Aber die Salsa! Beim den Standardtänzen hingegen hörte ich, wann ich den ersten Schritt setzen musste. Denn da gab es nicht so viele Taktschläge, zwischen denen ich etwas falsch machen konnte. Aber die Salsa! Da kriegte sich der Mann an den Trommeln gar nicht mehr ein, es klang wie wenn ein ekstatischer Derwisch so flink auf die getrockneten Tierhäute einschlug, dass sich seine Hände für das Auge im Dunkel auflösten, und sein Kopf legt sich zur Seite, sein Blick weitete sich ins Weiße, und er sang hell und kräftig von seinem schmerzhaft dringlichen Anliegen, seine Stimme war unentrinnbar, seine Worte aus einer Sprache, die es nie gegeben hatte, die konkrete Bedeutung selbst für Eingeweihte irrelevant, denn alles versank hier in der Bar und darum musste jeder diese Schritte machen, um nicht tiefer zu sinken, zuerst den linken Fuß zurück. Aber ich vermochte in dem wirren Trommelgetue keinen Takt herauszuhören, so, als würde nur ich etwas nicht sehen, nämlich dieses geheime Zeichen des Derwischs, der – für andere Tänzer völlig klar – diesen besonderen Augenblick des ersten Schritts vorgab: Eins. Zwei Drei. Fünf Sechs Sieben. Und Eins. Eine Zählweise, die keine Vier und keine Acht kannte. Wohl hatte ich viel Erfahrung mit Lateintänzen, Cha Cha Cha zum Beispiel, und Ruma begann ja auch auf Zwei, da war die Eins ein Schritt den man nicht tat, das war auch schwierig, das hatte auch Wochen gebraucht bis ich es gekonnt hatte. Und ich war gut Boogie, diesen ausgelassenen, wilden Tanz, dessen Drehungen ich in der Salsa wiederfand, klar, denn Boogie gab es lange vor der Salsa – aber verdammt noch mal, warum gelang es nicht? Dieser kleinlaute Unterschied zwischen Latein und Latin war Abgrund und Berg, war Blindheit meiner Ohren, war, dass nichts mehr galt, womit ich in den letzten Jahren verlässlich getanzt und gepunktet hatte. Das hier war zurück ans Damals, als ich nicht nichts konnte und nichts kannte. Schlimmer noch! Bei bei meinen Salsadrehungen schlitterte in den Boogie hinein, machte also einen Schritt zu viel, vorbei war es mit dem mühsam begonnen Takt. Am Drehungsende stand ich auf dem falschen Fuß, und wie der letzte Tanzidiot musste ich schummeln, mit Blicken zu den Tanzlehrerfüßen mich hinkorrigieren, also von wegen Leichtigkeit, von wegen lateinamerikanische Fröhlichkeit. Ich musste mein altes Tanzen nicht nur vergessen, ich musste mich von ihm entlernen. Dabei wollte ich doch bloß mit Editha tanzen, weil sie meinte, ich sollte es tun. Nein, die Salsa, die würde ich nie, nie tanzen, die brauchte ich nicht, die war für kleinwüchsige Südamerikaner, für braunhäutige Kubaner, von mir aus für Spanier, aber ich hatte Englischen Walzer, Wiener Walzer, Foxtrott und Boogie, wozu brauchte ich denn mehr? Salsa, so schwor ich mir in dieser kellerhaften Tanzenge, würde ich nie wieder tanzen wollen müssen.