Mein Verleger kam zu mir und sagte: „Jugendbücher! Wir brauchen mehr Jugendbücher!“
„Du meinst also, ich soll ein Jugendbuch schreiben?“
„Nicht nur eines, sondern eine Serie! Neun Stück. Mindestens.“
„Aha“, sagte ich. Und: „Wie schreibt man ein Jugendbuch?“
Da reichte mir mein Verleger einen Stapel bunter Bücher, die er aus der Bibliothek geholt hat: „So schreibt man!“
Ich nahm eines der Bücher. Auf dem Cover zwei Kinder und ein Dinosaurier. Mein Verleger sagte: „Das ist eine Serie. Im ersten Band entdecken die Geschwister Justus und Anneliese ein Baumhaus und reisen mit Hilfe von magischen Büchern zurück in die späte Kreidezeit, wo sie einem Flugsaurier begegnen, der sie vor einem Tyrannosaurus Rex rettet.“
„Aha“, sagte ich.
Ich blätterte mich durch die Bücher. Die Reise mit diesem Baumhaus geschah stets nach folgender Methode: ein Kind schlug das magische Buch auf, deute auf ein Bild und sagte: Ich wünschte, wir wären dort – dann fing das Baumhaus an, sich zu drehen. Es drehte sich schneller und scheller, und dann war alles wieder still, totenstill – ich fand das Wort „totenstill“ blöde. Danach war das Baumhaus auf einer Palme oder sonstwo – Pyramiden, Indianerlager, Mondbasis, wo auch immer. Ich wollte meinen Verleger nerven, darum sage ich: „Und was, wenn die Kinder in Pompeji landen?“
Mein Verleger zog ein Buch heraus, wo die Kinder Tunika trugen, neben ihnen ein römischer Zenturio, im Hintergrund ein Vulkan. Ich sagte meinem Verleger, das konnte ja nicht schwierig sein, ein Wochenende, zwei Flaschen Rotwein, und geht schon. Mein Verleger sagte, dass er montags wieder zu mir in meinen Schreibkeller kommen würde.
Na dann. Also zwei Kinder, ein Bub, ein Mädchen. Statt des Baumhauses ein Blockhaus. Da war man flexibler, da musste nicht immer ein Baum in der Nähe sein. Statt des magischen Buchs zeichnet das Mädchen etwas auf ein Blatt Papier, und dann – wuuusch – ist das Blockhaus dort. Das ließ Raum für interessante Fehler – wenn das Kind nicht präzis genug gezeichnet hatte, dann bog die Reise falsch ab, dann machten die Kinder einander Vorwürfe, und es gab humorvolle Komplikationen. Ein Jugendbuch eben, mit Charakteren, die aus dem Leben gegriffen waren, aber auch geschichtliche Zusammenhänge wurden erzählt – ein Lehrauftrag, sozusagen, denn Bücher wurden von Eltern gekauft. Und weil Eltern immer am Handy hingen, hatten sie ein schlechtes Gewissen, weil sie den Kindern nichts mehr erklären konnten, darum so ein Buch mit weltgeschichtlicher Relevanz.
Da war der Plot für Band eins naheliegend: Tobi und Alex retten den Hund des alten Mannes. Die Geschichte beginnt damit, dass Tobi (sie ist das Mädchen) Sehnsucht nach einem Haustier hat. Also schleicht sie ins Blockhaus, mit ihrem Bruder Alex, und sie zeichnet einen traurigen Hund und sagt den magischen Satz: „Bring mich zu ihm!“ Dann, das Blockhaus dreht sich, die Kinder sind überrascht und keiner kennt sich aus und – wuuusch! – ist das Blockhaus ist plötzlich ein fensterloser Raum, mit einer Couch und einer matten Lampe und einem Festnetztelefon. Die Kinder hören durchdringendes Brummen. Da betritt eine Frau den Raum, sie stellt sich als Eva vor, sie redet beschwingt gestikulierend von ihrer Hochzeit, die vorhin stattgefunden hat, und sie bietet den Kindern Tee an, und Kekse. Dann kommt ihr Mann herein, grau gekleidet, mit schlurfenden Schritten, er geht gebeugt, seine Bewegungen sind die eines alten Menschen. Er zittert mit der linken Hand. Er sieht die Kinder. Es gibt einen Dialog, wo sich nun alle erklären. Der alte Mann lässt sich seinen Schäferhund bringen, und er sagt den Kindern: Passt mir gut auf die Blondi auf! Tobi knuddelt den Hund, sie schließen gleich Freundschaft.
Nun öffnet der Mann ein Schächtelchen, nimmt eine Kapsel heraus, reicht sie seiner Frau und sagt den Kindern, sie sollten nun nach Hause gehen. Die Frau steckt sich die Kapsel in den Mund, der Mann nimmt auch eine Kapsel. Eilig zeichnet Tobi ein Bild mit ihrem Elternhaus, und ihren Eltern, mit Tobi und Alex, und daneben der Hund. Der alte Mann nimmt eine Pistole und hält sich den Lauf an den Kopf. Er lächelt Tobi und Alex an, und in dem Moment, wo er die Kapsel in seinem Mund zerbeißt, drückt er ab. Ein Knall, der taub macht – dass die Kinder das dumpfe Brummen nicht mehr hören. Die Frau, inzwischen, von Krämpfen geschüttelt, mit Schaum vor dem Mund, rutscht von der Couch. Der Hund jault auf. Die Kinder legen ihre Finger auf die Zeichnung und schreien, weil sie ihre eigenen Stimmen nicht mehr hören: „Ich wünschte ich wäre daheim!“
Und dann sind sie daheim, haben einen Schäferhund und sind bereit für die nächsten acht Bände – denn es ist immer wichtig, dass ein Tier dabei ist, in der Jugendliteratur.