Ich will hier an Hand eines Beispiels beschreiben, wie leicht ich hineinschlittere.
Lassen wir es mit einer BBC-Fernsehdoku beginnen. Titel: „Bright Young People“. Thema: Zwanzigerjahre. London. Eine Gruppe junger Leute und ihre exzessiven Parties. Jung, wild, Geld, Drogen, und in jeder Geste eine Übertreibung. Ihre Leben wurden in Romane gegossen, die Romane verfilmt…
Diese Filmsequenz sehe ich mir wieder und wieder an. Mit Kopfhörern, laut, ich brauche jetzt das Trommelnde. Werde hineingezogen ins Rote, durch die tanzende, lachende Menschenmenge, trinkend und Kokain einsaugend, und mittendrin ist Nina, die Tanzende, die Zuckende, die ihre Arme um sich wirft. Ihr Kopf geht hin und her und scharf hinauf, jede Bewegungen an ihr beginnt so plötzlich und endet so abrupt, sie verharrt den Bruchteil eines Augenblicks – und dann weiter, und schneller und wieder. Sie sagt: „I’ve never been more bored in my life“, und jetzt geht es los in mir.
Ich mache Nina zu meiner Angelika, 14 Jahre, die ihre Herztransplantation verweigert. In den vorangegangene Kapiteln das zurückhaltende, tapfere Mädchen – jetzt, mit diesem Film, ist sie ausgerissen. Eine Nacht lang Party, ein paar Stunden normal sein. Pechschwarz geschminkt ihre Augen, ihr Haar in wirrer Dauerwelle, ein Kleid, das hoch über dem Knie aufhört. Und in ihrer Hand eine halbgeleerte Flasche mit blauer Flüssigkeit.
In diese Szenerie stolpert Timon – wie ein Fremder, der Angelika ausfindig macht, der ihr sagt: „Bist du verrückt? Das hält dein Herz nicht aus.“
Sie schaut ihn an, reißt die Augen auf, dass es stechend weiß wird inmitten ihrer schwarzen Schminke. Sie beugt sich zu ihm, nahe an sein Ohr. Sie sagt: „Krank bin ich vielleicht, aber tot noch nicht.“
Sie macht einen Schluck aus der Flasche. Ruckartig wendet sie sich ab, verharrt einen Atemzug lang mit dem Rücken zu Timon. Dann reißt sie die Arme empor und tanzt und schreit in den trommelnden Lärm: „Ich lebe! Ich lebe!“
Alles, was du in letzter Zeit aus deinem Romanprojekt in deinen Blog gestellt hast, ist sehr heftig, emotional, intensiv. Es ist jetzt schon eine Weile her, dass ich die „Archäologin“ gelesen habe – aber ich habe das Gefühl, eine Emotionalität / Intensität, die sich in deinem ersten Buch teilweise angedeutet hat, wird jetzt stärker und stärker (wahrscheinlich in Verbindung mit dem „Ausschlachten des Biographischen“?) Ich bin sehr gespannt, wohin dich das führt – und wohin du dann den Leser führst.