2008 habe ich entdeckt, woher mein literarisches Talent kommt – da fand ich diesen Text, der den Alltag eines deutschen Lastwagenfahrers an der Ostfront 1942 beschreibt.
Ich las den Text meiner Tante vor, ohne ihr seine Herkunft zu nennen – sie fand, ich (!) hätte ihn lebendig geschrieben und gut recherchiert; sie erinnerte mich, dass ihr Vater auch im Krieg in Russland gewesen war. Da sagte ich, dass der Text von ihm stammte. Sie war – wie man sich vorstellen kann – bewegt.
Diese drei Seiten sind das einzig Schriftliche, das ich von meinem Großvater habe. Ich habe sie eingescannt – hier als PDF. Mich berührt diese Liebe zum Land, zum Fahrzeug und dieses genaue Hinsehen.
Vom Umgang mit Auto’s auf russischen Strassen – Freigegeben 11. Dez. 1942
Eine zeitgemäße Betrachtung für den kommenden Winter.
Manchem Auto wurde an seiner stählernen Wiege nichts davon gesungen, daß es einmal bis an das rote Leder seiner Türverkleidung im schwarzen Schlamm des Ostens sitzen würde. Manch einem Fahrer bleibt der Fahrlehrer den Unterricht über den Verkehr auf den östlichen Hauptstrassen schuldig. Dennoch müssen Auto und Fahrer miteinander und beide mit diesen Strassen auskommen.
Bei gutem Wetter ist das nicht schwer. Die Org. Todt und der R.A.D. haben eine Technik im Bau von Strassen nur aus Erde entwickelt, die verblüffend ist. Da wölbt sich ein Kamm aus schwarzer Ackerkrumme, auf beiden Seiten Gräben. Der Grund ist festgewalzt und wird in der Sonne braun, ja er kann spiegeln wie nasser Asphalt. Der Fahrer strahlt, der Motor rauscht, die Räder surren, die Federn wiegen, denn es gibt keine harten Stöße auf der fugenlosen Strassendecke. Nur eine kleine leichte Staubfahne steht hinter dem abziehenden Wagen.
Nur werde bitte nicht größenwahnsinnig und schaue nicht etwa hochnäsig auf die langsameren, geräuschvollen und etwas schwerfälligen Kettenfahrzeuge herab, die auf dieser Idealstrasse nicht fahren dürfen, sondern einen Weg daneben benutzen müssen. Wirf, wenn du sie überholst, einen entschuldigenden Blick zu ihnen hinüber, grüße jedes Raupenfahrzeug höflich und sei liebenswürdig vor allen gegenüber Zugmaschinen. Sie ist die ungekrönte Königin des Verkehrs in diesem Lande. Du weißt nicht, wann du sie brauchst, irgendwen aber bist du auf sie angewiesen. Verlass dich darauf!
Inzwischen ist die Strasse nicht besser geworden. Sie glänzt nicht mehr von der harten Erde die einst wohl nach einem Regen festgewalzt wurde. Immer größere Strecken sind mit losem Staub bedeckt, der in einer riesigen Fahne hinter dir her zieht und von hinten kommend, Haut, Haar, Uniform und Mütze mit einfarbiger grauer Schicht bedeckt. Klopfen der Kleidung ist erlaubt, es nützt zwar nichts, kann aber auch nicht schaden. Wischen über das Gesicht und Nasenputzen macht den Dreck nur noch sichtbarer. Waschen hat nur bei totalen Einsatz einen Sinn, da es sonst Streifen hervorruft, die als unfein gelten.
Der Staub wird tiefer, du merkst am Gashebel, daß der Motor den Rädern mehr Kraft geben muss, um durchzukommen. Vom Südwesten her ziehen Wolken herauf. Es regnet. Du lächelst zufrieden, denn du meinst, nun seist du befreit vom Staube. Armer Tor! Merke Dir: hundert Kilometer Staub sind besser als ein Kilometer Schlamm.
Aber noch ist von Schlamm keine Rede. Die erste viertel Stunde erzeugt eine leichte Schmierseife, die das Fahren zum Segeln werden läßt. Es ist ein kleiner, verhältnißmäßig harmloser Scherz, den dieses Land sich mit dir leistet und auf den dein Fahrzeug eingeht. Nimm ihn nicht ernst. Hüte dich nur vor den Gräben rechts und links, und wisse: wenn das Steuerrad rechts anschlägt, stehen die Räder rechts, stößt es links an, stehen sie links. Wesentlich ist beides für die Fahrtrichtung nicht, da dein Wagen, offensichtlich nervös, nur auf zartere Einschläge des Steuers reagiert, das sachte, mit delikatem Fingerspitzengefühl gedrückt und nicht gezogen werden muß. Hier lege mitten im Sommer Schneeketten auf. Dein Wagen wird wieder vernünftig.
II.
Bist du mit diesem Strassenzustand fertig geworden, dann hat er sich schon geändert. Die gleitende Schmiere ist zu haltenden Sch1arn geworden. Überrascht er dich auf einer der geschilderten gepflegten Rollbahnen, also hinter der Front, dann ist warten das Klügste, was du tun kannst. Gewiß käme dein Wagen noch durch, vielleicht mit dem zweiten Gang, aber es gibt andere Situationen, in denen du von ihm verlangen must, was sich jetzt vermeiden läßt. Ist der Regen kurz, dann trocknet die Strasse so, schnell wie sie weich wurde und du holst die Zeit spielend ein. Ist der Regen lang und andauernd, dann ist es ja gleichgültig, ob du hier oder zehn Kilometer weiter für einige Tage liegen bleibst. Du bist ja nicht der erste ‚ der in nächsten Dorf einquartiert wird.
Ganz anders liegen die Dinge abseits Rollbahn, im Bereich der Front sowie vorallem beim Vormarsch. Dort darfst du dich auch nicht au die trochendste Naturstrasse verlassen, die die Sonne scheinbar für dich aus einem vom Wasser glatt gespültem Lehmboden herausgebrannt hat. Dreh nicht auf, denn es gibt Erdsalten, ausgewaschene und dann steinhart getrocknete Rinnen und Löcher, die spielend mit jeder Autofeder fertig werden.
Kommst du in solchem Gelände in einen Regen oder mußt du fahren, wenn vielleicht schon Tage geregnet hat, dann hast du als Anfänger erst alle Grade der Verzweiflung durchzumachen: die erbitterte, die kalte, die heiße, die resignierte und die tobende Verzweiflung. Es empfiehlt sich, Anfängern in dieser Phase ihrer Ausbildung Äxte oder Brecheisen wegzunehmen und den Kraftstoffhahn ihres Fahrzeuges zu schließen, damit es nicht dauernd Schaden nehme. Liegt die Stelle deiner dauernden Erfahrung unter feindlichem Feuer, so ist das volle Deckung nehmen erfrischend wie ein Temperaturwechsel im Dampfbad. Jedenfalls kommt der Fahrer wieder zu sich. Ist dies geschehen, hat er zu prüfen welche Situation vorliegt:
Erstens das Schlammloch. Es tritt auch bei bestem Wettern auf und wurde offenbar erfunden, um Fahrer und Fahrzeug in Übung zu halten. Es ist eine in einer Senke verborgene Falle, die unter Umständen sogar Kettenfahrzeugen gefährlich werden kann. Mancher bolschewistische Panzer wurde im Schlamm erledigt. Ist dies der Fall, so scheue nicht den weitesten Umweg. Fährst du in Kolonne, so hilft dir schon jemand weiter. Es gilt als unrein, zur Schonung der Stiefel im Wagen sitzen zu bleiben, während die anderen im Dreck stehend schieben oder sich von den Hinterrädern von oben bis unten bespritzen lassen
Bist du allein, sei klug! Meide vorallem die Stelle, wo die schmalen Räder bespannter Fahrzeuge Wasser und Erde zu einfach grundlosem Brei druchrührten. Sei auch mißtrauisch gegen die tiefe, breite Spur schwerer Lastkraftwagen, obwohl an deren Grund vertrauenerweckender fester Boden sichtbar wird. Hat dein Nagen einen kleinen Radabstand, dann mahlen seine Räder und beim Abschleppen geht die Olwanne flöten oder dein ahrzeug bekommt X–beine. Am besten sind, wenn vorhanden, die breiten Spuren der Panzerketten.
In der Tiefe des Loches laß den Wagen nicht zu schnell und nicht zu langsam hineingleiten, um dann sofort im zweiten Gang Gas zu geben und herauszusausen. Nutzen alle Tricks nichts, dann macht sich der früher vor Kettenfahrzeugen bezeigte Respekt bezahlt. Sie helfen dann lieber.
Zweitens die Schlammstrasse. Sie ist das Schlammloch in der Potenz. Zu ihrem Befahren gehört die Kenntnis des Wetter der letzten Tage, weil dies auschlaggebend ist für den Zustand des Bodens unter dem Schlamm.
III.
Es geht gehört weiter dazu die Kunstfertigkeit, notfalls auf einem schmalen Graz zu balancieren und fremde, nicht passende Spuren zwischen die Räder zu nehmen. Angeboren und nicht zu erlernen ist das geheimnisvolle Wissen um die Tiefe des Loches unter einer Wasserpfütze. Im allgemeinen ist da, wo Wasser steht, der Boden fester. Aber keine Regel ohne Ausnahme.
Glaube ja nicht, daß die Grasnarbe nebenan die Rader des Wagens besser trüge als die Strasse. Es kann da böse Überraschungen gehen, weil das Gras in diesem fetten Boden nur wenige Wurzeln braucht und weil es die Feuchtigkeit oft noch besser hält als der freie Boden. Aber auch da gibt es keine Regel in diesem Land der Überraschungen.
Nur eins bleibt sich immer gleich: der erste Gang ist viel zu hart für den Schlamm, deshalb fahre mit weich eingesetzter Kupplung nur im zweiten Gang an. Mit ihm kannst du bei einigem Geschick und wachsender Übung mit gelegentlicher Hilfe einiger starker Fäuste viele, viele Kilometer weit und tagelang dort fahren, wo scheinbar ein durchkommen mehr ist. Quäle nur den Motor nicht, denn wo langsam drehende Räder nicht mehr fassen, da greifen die, die sich schnell drehen, schon lange nicht mehr. Achte darauf, daß du so lange wie möglich nicht stehen bleibst, denn jedes Weiterfahren ist leichter als wiederanfahren.
Drittens, das überschwemmte Minenfeld. Hat dir das Schicksal beschieden durch eine sumpfige Niederung zu fahren, tritt dann ein Soldat an deinen Wagen und fordert dich auf, genau Spur zu fahren, weil es sich um ein noch nicht aufgeräumtes Minenfeld handelt, und stellst du dann fest, daß in den Wasser eine Spur nicht zu sehen ist, dann ist der Augenblick gekommen, wo du deinen Wagen bis zum letzten beanspruchen darfst. Es ist der Moment, für den du ihn bisher geschont. Dann hilft nur fahren, immer weiter fahren, nicht stehen bleiben, auch wenn das Fahrzeug um seine eigene Achse schlittert. Fülle nur hinterher Öl und Wasser nach, denn es hat sich‘s ehrlich verdient.
Viertens: das letzte Stück: Siehst du vor dir in 800 m Entfernung eine der ganz seltenen Steinstrassen dieses Landes und sitzt du vollkommen im Schlamm, der sogar zur Tür hereinquillt, dann mußt du radikale Entschlüsse fassen. Hier hilft kein Motor, es hilft auch kein Hochheben des Wagens durch Menschenkraft. Pferde können dir nichts nützen, denn jede Fortbewegung des Wagens läßt den Schlamm vor dem Kühler sich höher auftürmen. Dann hilft nur eine Kombination von Menschen – und Pferdekraft und sehr viel guter Wille. Dann muss der Schlamm von vorn und von der Seite weggegraben werden, bis ein Seil gebracht werden kann. Vier Pferde werden vorgespannt, soviel Hände wie anfassen können, heben, drücken oder schieben je nach Bedarf und dafür muß laut, ganz laut kommandiert werden.
So kommt man Meter für Meter weiter, auch wenn man glaubt, daß es gänzlich aus sei. Ich brauchte für 80 Meter 4 Stunden, und ich wundere mich über die Schnelligkeit, mit welcher der Wagen durchgegraben, durchgezogen und durchgeschoben wurde.
Ist man auf einer Steinstrasse angelangt, über deren Katzenköpfe und Schlaglöcher schon die Goten mit Sack und Pack gezogen sein müssen, dann erscheint den Fahrer dieser für die Heimat unvorstellbare Wechselbalg einer Strasse wunderbar wie eine Autobahn. Auf ihr mag das Wasser stehen so hoch es will, die Zahl der Löcher, die, wie man meint, in Jahrhunderten entstanden sein müssen, mögen durch eingeschlagene Geschosse noch vermehrt werden, von dieser Strasse geht man nicht mehr herunter. Hindernisse umfährt man nicht, sondern hilft bei ihrer Beseitigung, auch wenn es Stunden dauert. Man schafft immer noch mehr als 80 Meter in vier Stunden.
Autor: Gefr. Hannes Hartlmayer 02620A