(Dieser Stephanbrief zeigt Stephans die erste Begegnung mit Viola und somit den ersten seiner vergeblichen Versuche, ihrer habhaft zu werden. Er nennt sich in diesem Brief nicht mit seinem Namen, er tritt bloß als namenloser, skrupelloser Obrist auf – Stephan auf Distanz zu seinem früheren Ich.)
Von dem Dorf will ich berichten, das im Jahre des Herren
1635 zur Weihnacht einen Kaiserlichen Obristen aufnahm.
Katholisch war das Dorf, allesamt und immerzu,
hat nie mit Schweden paktiert oder Protestanten zugehört,
Von Vieh und Acker lebte das Bauernvolk,
hatte öfters in diesem Kriege schon die Kaiserlichen zu Gaste.
In diesem Dorf lebte Viola mit Ihren Kindern.
Sechs Kinder hatte Viola,
die ältesten drei waren Ihre leiblichen Töchter
die anderen waren Ihr als Waisen zugegangen.
Den Obristen trug man auf einer Bahre ins Dorf,
zu krank zum Reiten war er schon.
Seine Dienerschaft war kaum zu begnügen,
begehrte alles mit Gewalt und bezahlte mit Grobheit.
Mit dem Obristen kamen seine Offiziere,
allesamt ansehnliche und prächtig gekleidete Leute.
Und mit ihnen die Soldaten, 1500 an der Zahl.
Wen diese auf dem Weg und Feld antrafen, dem nahmen sie Kleider,
Schuhe und Strümpfe und ließen ihn auf Schnee und Eis hinlaufen.
Sie aßen Hunde und Katzen und gestohlenes Fleisch,
suchten in den Gärten Kraut, Salatstengel, Wurzen, Kräuter zusammen,
sie ließen die Bauern ihr Getreide zur Mühle bringen
und nahmen ihnen Brot und Mehl hernach ab.
Sie brachen in die Kirche, stiegen unter das Dach,
und nahmen das Getreide, den Samen für das Frühjahr.
Sogar den Kaiserlichen Lieferanten der Soldaten
wurden die Viktualien im Hergang oder das Geld im Hingang
oft mit Gewalt geraubt, und darum blieben sie aus,
so dass am Ende auch die Offiziere Hunger empfanden.
Über dieses war der Obrist so aufgebracht,
dass er vom Dorf Ersatz verlangte,
mit Brot und Vieh und Sachen, von denen er wusste,
dass das Dorf sie nicht hat weder haben konnte –
Honig, Öl, Eier, Kerzen, da die Soldaten selbst nebst dem Unschlitt
auch die Wachskerzen vom Gotteshaus schon verzehrt hatten!
Da klagten die Bauern bei dem Obristen
über die Pressungen und die Feindseligkeiten
und wegen der gefährlichen Feuer
sowohl in den Öfen als auch offen in den Gassen.
Der Obrist war dadurch aufgebracht und befahl,
von nun an alle Tage ihm weißes Semmelbrot,
Fleisch und Gemüse auf die Tafel zu liefern.
Er sprach: Die Güter der Bauern gehören den Soldaten
so gut als den Bauern selbst!
Also haben sie das Recht, davon zu leben.
Mit diesem Recht forderte er alle Milch und Butter von allen Kühen.
Die Bauern wollten mit Gewalt widerstehen,
und es kam so weit, dass zwei Soldaten verwundet wurden.
Ein Offizier sah das Gemenge und ließ einen Bauern binden
und Viola, die sich dazwischen warf, gleichmit.
Die Bauern gingen zum Obristen, erflehten kniend Gnade.
Sie wurden nicht vorgelassen. Er ließ ausrichten,
dass er seinen Soldaten den Befehl erteilen werde,
alle Männer, Weiber und Kinder zu morden
und das Dorf und Kirche mit Feuer und Schwert ganz zu verheeren.
Gab den Befehl, dass sich die Gefangenen
durch Beichte zum Tod durch den Strick bereiten sollen.
Der Obrist befahl, Viola zu ihm zu bringen,
und so führte man sie durch das Dorf
vorbei an zwei Soldaten, die in dieser Nacht verhungerten,
die vor dem Tode noch ihre Arme angebissen
und ihre Finger abgenagt.
Viola kniete sich zu den Leichnamen nieder,
ließ sich auch nicht fortzerren,
ehe sie fertig war mit dem Weinen und Beten für die beiden,
als wären es Kinder Ihres Dorfs.
Als Viola an das Krankenlager des Obristen trat,
fragte er sie, ob sie ihm einen Grund geben könne, sie zu verschonen.
Viola griff nach seiner Hand, berührte seine Stirn und sprach:
Wenn ihr mich nicht heute hängt, werdet ihr vor mir sterben.
Er sagte: »Wenn Ihr mich heilt, begnadige ich euch.«
Viola sprach: »Eure Gnade ist großzügig,
doch bitt‘ ich euch, gewährt sie jenen, die sie nötig haben.«
Er fragte: »Kannst du mich heilen?«
Sie sprach: »Zu pflegen vermag ich euch,
doch gesunden kann euch nur Gott.«
Als der Obrist dem Fieber doch entrann,
fasste er Violas Hand und steckte Ihr einen Ring an.
Sie bedankte sich, und am nächsten Tag war der Ring fort.
Der Obrist fragte, ob sie bestohlen – hängen wollte er den Dieb!
Viola sprach: „Euer Ring ist gut aufgehoben.“
Sie hatte den Ring verpfändet, mit dem Erlös
zwei arme Kinder eingekleidet und mit Decken versorgt.
Viola sprach: »Der Ring ist nun Euer Schatz im Himmel.
Der Ring liegt vor unserem Herren Jesus Christus und bittet für Euch.«