Neid (Derrick)

Mein Name ist Stephan Derrick, und ich bin Oberinspektor bei der Münchner Polizei. 

Jeden Tag werde ich an den Stadtrand gerufen, zu den Villen der Reichen, zu den toten Mädchen und den erstarrten Müttern und den alten Männern. Ich frage: „Wo waren Sie gestern?“ und werde angeschaut, weil ich nicht dorthin gehöre. Ich weiß ja, wer diese Leute sind, die mit dem Geld! Und immer ist die Gier der Grund, warum sie sich töten. Am liebsten würde ich gar nichts tun, sollen sie sich abschlachten.

Mein 200. Fall zum Beispiel. Ein belangloser, alter Mann stirbt. Seine Tochter, eine super attraktive Brünette, recherchiert. Sie kommt drauf, dass ihr toter Vater bezahlt worden war, einen Villenbesitzer zu ermorden. Natürlich hat der Villenbesitzer den alten Mann zuerst abschlachten lassen. Die attraktive Brünette also kommt zum Villenbesitzer, will ihn alle möglichen Vorwürfe machen – er aber ist im Rollstuhl. Was ist passiert? Sie verliebt sich in diesen Schlaffschwanz. Und ich? Bleibe auf einem ungelösten Fall sitzen wegen dieses schlaffschwänzigen Rollstuhlkrüppels.

Ja, schlaffschwänziger Krüppel! Das wird man doch noch denken dürfen! Der Schimanski, der sagt doch dauernd solche Sachen! Der Schimanski, der ist ein dreckiger Opportunist, wie sein Vater, dieser Nazibonze, der hat 1943 im Warmen einen Kriminalfilm abgedreht, während wir an der Ostfront dem Russen Kharkiv entrissen haben!

Der Schimanski, der kann einfach neben einer Frau im Auto sitzen und dann sagen: „Ach nee, lass uns doch noch ein bisschen durch die Nacht fahren, du!“

Und ich? Ich sage Dinge wie „Guten Tag“ und „Die Ermittlungen laufen.“

Oh, wie ich ihn beneide! Er kann sich mit seinem Thanner nach jedem Fall unter die Dusche stellen, gemeinsam im Nassen, Stirn an Stirn können sie das Geschehene abfeiern und sich Schampoo über Haare gießen. Aber ich! Ich brauche nur nach meinem grünen Bademantel zu greifen, meinen Arm in einer unglücklichen Bewegung zu sehr zu heben, dann ein Blick von Harry, der sich gerade einseift, und er sieht, dass da, unter meiner Achsel, dort ist ein A eintätowiert, und der Harry, der ist zwar Kind, aber blöd ist er nicht, und in irgendeinem Archiv wird sicher nachzulesen sein, dass ich bei der SS-Division Totenkopf war.

Darum begann ich, Schnaps zu trinken. Ich dachte, dass es mir helfen würde, meinen Neid zu überwinden. Und es funktionierte. Ich bin zufriedener mit meinem Leben, und wenn diese reiche Clique in einer ihrer Villen wieder einmal ein totes Mädchen gebiert – klar frage ich dann den nervösen Onkel und die anteillose Mutter: „Wo waren sie gestern?“

Aber diesmal, in einem unbeobachteten Moment, mache ich einen Schluck vom Flachmann, betaste die Vulva der Toten, schließe meine Augen und denke mir Harry ganz nah, so nah, dass ich ihm den Kopf shampoonieren könnte.

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