Kitsch – Das soll was sein, ist aber nichts

„Kitsch ist die Darstellung von etwas Großem mit unzureichenden Mitteln. […] Kitsch bedeutet vor allem ein Zuviel: Das Zuviel an Gefühl in der Metaphorik, das gesucht Altertümelnde in der Wortwahl, als einschmeichelnde Seligkeit oder das Vorspiegeln einer real unerlebbaren Emotion. […] Kitsch benutzt Klischees. Gut dressiert wissen wir, dass unter weißen Haaren reiche Lebenserfahrung steckt, der Obdachlose ein großes Herz hat und Kinder immer die Wahrheit sagen. Dass die meisten auf diese Reize so gut dressiert sind, spart dem Autor und den Lesern Zeit und lästiges Nachdenken.“ (Angela Leinen)

Ich habe es an mir erlebt, wie gut es funktioniert. Wie ich ausgeliefert vor dem Fernseher hocke, das Schiff eben versunken, und das Mädel liegt auf dem herumdümpelnden Klavier. Der junge Mann, den sie liebt, schwimmt, weil es auf einem schwimmenden Klavier eben keinen Platz für zwei gibt. Er sagt ihr, dass alles gut werden wird, und sein Hauch gefriert in der eiskalten Luft. Dann ist er tot. Mir kommen die Tränen – da nützt es gar nichts, dass ich die Register benennen kann, die James Cameron an mir gezogen hat: junger Mann liebt junge Frau, junge Frau soll anderen Mann heiraten, junger Mann ist arm, junge Frau ist aus reicher Familie, und so weiter. Alle Versatzstücke schon tausendmal dagewesen, der Film erspart mir weiteres Nachdenken, ich spüre gleich, woran ich bin. Aber weil es funktioniert mit den Gefühlen, gelten Titanic und Avatar nicht als Kitsch. – Das soll was sein, und es ist etwas.

(Die Zitate stammen von Angela Leinen: Wie man den Bachmannpreis gewinnt, Seiten 53/54)

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