Ich weiß nicht, was ich als nächstes schreiben soll.
Kann nicht sitzen. Gehe ich auf und ab. Führe Selbstgespräche. Schalte die Musik ab, damit sie meine Gespräche nicht stört. Schon seit Tagen keinen frischen Absatz geschrieben, bloß überarbeitet, bloß recherchiert. Jetzt ist der Punkt gekommen. Jetzt muss ich mich stellen.
Ich muss die Frage beantworten: Wo lebt Angelika?
Klingt trivial. Doch so diese kleine, hinterhältige Frage öffnet eine Schranktür, und alles Mögliche fällt mir auf den Kopf. Das habe ich geahnt. Seit Wochen. Und so bin vor besagtem Schrank gesessen –jetzt noch nicht öffnen! Zuerst noch andere Textstellen. Und recherchieren. Ja, Recherchieren ist die professionellste Möglichkeit des Autors, sich dem Wesentlichen nicht zu stellen.
Hier die Ausgangslage:
1) Angelika, 13. Kaputter Herzmuskel. Braucht neues Herz. Lehnt die Transplantation ab, weil schon zu viel schlimmes durchgemacht (Chemo mit 6, Herzschrittmacher) und nicht mehr ins Krankenhaus will. Sie ist leicht erschöpft. Lebenserwartung 6 Monate.
2) Dagmar, Angelikas Mutter.
3) Dorian, 6 Monate alt, Pflegekind von Dagmar.
4) Karl, Vater von Angelika.
5) Vater und Mutter sind seit Jahren geschieden. Sie kann ihren Exmann physisch nicht mehr ertragen.
5) Das ganze spielt in einer Kleinstadt (Kronstein), die eigentlich hauptsächlich aus einem jahrhundertealtem Krankenhaus besteht.
Die Möglichkeiten, wo Angelia leben könnte:
1) Im Kinderhospiz des Krankenhauses
2) Bei Mutter
3) Bei Vater
Das stationäre Kinderhospiz ist eine Erfindung, die mir sehr am Herzen liegt (Kill-All–Darlings?). In Österreich gibt es nicht keines, und damit könnte ich meinem fiktiven Krankenhaus eine herausragende Rolle verleihen. Doch weshalb soll ein Kind dorthin gehen? Krank ist Angelika, aber sie hängt an keiner Maschine. Sie braucht Betreuung, primär, weil ihr schnell die Luft ausgeht. Und jemanden, der sie schnell in Krankenhaus bringt, wenn’s ihr schlecht geht. Zudem sagte ich, dass keine Transplantation wollte, eben weil sie nicht wieder im Krankenhaus sein wollte … also, naheliegender: sie ist bei ihrer Mutter. Doch die hat seit 6 Monaten das Pflegekind, das geht auch nicht mehr so wie früher. Und wovon lebt die Mutter? Deshalb also bleibt der Vater. Zu dem will sie ihre Beziehung vertiefen. Doch der ist Polizist und muss auch arbeiten – wer betreut Angelika? Eine Pflegerin, die vorbei kommt? Und: Angelika wird einsam sein, in der kleinen Wohnung des Vaters. Ihre Mutter vermissen. In die Wohnung des Vaters wird sie ganz sicher nicht kommen.
Wie habe ich das gelöst? In dem ich auf die Donauinsel gegangen bin und im Freien mit mir über diese Themen gesprochen habe (Wenn mir Menschen begegnet sind, habe ich zu reden aufgehört – ich will mich ja nicht gleich als Autor outen). Nach ein paar Stunden habe ich mir gesagt:
Gehe davon aus, es ist einfach. Geh davon aus, die Personen machen das Naheliegende. Das, wonach ihnen ist.
Mache dein literarisches Problem zum menschlichen Problem deiner Personen.
Ist es denn mein Problem, wo Angelika am wohnen soll? Nein! Es ist ihr Problem. Darum macht sie im Roman die Tour durch, von einem zum anderen, unzufrieden mit sich selbst (zuerst bei Mutter, dann bei Vater, zurück zu Mutter, dann ins Krankenhaus, woraufhin dort ein Kinderhospiz eingerichtet wird mit ihr als erster Patientin). Konflikte treten auf – gut so! Denn Konflikte sind ein treffsicheres Instrument. Um Persönlichkeiten und das soziale Umfeld auf emotionale Art und Weise zu transportieren.