Manchmal erwidern Autoren ihren Kritikern: „Aber das sagt man so!“
Zum Thema Umgangssprache und Unwissenheit erschien dieser exzellente Artikel im Standard:
Quantensprungitis, oder: Jean droht Klischee
von Martin Putschögl | 11. Februar 2011, 20:16
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hat am Freitag einen „Quantensprung“ bei den europäischen Regelungen für die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der einzelnen Länder gefordert. Es brauche klare Regeln und Verfahren, um die Länder auf Stabilitätskurs zu halten, sagte der oberste Währungshüter auf einer Veranstaltung in Bremen.
Die Diktion überrascht uns nicht; der oberste Euro-Währungshüter erweist sich seit einem dreiviertel Jahr als steter Ein-Mahner des „Quantensprungs“. Im Folgenden die vollständige Chronologie:
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Reuters, 15.5.2010:
„Zugleich unterstützte Trichet die Pläne der EU-Kommission, die Staatsbudgets stärker zu kontrollieren. Bei der gegenseitigen Überwachung der Wirtschaftspolitik in Europa sei ein Quantensprung nötig, forderte er. Fehlverhalten müsse vorgebeugt und sanktioniert werden.“
„Trichet also called for a quantum leap in mutual monitoring of governments‘ budgets by their euro zone peers, and said effective sanctions were needed for breaches of the Stability and Growth Pact that is supposed to limit budget deficits but has been widely disregarded.“
APA und Reuters, 31.5.2010:
„Die Euro-Staaten müssten bei der Kontrolle der Budgetdisziplin einen ‚Quantensprung‘ machen, forderte Trichet auf der 38. Volkswirtschaftlichen Tagung der Nationalbank.“
„Trichet said euro zone governments need to make a ‚quantum leap‘ in improving budget oversight mechanisms to prevent recurrences of bad fiscal behaviour.“
Reuters, 21.6.2010:
„Überwachung und Bestrafung von Defizitsündern müssten ‚direkter und effektiver‘ werden, Sanktionen automatischer und schneller greifen. ‚Wir sprechen von einem Quantensprung‚, rief Trichet und erhielt dafür viel Beifall von den Abgeordneten.“
Reuters, 27.9.2010:
„EU finance ministers are set to discuss proposals for budget reforms this week, and Trichet said more ambition was required to beef up rules within the framework of current EU laws. ‚Ideally, a ‚quantum leap‘ in strengthening EU and euro area economic governance would require a Treaty change,‘ he said.“
Reuters, 18.11.2010:
„Unter dem Eindruck der Krise in Irland hat EZB-Präsident Jean-Claude Trichet abermals eindringlich eine weitreichende Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts angemahnt. ‚Wir haben immer gefordert und tun dies auch weiter, dass es eines Quantensprungs bedarf‘, sagte Trichet. ‚Und mit jedem Tag bin ich mehr überzeugt davon, dass das absolut essentiell ist.'“
Reuters, 3.12.2010:
„Im Ringen um einen Ausweg aus der Schuldenkrise in der Euro-Zone wird der Ruf nach einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik lauter. Mit einem ‚Quantensprung‘ müsse Europa die politische Führung voranbringen, sagte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet am Freitag vor Journalisten in Paris. Dies sei die Hauptlehre aus der Schuldenkrise.“
„European Central Bank President Jean-Claude Trichet on Friday urged euro zone governments to press ahead with a ‚quantum leap‘ in fiscal governance in response to the crisis.“
Reuters, 7.1.2011:
„Trichet also called for governments to consolidate their finances and added European Union budget rules should be stricter than those proposed by the Commission. ‚We have to make a quantum leap in our economic governance,‘ he said. ‚It is time to strengthen the code of conduct for national governments, notably the Stability and Growth Pact.'“
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Dass die weit verbreitete Verwendung von „Quantensprung“ als Bezeichnung für einen großen Fortschritt falsch ist, wollen wir hier nicht bekritteln – das wird schließlich auf Wikipedia bestens beschrieben. Längst hat sich der Begriff als geflügeltes Wort verselbstständigt.
Wenn man dieses Bild aber „überbeansprucht“, wenn es zur „abgedroschenen Redensart“ oder zum „eingefahrenen Denkschema“ wird, ist auch Wikipedia die erste Adresse, dies zu erklären. Es nennt sich dann „Klischee“. Und das ist insofern bemerkenswert, als sich der Name des EZB-Chefs, Jean-Claude Trichet, in der deutschen Sprache wunderbar zu dem „schütteln“ lässt, was seine sprachliche Situation am besten beschreibt: „Jean droht Klischee.“
Bemerkenswert? Nicht zwangsläufig. Uns Journalisten erleichtert es aber die Arbeit ungemein. Gerade eben wird ja schon fieberhaft nach einem Nachfolger des Herrn Trichet gesucht, und da lässt sich dann treffend metonymisieren: „Quantensprung in der EZB-Zentrale: Goodbye, Mr. Klischee.“ – Sie sehen, wir sind vorbereitet. (red, derStandard.at, 11.2.2011)