltsam, daß wir uns zur Entspannung die perfekte Schilderung einer künstlichen Gewalt hereinziehen oder nicht?