(Gelesen bei der Radiosendung „Reif für die Insel“ ab 00:47)
Man darf nicht einfach Schnitzel essen, wenn man am Meer ist, sagte Maragarita. Man muss das essen, was aus dem Meer kommt, wenn man am Meer ist, sagte Margarita. Sie war die berühmteste Literatin von uns allen, also hatte sie meist recht. Wir waren sieben Autoren, wir machten Urlaub auf der Insel, das bedeutete stundenlange Schreibsitzungen voller Schweigen, danach schallende Kritikstunden und Rechtfertigungsmonologe.
Ich begann darum also, Kalmare zu essen, weil Fisch – also, die Fische, die ich hier bestellte, schauten mich vom Teller her an mit so einer Verzweiflung, und wenn ich Fische nicht richtig tranchierte, also ihnen auf rechte Weise das Rückgrad aus dem Leibe zog, dann blieb dieser Geschmack nach sonnencremigen Haaren, denn die Fische hier waren bekannt für ihre traurigen Blicke und ihre hochgezogenen, buschigen Augenbrauen.
Aber ein Kalmar, der war wie Zwiebelringe, der war paniert, der kam mit Pommes und der schmeckte wie ein Schnitzel, weil ein schlechtes Schnitzel auch leicht sauer war.
Nachdem wir also eineinhalb Wochen auf der Insel geschrieben hatten und ich gelernt hatte, im Meer auch die umfangreichste Notdurft zu verrichten – weil Margarita gemeint hatte, wir sollten die Klos sauber halten – da kam Isolde mit einem Vorschlag. Dazu musste man wissen, dass sie die sonnigste aus unserer Gruppe war, ein hüpfendes esoterisches Wesen, das voller Piepslaute sogar an den heißen Inselsteinen Schönheit entdeckte.
Isolde hatte immer gute Pläne, und darum also machten wir einen Ausflug nach Gol. Dazu fuhren wir mit Peters Kohletransporter die Uferstraße entlang, vorbei an den Bordellen, vor denen silbrige Frauen standen, die ihre Fischeuter sehnsüchtig hochreckten. Wir bogen ins Landesinnere, und Isolde teilte mit uns ihr Wissen über Gol, das daraus bestand, dass es hier ein Restaurant gab, das für seine Pekas berühmt war. Wir kamen durch ein Tal mit spärlichen Häusern, die an fortgeschrittenem Betonfraß litten, dann verwinkelt steil empor. Wir betraten einen Gastgarten, der im Inneren eines Burghofs lag. Aber eine Seite der Burg fehlte, darum gab es Aussicht bis an das ferne Meer. Ein Tisch war gedeckt, es gab sieben Blumenteller und sieben Weingläser.
Ein Mann kam, er stellte sich uns als Koch vor. Da Isolde das Menü vorbestellt hatte, gab es nichts zu diskutieren und zu deuten. Der Koch tauchte ins Schwarze der Burg ab und kam mit einem Teller heraus, auf dem Streifen aus Dünnem lagen, und eine Flüssigkeit aus Gelblichen rundherum. Es gab Brot, das alles schmeckte salzig, und wir lachten, weil Margarita und Isolde auch lachten.
Ich machte auch einen Bissen. Nun aber war das Meer viel zu weit weg, darum musste ich eine Toilette suchen. Ich zitierte also eine von Isoldes Oden an das blaue Meer, weil dort das Gack-Wort vorkam, und im allgemeinen Lachen stand ich auf und ging, weil ich nun annehmen konnte, dass jeder wusste, was ich brauchte, ohne aber Margarita oder Peter durch direktes Ansprechen körperlicher Themen irritiert zu haben.
Ich ging ins Innere, und dampfende Dunkelheit umfasste mich. Ich fragte nach der Toilette. Der Koch stand vor schwarzen Kochtöpfen und rührte. Er schickte mich empor. Ich fand ein Zimmer mit tapetenhaften Wandmalereien, mit Teppichen, mit vergrauten Fotografien ernster Menschen, aber da war keine Toilette. Also ging ich weiter, ein Schlafzimmer offenbar, zwei zu kleine Betten, im moralisch passenden Abstand nebeneinander. Da war eine furnierte Holztruhe, und von ihr ging ein Gefühl der Verbundenheit aus, das ließ mich die Truhe aufklappen. Da war ein weiterer Deckel, den galt es aufzuschrauben, und unter diesem Deckel war ein Metalleimer. Ich setzte mich, und als es sich aus mir befreite, hob ich den Blick zu den Wandfotos, zu diesen Menschen, die zu mir schauten. Stehkrägen, Kleider bis zum Hals, aber keisrunde Male auf Wangen und Stirn, wie wenn sie sich glühende Kaffeetassen auf die Gesichter gedrückt hätten. Ich suchte die Spülung, die es natürlich nicht gab, also versperrte ich die Truhe, humpelte – weil meine Hose noch an den Knöcheln hing – hinüber an ein Bett, und am Bettzeug wischte ich mir den Hintern sauber. Ich zog die Hose hoch und dann zurück ins Dunkle, wo der Koch an der Peka arbeitete. Ich sah an dem Mann etwas weißliches, das über seiner Schulter hing, das er in den Topf hineingleiten ließ, bis sich nur mehr Ausläufer an seiner Schulter festhielten – die er dann abriss und hineindrückte und einen Deckel darüber presste und zu mir herlächelte. Ich lächelte zurück, auf der Insel waren die Menschen so freundlich.
Ich trat zu dem Mann, nicht, weil mich seine Arbeit Interessierte, sondern aus rein literarischem Reflex, sprich, alles, was seltsam war, galt es einsammeln, damit ich meinen aktuellen Roman auffüttern konnte, vielleicht gab Koch zwei Seiten her. Er führte mich an den Küchentisch. Dort lag etwas weißliches, mit einem Kopf so groß wie ein Fußball, und mit Armen so lang wie … wie Arme eben. Darauf waren die Saugnäpfe, und als ich in das Gesicht des Kochs sah, erkannte ich jene roten Male von Saugnäpfen, die ich auf den Fotos vorhin gesehen hatte. Der Kalmar atmete noch. Seine Augen waren Blau, und sie trugen eine Traurigkeit, wie ich sie bislang nur von den hiesigen Fischen kannte. Zwischen seinen Beinen floss Blut.
“Ich koche nur weibliche Kalmare”, sagte er.
Ich deutete auf den Kalmar.
Der Koch sagte: “Nein, das ist ein Männchen. Ich habe es nur für die Zubereitung gebraucht. Ich schicke es jetzt ins Dorf, zum Frittieren. Bei mir kommt es in keinen Topf!”
“Schmecken weibliche Kalmare besser?”, fragte ich.
Der Koch sagte: “Nun in ganz bestimmten Situationen. Ich lasse die Kalmare im Salzwassertank kopulieren. Und während sie den Akt vollziehen, fische ich sie raus und dann hacke ich sie voneinander los. Das braucht den richtigen Moment, damit der Penis in der Kalmarin drinnen bleibt.”
Ich schaute dem männlichen Kalmar zwischen die blutigen Beine und dann ging ich hinaus ins Helle, zu den anderen. Ich setzte mich. Ich wartete und schaute aufs weit entfernte Meer. Der Koch brachte schließlich die Peka. Wir machten erste Bissen und ergingen uns in seufzendem “Ah” und “Oh” und “Hm” und priesen den Koch.
“Es ist sooo gut”, frohlockte auch Isolde. “Es schmeckt wie …”
Wir alle warteten, denn sie hatte ihren poetischen Moment, das erkannten wir an den hochgerollten Augen. Sie suchte nun nach einem Wort, einer ihrer berühmten Vergleiche kündigte sich an, man müsste eigentlich immer mit einem Diktiergerät neben ihr hergehen. Sie kaute umher, dann nahm sie noch einen Bissen, und dann kam ihr Ausruf: “Ich weiß, wie es schmeckt!”
Sie kicherte.
“Nun, sag schon, wie schmeckt es?”, fragte Margarita.
“Wie Sperma”, sagte Isolde, und wir lachten kollektiv ob all der Poesie, die uns umgab auf dieser herrlichen Insel.