Das Resultat meiner letzten Krise ist, dass ich anders an meinen Roman herangehe: Ich werde radikal autobiografisch. Nicht, weil mein Leben so toll ist, sondern weil ich mir das Schreiben erleichtern muss, um vorwärts zu kommen.
Je mehr ich frei erfinden muss, umso anstrengender ist es, die Zusammenhänge schlüssig zu halten. Nein, die Handlung bleibt gleich. Es geht vielmehr um die Gestaltung der Personen und ihrer Hintergründe. Insbesondere des Protagonisten Timon. Während alle anderen Personen griffig waren, war Timon bisher emotional so unklar.
Ein Beispiel: Timon hat eine Ursprungsfamilie. Die kommt zwar nicht oft vor, aber sie ist da. Und Timons Wesen wird von seiner Familie geprägt, na klar, wie bei jedem von uns. Also: Wer ist sein Vater, wie ist seine Mutter? Weglassen kann ich sie nicht, zumindest ich als Autor muss das grobe Umfeld kennen, in dem Timon aufgewachsen ist. Da kann ich doch gleich meine Familie hernehmen! Die kenne ich, es ist keine schlechte Familie, und es geht ja auch nicht hauptsächlich um sie. Ebenso Alter und beruflicher Werdegang des Timon. Sein Job als Informatiker. Seine Wohnung. Und so weiter.
Weiteres Beispiel: Wie sollte Timon seiner Sophie, einer Archäologin, begegnet sein? Mich an mein autobiographisches Paradigma haltend ist es es sonnenklar: Timon ist auch Romanautor. Sein erster Roman heißt „Die Archäologin“, und bei seinen Arbeiten zum Nachfolgeroman recherchiert er in den Büros der Anthropologie im Naturhistorischen Museum. – Und somit wieder etwas, was ich kaum erfinden muss. Ich ergänze es um ein wenig Dazuerfundenes: Dort begegnet ihm Sophie, die ja schließlich Archäologin ist und sich quasi aus beruflicher Notwendigkeit dort bewegt. Nebeneffekt: Timon und Sophie haben das Interesse für Archäologie gemein, als Startpunkt der Beziehung.
Das heißt, Wesenszüge und Vergangenheit meines Timons sind meine, außer, die Handlung schreibt ausdrücklich etwas anderes vor. Im Zweifel wird Autobiografisches genutzt.
Die Romanhandlung bleibt wie sie ist. Auch die Romanpersonen bleiben. Durch das Nutzen meiner Biographie ergibt sich Schlüssigkeit und Glaubwürdigkeit von selbst. Ich reduziere die Komplexität und gewinne an Geschwindigkeit.
Falls das ernst gemeint ist, möchte ich gleich ein wenig warnen.
Nicht, daß ich das nicht auch mache und jeden von uns passiert, aber mein Weg geht eher weg von derAutobiografie. Am Anfang war ich und mein Leben in meinen Texten sehr leicht zu erkennen, da haben mich die Leute dann gefragt, ob das wirklich so passiert ist und die Antwort war „Alles ist autobiografisch und alles wieder nicht!“ und da sind wir gleich bei der Warnung, weil Sie sich dadurch natürlich selbst einschränken und beim zweiten, dritten, vierten Roman Schwierigkeiten bekommen werden. Also die Autobiografie lieber den unbewußten Kräften überlassen, das fließt schon von selbst hinein und passt dadurch, dort wo es mir passiert, entstehen oft die stimmigsten Stellen, aber sind die Autoren nicht vielleicht doch nicht nur zum Verdichten, sondern auch zum Ausdehnen, Erweitern, Fabulieren und Erfinden da? In diesem Sinne einen schönen Roman!