Manche Krimiautoren meinen, es genüge, ein Verbrechen, einen Ermittler und ein paar Verdächtige zu kombinieren, und schon habe man einen guten Text. Lieber werden Sachverhalte genannt, anstatt beim Leser Gefühle auszulösen. Stereotype werden genutzt, damit sich der Autor das Hinsehen erspart. Es wird wie wild zwischen Erzählperspektiven gewechselt, und es wird personifiziert, was das Zeug hält.
Bei der Kurzform des Krimis kommen literarische Schwächen verschärft zu Tage, denn da bleiben dem Autor nur wenig Worte, um irgendetwas zu bewirken.
Ich las Kurzkrimis immer gern. Wenn ich auf Besuch bei meiner Oma war. In der Illustrierten „Neue Post“ begutachtete ich zunächst die aktuellen Fotostrecken von Prinzessin Diana, überblätterte den „abgeschlossenen Roman“ (weil mir zu viele Seiten hatte), und dann kam der Kurzkrimi an die Reihe. Alles war binnen einer Seite gesagt. Und nach dem letzten Satz, rechts unten, war immer derselbe kleine Revolver abgebildet, sein Lauf nach links gerichtet. Die letzte Seite der „Neuen Post“ war ganzseitige Werbung – manchmal wurde da ein Fernkurs angeboten, wo man lernen konnte, wie man Buch schrieb.
Folgenden Artikel fand ich in der Zeitung „Der Standard“ – wohl eine Anspielung auf die laufende Kurzkrimi–Serie in „Die Presse“:
Frisur mit der Axt
Über die rätselhafte Gattung des Kurzkrimis
Wir alle, Zeitungsleser und Zeitungsmacher, kennen und lieben unsere Pappenheimer, die journalistischen Großgattungen: Kommentare, Kolumnen, Berichte. Echt spannend wird es aber dort, wo wir die Nebenpfade des Mediums betreten, den Dschungel sonderbarer Textsorten und rätselhafter Rubriken, deren Sinn sich oft selbst dem hartgesottenen Redakteur nicht erschließt.
Die wunderlichste Gattung ist für mich der Kurzkrimi. Einen Krimi auf eine Zeitungsseite zu bringen ist so, als wollte man einen Elefanten in einen Eisschrank stopfen. Mit seinen trivialen Diebstählen und Morden wirkt der Kurzkrimi in einer Zeit, da der Durchschnittskrimimörder mit Finessen der Nanotechnik operiert, so retro wie ein Commodore 64. Aber: Der Kurzkrimi ist nicht umzubringen.
99 von hundert Kurzkrimis, die ich gelesen habe, funktionierten so: Wir treffen Kommissar X am Mordschauplatz. Ein Unbekannter hat das Opfer, Lord Gwyndichfarne, mit einer Axt frisiert (letal). Es folgen Verhöre mit drei Verdächtigen, dem Nachbarn, dem Neffen und dem Butler, bei denen der Nachbar (der Neffe, der Butler) dem Kommissar versichert, unmöglich könne er der Mörder sein, habe er doch nie und nimmer eine Axt besessen. Durch diese Äußerung liefert sich der Nachbar (der Neffe, der Butler) aber ans Messer, weil nur der Mörder wissen konnte, dass Lord Gwyndichfarne per Axt umgehackt wurde. Was für ein Verbrecherdepp!
Ich vermute, die Lust an der Lektüre und Lösung solcher „Fälle“ liegt darin, dass der Leser das Lebensgefühl eines erfolgreichen Kriminalisten nachvollziehen kann, ohne sich im mindesten intellektuell überfordern zu müssen. Ist ja auch gut so. Das Leben ist anstrengend genug, vor allem im Sommer. Der ideale Sommerkurzkrimi (maximal auffälliges Mordwerkzeug, minimale Anzahl von Verdächtigen) läse sich also so: „Kommissar X betrachtet Leiche L. Der Mörder hat sie mit einem Dreizack aus dem Nachlass von Ludwig XIV. aufgespießt. Kommissar X beim Verhör mit V, dem Verdächtigen: ‚Haben Sie L umgebracht?‘ V: ‚Nein. Niemals besaß ich einen Dreizack aus dem Nachlass von Ludwig XIV.“ X lässt V sofort verhaften. Wieso? Lösung: V ist der Mörder, weil nur er wissen konnte, dass das Opfer mit einem Dreizack aus dem Nachlass von Ludwig XIV. aufgespießt wurde.“ Schönen Dank auch. Der Fall kann zu den Akten.
(Christoph Winder, ALBUM – DER STANDARD/Printausgabe, 12./13.06.2010)