Besuch bei den Müttern dreier Soldaten

Kindheit?

1 Mein Sohn hat den Kindsvater dreimal gesehen.
Ich musste uns beide ganz alleine durchbringen.
Als er ein Jahr alt war, kam er in die Kinderkrippe.

2 Der Bub hatte eine glückliche Kindheit.
Mein Mann hatte viel Verantwortung im Beruf.
Daher bin ich nach der Geburt zu Hause geblieben.

3 Wir waren immer für Offenheit und Diskussion.
Geheiratet haben wir nicht, denn Beziehung braucht Freiwilligkeit.
Wir haben immer viel mit unserem Kind geredet.

Männer?

1 In den entscheidenden Momenten lassen sie einen im Stich.

2 Der Mann versorgt die Familie, oder was meinen Sie?

3 Bitte verschonen Sie mich mit Ihren Rollenbildern.

Gewalt?

1 Ich weiß, dass sie ihn in der Schule verprügelt haben.
Aber was hätte ich denn tun können?
Jeder Mensch hat etwas, wo er durch muss.

2 Mein Mann hat ihn nicht geschlagen.
Manchmal habe ich zum Kochlöffel gegriffen.
Aber nur, wenn er mich enttäuscht hat.

3 Autorität muss immer hinterfragt werden!
Natürlich auch unsere Autorität.
Jeder muss seinen Weg selbst finden.

Geredet?

1 Natürlich habe ich mit meinem Sohn auch geredet.

2 Klar habe ich meinem Buben gesagt, was wichtig ist.

3 Wir haben immer mit unserem Kind über unsere Gefühle gesprochen.

Schulzeit?

1 Mein Sohn wollte ins Training wie die anderen.
Aber wir hatten einfach nicht das Geld.

2 Gute Noten braucht man, damit man gut verdient.
Der Bub hat so gerne Comics gemalt.

3 Unser Kind war immer in privaten Schulen.
Eine Stunde still sitzen, wie soll er das aushalten?

Armee?

1 Eine sichere Anstellung, Sport und Stipendium.
Solche Chancen soll ich ihm verbieten?

2 Ein Offizier verantwortet das Leben seiner Kameraden.
Da darf man keine Kompromisse zulassen.

3 Unser Kind hat gesagt, er wolle Freiheit dorthin tragen,
wo Diktaturen und Drogenhandel herrschen.

Fernsehen?

1 Ich habe ihn erkannt,
als der Verteidigungsminister an der Front war
und mein Sohn ihm salutierte.

2 Das waren schlimme Bilder.
Aber das war Krieg, und die anderen
waren auch nicht zimperlich.

3 Wir haben immer noch keinen Fernseher.
Wenn mein Kind nicht darüber reden will,
was soll ich tun?

Wiedersehen?

1 Der Kindsvater ist zum Begräbnis gekommen.
Wir haben uns in die Augen gesehen.
Ich habe ihm den Orden gegeben.

2 Mein Bub bekommt Briefe von Frauen.
Wenn ich ihn im Gefängnis besuche, zeigt er mir ihre Fotos.
Einige wollen ihn heiraten.

3 Ich weckte mein Kind am Morgen nach seiner Ankunft.
Es sprang hoch und drückte mir die Luft ab,
bis es zu sich kam und mich erkannte.

Schuld?

1 Männer bauen Bomben, finanzieren Kriege und
wir Frauen bleiben übrig.
Jetzt lassen Sie mich allein.

2 Leiden Sie einmal so wie ich, dann dürfen Sie
noch einmal fragen.
Jetzt gehen Sie fort.

3 Der Mensch ist frei, auch mein Kind war frei.
So haben wir immer gelebt.
Jetzt bin ich müde.


Entstanden am 4. 9. 2009 im Rahmen der Lyrikschreibwerkstatt mit Evelyn Schlag in Langschlag. Die Aufgabe lautete, ein politisches Gedicht zu schreiben.

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