Die Zeit rinnt. Ein Schreibtag, aufgeschlüsselt.

Karfreitag, 22.4.2011.

08:54 Frühstück machen, standard.at lesen

09:40 Idee, meinen Schreibtag mit diesem Artikel zu begleiten. Um die Zeitfresser zu exhibitionieren.

09:45 Musik Herbert Grönemeyer – Bleibt alles anders.

09:50 Müsli, Kaffee. Sinnloses Herumsurfen, um ein passendes Foto für diesen Artikel hier auf wikipedia zu finden. (Zeitfresser!)

10:05 Der Kaffee ist gut. Dieses Bittere mag ich. Mir fällt ein: ich muss zu IKEA, mir Geschirr kaufen (Ablenker!). Musik: Faithless – Insomnia. Dokument geöffnet. Hineinlesen in das Zuletztgeschriebene.

10:25 Ich recherchiere Fotos von 1940. Ich spüre das Fließen. Gleichzeitig (wie immer): Ich will etwas anderes machen – Wozu denn weiterschreiben, sagt sie Stimme, es geht dir doch so gut! (Ablenker!) Therapie: Hier im Blog tippen.

11:01 Habe Waschmaschine gefüllt und dabei überlegt, wie die Broschüre aus dem Jahr 1936 aussehen soll, in der die Feierlichkeiten zum 300jährigen Bestehen des Violanums festgehalten wurden

11:26 Ich arbeite mich langsam in der Geschichte des Violanums von 1933 zu 1936 vor. Wie sehen Fotos aus der Zeit aus?

12:27 Welche österreichischen Würdenträger besuchten 1936 die Feierlichkeiten? Soll ich jetzt schon die Beziehungen zu den illegalen Nazis andeuten? Ich recherchiere die Leben von Schuschnigg und Seyß-Inquart. Ich entscheide mich: nein.

12:54 Ich habe auf derstandard.at herumgesurft. So halt. (Ablenker! Ablenker!). Bilanz bisher: 2900 Zeichen. Verdammt.

13:09 Ich muss aufpassen, dass ich mit meinen Schilderungen positiv bleibe. Denn die Leserin nimmt ohnehin stets das Schlechteste an (so eröffnete es sich mir beim Feedback).

13:44 Dagmar zeigt meinem Timon die Pistole ihres Großvaters. Ich recherchiere Pistolen von 1945 und entscheide mich für eine Mauser. Das Halfter der Abbildung nehme ich gleichmit.

13:55 Brauche was zu essen. Allerdings funktioniert mein Kopf noch zu gut. Stelle gerade meine Liste fürs Einkaufen zusammen und gleichzeitig trage ich die Szene bei mir … Dagmar und Timon im Bett, zwischen den beiden die Schachtel mit den Andenken an ihren verstorbenen Großvater, wie zum Beispiel die Pistole.

14:37 Heimkehr vom Supermarkt – und dort wieder das Glück gespürt: Kann mir nehmen, was ich brauche, ohne es selbst jagen oder anbauen oder stehlen zu müssen. Brauche nicht hungern. Wie gut ist es doch um mich bestellt im Vergleich zu den Autoren wie Balzac, die um ihr Essen ringen mussten. Bin so dankbar.

14:42 Das die Erdäpfel umgebende Wasser kocht.

15:05 Beginne die Geschichte zu formulieren, in der es um eine jüdische Arzt-Familie geht, die im Weltkrieg im Violanum versteckt und verteidigt wurde. Von Dagmars Großvater, der über Leichen ging, wenn man ihm etwas nehmen wollte. Die Hintergründe zu dieser Sub-Geschichte trage ich schon seit zwei Jahren bei mir.

15:29 Kartoffeln sind fertig gekocht.

16:45 Fertiggegessen und dabei die Doku A History of Celtic Britain – 3. Age of Invasion auf bbc.co.uk tweilweise an gesehen. Geschichtliche Dokus sind geistige Nahrungsquelle für mich.

17:03 Eine blitzhelle Erkenntnis! Wow, was für eine Welt, die ich erschaffen habe, die mir jetzt von selbst ihr Inneres zeigt.

17:52 Ich lese einen eben geschriebenen Absatz und rufe: „Verdammt, ist das gut!“ – ich komme in Schreibrage (die Rage = die Wut, das Rasen). Nach acht Stunden hat meine innere Schreibmaschine volle Fahrt erreicht.

18:24 Ich erinnere mich an Überweisungen, die ich seit Tagen machen müsste … erledigt. – Verdammt! Halb sieben! So spät ist schon! Wo rinnt mir der Tag hin? Draußen hält sich die Sonne gerade noch mit Mühe über den Häuserdächern.

18:53 Ich gehe auf und ab. Denke nach. Was genau war der Plan des Großvater, um im 2. Weltkrieg Leben zu retten? Ich darf nicht an Oskar Schindler anstreifen. Musik im Radio:

19:29 Wieder Appetit. Wie das? Hab doch gerade erst Mittag gegessen. Naja, nicht allzu ausgiebig, denn viel Essen macht mich müde. Andererseits ist die Hirnarbeit offenbar energieverschlingend.

19:48 Ich kürze. Muss mich fokussieren. Das ursprüngliche Ziel der Szene ansteuern. Nicht zu viel Information hinein packen. (Ich weiß ja so viel mehr über das Violanum als ich schreiben darf.)

20:19 Heute 9300 Zeichen geschrieben. Ich brauche jetzt mal eine Pause. – Was? Dunkel ist es schon? Jetzt geht es doch gerade mal los!

20:41 Pause. Pause! PAUSE!

00:50 Im Salsalokal meines Vertrauens gewesen. Eine Caipirinha aufgesaugt, soziale Kontakte gehabt, die Tanzenden beobachtet, und das alles mit einem Grinsen, das ich einfach nicht losgeworden bin. Alles war schön: Musik, Menschen, Bewegungen. Ich sah zu, ich tanzte, ich dachte: Wow, was für toller Tag das gewesen war! Wo ich überall gewesen war, heute, an meinem Schreibtisch! So viel erlebt. Danke.

Ein Gedanke zu „Die Zeit rinnt. Ein Schreibtag, aufgeschlüsselt.“

  1. Das ist schön einen so intensiven Schreibtag gehabt zu haben, erlebe ich gelegentlich auch, das Meiste ist bei mir aber die Überarbeitungsroutine, wo sich dann gar nicht mehr so viel tut und ich nur auf die Sprache schaue, wie ist das bei einem so intensiven Umarbeiter?
    Geben die verschiedenen Fassungen dann auch jeweils so intensive Schreiberlebnisse her, wo man den Text aufs Klo mitnimmt oder beim Radfahren seine Gruppe verliert, weil man mit den Gedanken ganz woanders ist?
    Ansonsten wünsche ich am Tag des Buches schöne Ostern und habe im Radio gerade gehört, daß der Karsamstag ein Tag der Stille ist, wo man sich im Aufhören üben soll.

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