Verdammt, wir schreiben noch!

Die Deutschschularbeit begann damit, dass die Frau Professor die Zettel mit den drei Themen austeilte. Das Dritte Thema war wie immer eine Gedichtinterpretation. Das zweite Thema war etwas politisches, da kannte ich mich nicht aus. Und das erste Thema hieß: “Mein schönstes Ferienerlebnis”. Das musste ich also nehmen. Ich schrieb den Titel in das Heft. rund um micht zähe Atmen, das Kratzen von Federn auf Papier, die Schritte der Professorin, und draußen, die geöffnetes Fenstern, der Herbst, das Laub und die Autos. Mein schönstes Sommererlebnis. Also: ich musste an die Sommerferien denken. Die bestanden aus Juli und August. Schade, denn im Juni war ich bei Tante Roberta zu Besuch, und sie hatte diesen herrlichen Rehrücken immer. In Juli war ich nicht auf Besuch bei ihr, im August auch nicht, denn sie war ja in Juli niedergefallen und dann bei der Operation hatte sie sich im Krankenhaus einen Keim eingefangen, darum hatte man ihr das Knie und dann den Oberschenkel abgeschnitten und am Ende war nichts mehr von ihr übrig, so dünn war sie. Als ich sie besucht hatte, hatte sie geschrien wie ein Kind. Darüber konnte ich also nicht schreiben.

Ich schaute auf die Uhr über der Tafel. Zehn Minuten schon vergangen, und die Stunde hatte ohnehin nur fünfzig Minuten in Summe, also noch vierzig Minuten. Ich musste weiterdenken.

Im Juli waren wir am Land draußen. Woran konnte ich mich da erinnern? Der Regenwurm, den ich zerteilt hatte mit der Schaufel, weil meine Großmutter gemeint hatte, dann würde der Regenwurm wie zwei Regenwürmer weiterleben. Was nicht stimmte. Beide Hälften verendeten. So wie bei Tante Roberta, bei der das Bein abstarb und auch der Bauch mit Kopf und Armen.

Ich schaute auf die Uhr über der Tafel. Nur mehr fünfunddreißig Minuten. Ich hob den Arm und die Professorin kam her. “Mir fällt nichts ein”, sagte ich.

“Ach geh, schreib irgendwas, was passiert ist. Es muss nicht lang sein.”

Also schreib ich von dem Hund, den von der alten Frau Kmeiner, der alleine im Dorf herumgestreunt, weil die alte Frau Kmeiner zu alt ist, um ihn Gassi zu führen. Mit einer Wurst habe ich ihn in in den Garten gelockt, dann eine Kiste drüber und Erde drübergeschaufel aber mit einem Loch für die Luft. 

So schrieb ich und schrieb ich, meine Füllfeder kratzte über das Papier, Seite um Seite, wie ich meine Eltern dazu gebracht hatte, das Winseln zu überhören, und als einmal Stille war, hatte ich den Hund hatte. Seine Hundeaugen. Sein müder Kopf. Und die Ameisen und der Körper, der sich immer noch bewegt hatte – die Worte kamen nicht von mir, sondern vom Hund und mir gemeinsam, er war mir in diesem Moment beim Schreiben so nahe wie sonst nichts auf der Welt mit allem, was er fühlte und was ich tat – das war eines, und wie beide schrieben und schrieben und dann hörte ich die Frau Professor. 

Sie sagte: “Abgeben, Wollinger!” – aber etwas in mir schrieb weiter, die böse Frau inzwischen zerrte das Papier vom Schreibtisch, ich schrie: “Verdammt, wir schreiben noch!” – Und weil sie keine Ruhe gab, hackte ich mit der Füllfeder auf ihre Greifhand ein, so wie ich in den Leib des Hundes gehackt hatte, um sein Leid zu beenden – und das gleiche hätte man mit Tante Roberta auch tun sollen, dann hätte sie nicht so schreien müssen wie die Frau Professor.

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