Dieses Gemälde verlangt Zeit ab. Deshalb steht ein Sessel davor. Keiner, der zum Sitzen einlädt, sondern ein kantiger, aus unbehandeltem Holz gezimmert, ohne Krümmung, die sich dem Rücken anpasst. Wer hier Platz nimmt, der soll nicht ruhen, im Gegenteil, er soll sich das Bild erarbeiten, er soll dermaßen aufmerksam sein, denn jederzeit könnte etwas passieren. Ich hänge es in die Violagalerie. Gebe ihm dort einen eigenen Raum. Den Sessel schiebe ich so nahe heran, dass der Betrachter das Gemälde mit ausgestreckten Armen beinahe berühren kann. Aber eben nur beinahe. Der Raum ist weiß. Das Licht diffus, kommt von überall her, es gibt keine Schatten – denn hier drinnen ist jede Bewegung frei von allem. Frei von Schatten, frei von jedem Sinn – hier ist nichts, was Sinn verbreiten könnte. Es existiert nur Raum, Bild, Sessel. Und der Betrachter, der sich zum Teil von allem macht. Sobald er sich gesetzt hat, zur Ruhe gekommen ist und sich abgefunden hat, dass nichts werden kann – und ich meine: er hat sich wirklich damit abgefunden – da setzt Bewegung ein. Eine stille Bewegung, die er im Gesichtsfeld nicht recht lokalisieren kann. Es bilden sich Schattierungen, kontinenthafte Konturen, die aneinander vorbei driften.
Und dann der Moment, in dem das Bild ausufert.
Weil es frei ist, weil es keinen Rahmen kennt. Die Konturen schieben sich über die Leinwandkante zum Betrachter. Sie richten sich auf, formen Gestalten, winden sich glänzend empor, sie erschaffen sich Farben und mit jedem Atemzug wird es reicher. Die Formen gleiten ineinander über, umschließen mich, auf eine glatte, stille Art, und mein Herz – ich stelle es mir vor, wie es inmitten von alledem schlägt. Ich spüre etwas Wachsen, es könnte um mich sein, es könnte in mir sein. Oder ich, ich wachse in etwas hinein, in etwas, das anders ist. – Und schon fallen die Gestalten in sich zusammen. Sind am Boden nur mehr Überreste, die auf die Leinwand zurückgesogen werden und dort verschmelzen, als sei nie etwas gewesen. Raum, Bild, Sessel, ich. Weil ich es nicht geschafft habe. Weil ich nachdenken musste und das Nachgedachte niederschreiben musste.
Entnommen der 2. Fassung meines momentanen Romanprojekts. Es findet in der jetzigen (7.) Fassung keinen Platz mehr.
Heute hat mich mein Kater um halb fünf in der Früh geweckt. Ich folgte ihm in die Küche, wo ich ihn im Halbschlaf streichelte. Dabei dachte ich an das Fragment, den ich gestern hier gelesen habe. Dann fiel mir etwas zu einem meiner Texte ein. Zwei Stunden später habe ich es geschrieben. Nun habe ich auch wieder ein Fragment.
Manchmal denke ich, Sie tun sich mit Ihren vielen Fassungen und Ihren Jahresplänen viel zu viel an und vesäumen vielleicht sehr viel, wenn Sie sich soviel Zeit lassen, während ich mir immer, meist vergeblich bei jeden neuen Schreibprojekt vornehme, mir diesmal wirklich sehr viel Zeit zu lassen, jetzt ist es wieder so weit. Wenn Sie sieben Jahre für ein Projekt brauchen, können Ihre Leser Ihre Bücher nur in diesem Zeitrahmen lesen, was möglicherweise schade ist.