(Gelesen bei der Radiosendung „Ganz schlimm wär was mit Rosen“ ab 00:27)
Benjamin Rosen würde sich um eine Stunde verspäten.
Die erste, die davon hörte, war Maggie, denn sie telefonierte mit seiner Sekretärin. Maggie sagte es Patricia, die eigentlich Patrick hieß, aber sich für diese Party umoperieren ließ, damit sie Benjamin Rosen vorgestellt würde und vielleicht gar in den inneren Zirkel aufgenommen würde – Patricia wurde schwindelig, und die Operationsnarben zogen und brannten.
Patricia ging auf die Toilette – und wankte wieder heraus, weil sie ja in die Damentoilette musste, und ja, das hier war eine Villa mit getrennten Toiletten – Patricia stellte sich vor den Spiegel und wechselte den Verband in ihrem Höschen, warf den blutigen Stoff in die Toilette, was eine schlechte Idee war, weil beim Spülen dann der Wasserspiegel gefährlich anstieg.
Eine Frau, die ebenfalls vor dem Toilettenspiegel stand, fragte Patricia, ob sie Maggies Überraschung sei. Patricia wusste nicht, was zu antworten war.
”Du magst Maggie, nicht wahr?”
“Sie war immer nett zu mir. Sie wird mir heute Rosen vorstellen”, sagte Patricia.
“Und dann?”, sagte die Frau.
Patricia wagte nicht auszusprechen, dass sie hoffte, in Rosens inneren Zirkel Eingang zu finden. Die Frau schien Patricias Wunsch zu ahnen und dann sagte sie: “Maggie braucht dich mehr als du glaubst.”
“Wieso?”, fragte Patricia.
“Hast du dir Maggies Körper angesehen? Sie ist welk. Wie soll sie mit zwanzigjährigen mithalten? Sie muss das also anders machen. Nicht mit ihrem eigenen Körper. Sondern mit Körpern wie deinem. Maggie überrascht Rosen ab und zu, mit so Parties wie heute, und das macht sie zum Quell an Lebensfreude und Frische, dass es nur so an Jugendlichkeit und Extravaganz für ihn sprudelt.”
“Und warum bin ich so wichtig?”
“Weil ohne dich, mein Schätzchen, heute, bei der Party, da ist sie nichts. Sie kann ihm nicht einmal die Bloody Mary reichen, sie kann ihm nur dich reichen.”
Patricia ging zurück in die Lounge, wo sich der DJ schon ein bisschen in Stimmung brachte mit wummernden Tönen, mit Panoramablick auf die nächtlich flirrende Stadt und auf den Pool, wo noch keiner voll bekleidet im Drogensuff umherschwamm, wo man sich den Spaß noch nicht machte, die abendlich magersüchtigen Männer hinein zu werfen, wo die Schwimmkerzen noch leise auf der Oberfläche trieben. Die Leute beim Pool nippten still an magenschonenden Säften, weil sie sich die harten Sachen für später aufhoben, wenn Benjamin Rosen hier in seiner Villa aufschlug und sie alle “Überraschung!” zu rufen hätten und es so richtig, richtig losging.
Patricia ging zu Maggie. Denn Maggie war der einzige Mensch, den sie hier kannte.
“Schaust nicht gut aus”, sagte Maggie.
“Ich hab die Regel gekriegt”, sagte Patricia und meinte es humorvoll.
“Wie? So gut sind sie im Habbert schon?”
Patricia nickte. Aber sie war nicht im Habbert-Sanatorium gewesen. Sie hatte sich stattdessen in Mexiko operieren lassen, weil sie das Geld von Maggie im voraus bekommen hatte – da sie ins billige Mexiko ausgewichen war, blieben ihr dreitausend Dollar. Aber nach dem Penis-Splitting musste was passiert sein, jedenfalls als Patricia aufwachte, waren die Ärzte allesamt fort aus dem Klinik, und der Weg entlang dem Highway war wohl schon für normal Frischoperierte schwierig.
Maggie war stets freundlich zu Patricia gewesen, hatte ihr vor der Operation sogar noch einen geblasen, aus einer Prosecco-Laune des Abschiednehmens heraus, so wie das unter Frauen eben üblich sei, wenn sich eine von ihnen von ihrem Penis trennte.
Und so wie man prüfte, ob die Getränke gut gekühlt waren, so wog Maggie nun mit den Händen Patricias volle Brüste.
Patricia trieb es die Tränen in die Augen und sie quiekte, dass sie sich auf die Lippen biss und ihr Lip-Gloss vermutlich verschmierte.
“Beherrschung, junge Dame”, flüsterte Maggie. “Er wird dir ja kaum die Hand schütteln, wenn er dich begrüßt, oder was hast du erwartet?”
Maggie ließ die Arme sinken, das Brennen der Brustschnitte blieb.
“Du blutest”, sagte Maggie. Patricia sah sich auf den Bauch.
Ein Hauch eines Flecks, länglich, dort, wo man ihr den untersten Rippenbogen herausgenommen hatte. Weil für Rosen Taille wichtig sei, wie Maggie betont hatte.
Maggie sah nun aus, als sei etwas zusammengefallen. Sie sagte: “Du vermasselst ja alles! Das Kleid kannst du vergessen.”
Patricia kam sich schäbig vor, Maggie so im Stich zu lassen.
“Komm, wir holen ein neues.”
“Danke”, flüsterte Patrizia.
Maggie bahnte sich einen Weg durch die gedrängten Gäste, Männer in dunklen Anzügen, Frauen in buntem Allerlei, ein paar Freaks standen auch herum, fast wie beim Check-In der Mexikanischen Klinik, wo Patricia auch nicht wusste, was sie sagen sollte, zu den anderen dünnarmigen Männern, die genauso Angst hatten. Patricia folgte Maggie über eine Treppe und versuchte dabei, ihre Schritte in den Knien abzufedern, damit das zweifache Gewicht, das sie nun unter der Brust trug, nicht allzusehr an den Wunden zerrte.
Maggie führte Patricia in ein Schlafzimmer voll von rosigem Samt und mit einem Doppelbett, sicherlich Wasser in den Matratzen, und ein Fernseher erbrachte stumm Nachrichten, von Krieg und Flut. Maggie ging weiter in einen Schrankraum, ergriff nach einigem Umhergehen ein pinkes Stück Stoff, das auf einem Kleiderhaken hin- und herschwang. Maggie hielt es ihr vor das Gesicht: “Beeil dich, vielleicht war das eine Finte seiner Sekretärin, und er kommt doch pünktlich. Rosen kennt man nie wirklich.”
Sie eilte hinaus.
Patricia also stellte sich vor den Spiegel im Schrankraum, weißes Licht beschien ihre Locken, und sie schälte sich aus dem Kleid, das dann wie ein Fetzen an ihren Knöcheln hing. Im Spiegel sah sie ihren Körper mit den rosa Strichen, sie verschmierte etwas Blut auf ihrem Bauch, und im Hintergrund, im rosa Schlafzimmer, lief der Fernseher mit den Bildern eines Autowracks und ein Laufband mit der spiegelverkehrten Botschaft: Pastor Benjamin Rosen, Gründer der Kirche der Wiederkehr, ist tot.
Patrizia setzte sich nackt auf das Bett, und es gab nach, in Wellen, die an ein Meer erinnerten.