Anatomie eines Schreibglücks

Kapitel über Erkenntnismeditation, entnommen Damien Keown: Der Buddhismus. Eine kurze Einführung.
Kapitel über Erkenntnis-meditation, entnommen Damien Keown: Der Buddhismus. Eine kurze Einführung.

Vor ein paar Tagen schrieb ich über ein wunderbares Schreiberlebnis. Nun bin ich auf etwas gestoßen, das mir erklärt, wie das da wohl abgelaufen ist.

Ich habe Ähnlichkeiten meines Schreibprozesses mit der Erkenntnismeditation ausfindig gemacht.

Bei der Erkenntnismeditation geht es nicht (wie bei der Ruhemeditation) darum, Frieden und innere Ruhe zu finden. Sondern darum, eine alles durchdringende, kritische Erkenntnis zu erzeugen.

Hier die Parallelen:

1) „Zuerst wird meist die Ruhetechnik angewandt, um den Geist zu sammeln“ -> Ich stimme mich auf das kommende Kapitel ein, etwa indem ich vorangegangene Textstellen lese.

2) „Allmählich entfaltet sich die Erkenntnis, dass wir in allen Situationen frei wählen können, wie wir reagieren können“ -> Ich selbst bin derjenige, der  das Wesen und Verhalten meiner Romanpersonen bestimmt. Ich werfe die Personen in bestimmte Situationen.

3) „Als Nächstes lenkt man die Aufmerksamkeit auf die auftretenden Gefühle. Angenehme und unangenehme. Gefühle werden, so wie sie entstehen und vergehen, registriert“ -> Ich finde nun in die geeignete Schreibhaltung; ich leide mit der Romanperson, ich atme und denke und fühle mit ihr. Und das, was ich an ihrer statt wahrnehme, registiere ich (=schreibe ich auf).

4) „Der Meditierende muss der Versuchung widerstehen, sich den unvermeindlich auftretenden Tagträumen und Fantasien zu überlassen“ -> Ja! Ja! Ja! Meine Gedanken schweifen oft ab (meist dann, wenn ich endlich im Schreiben drinnen bin). Dieses Problem ist also seit Jahrhunderten bekannt. Beruhigend, dass nicht nur ich meine Schwierigkeiten damit habe.

Der nächste Punkt zeigt mir, wie ich mit dieser Unkonzentriertheit umgehen kann:

5) „Vielmehr soll der Meditierende nur distanziert beobachten, wie die Gedanken und Bilder einander folgen.“ -> Meine besten Texte sind immer diejenigen, wo ich mit möglichst einfachen Worten festhalte, was passiert, was wahrgenommen wird. Nichts Großartiges hinzudichte. Und wenn ich genau hinsehe, bleibe ich automatisch konzentriert.

6) „Es ist, als wäre eine große Last von uns genommen: […] Gefühle werden aus dem Gravitationsfeld des Ich befreit, das sie verzerrt und entstellt“ -> Und hier ist sie, letztlich, die allesdurchdringende, kritische Erkenntnis. Wie in jenem Moment, den ich vor einigen Tagen hatte.

(Damit will ich nicht sagen, mein Schreiben sei Meditation – ich will hier nur Ähnlichkeiten aufzeigen)

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