Wunderbar, dass du bei dieser kleinen Schreibwerkstatt immer noch dran bist!
Mitmachen ist ja ganz einfach: du fügst deinen Übungstext als Kommentar an diesen Blogbeitrag, und danach gibst dein konstruktives/wertschätzendes Feedback zu den Texten der anderen.
So hilfst du anderen, genauso wie die anderen dir helfen.
Voraussetzung für diese Übung ist: Du hast die erste und die zweite Übung bereits gemacht.
Hier die dritte Übung:
Schreib einen kleinen Text über eine Person, die auf jemanden wartet. Schreibe aus der Sicht dieser Person. Beschreibe, was die Person wahrnimmt (VAKOG), sage nicht, was sie denkt.
Die Leserin soll merken, dass die Person wartet, ohne dass dies erklärt wird („Er wartete auf eine Straßenbahn.“).
Nutze die vorhin gesammelten Sinneseindrücke. Zeige, ohne zu interpretieren („Show, don’t tell“). Beschreibe nicht, was diese Person denkt („Ihm war langweilig“, „Er denkt an seine Frau“). Der Text soll frei von Interpretationen und Wertungen sein. Die Erzählform ist frei wählbar (Personeller Erzähler, Ich-Form, innerer Monolog,…).
Du hast 45 Minuten Zeit.
Hier geht es darum, die Sinneseindrücke so einzusetzen, dass etwas vermittelt wird. Was macht einen Wartenden aus? Es hat auch damit zu tun, dass ich als Schreibender mir meine Wahrnehmung bewusst mache: Woran merke ich als Beobachter, dass ein Mensch wartet? Bei meinen Schreibwerkstätten machte ich folgende Erfahrung: Nachdem die vorige Übung bei vielen Schreibenden mit der Einsicht geendet hatte, dass sie nicht vorbehaltlos wahrnehmen konnten, war dies nur die Übung mit der größten Anstrengung. Diese Übung war für viele das erste bewusste Ankämpfen der eigenen Widerstände – und damit mit großen Lerneffekten verbunden.
Und hier geht es zur nächsten Übung…
14.15 Uhr, er schaute auf die Uhr, wie schon unzählige Male zuvor. Die Minuten krochen dahin, der Tag erschien ihm endlos lange. Er saß seit exakt 90 Minuten in der gleichen Position. Anne hatte sich, nachdem sie ihm das Mittagessen angereicht und ihm den Becher mit Apfelschorle mehrmals an den Mund geführt hat, damit er etwas trinken konnte, vergewissert, dass er gut und sicher in seinem Rollstuhl sitzt. Sie hatte sich ebenfalls vergewissert, dass er mit seinem rechten Zeigefinger den Knopf des Notrufgerätes erreichen kann. Sie hatte ihn gefragt, ob alles in Ordnung sei und ob sie noch etwas für ihn tun kann. Es war alles in Ordnung, so weit man es so bezeichnen kann, wenn man außer dem rechten Zeigefinger kein Körperteil mehr zielführend bewegen kann, und nein, Anne konnte nichts weiter mehr für ihn tun. Aber es war wichtig, dass sie fragte. Manchmal juckte es ihn furchtbar an der Nase, oder die Naht des Strumpfes bohrte sich unangenehm zwischen seine Zehen. Aber heute war alles in Ordnung.
Seine Augen wanderten wieder zur Uhr, 14.17 Uhr. Er seufzte, überlegte, welcher Wochentag heute war. Mittwoch, therapiefrei, keine Krankengymnastik und auch keine Ergotherapie, es war Mittwoch.
Ohne, dass er etwas daran ändern konnte, wanderte sein Blick wieder zur Uhr, 14.18 Uhr. Er dachte an seine Tochter. Am Sonntag würde sie ihn besuchen, ein kleiner Lichtblick, der leider jedes Mal so schnell vorüber war. Bis Sonntag war es noch lange hin, 14.20 Uhr. Er hätte schwören können, dass seit seinem letzten Blick zur Uhr mindestens eine Viertelstunde verstrichen ist.
Er schloss die Augen und versuchte ein wenig wegzudösen, manchmal gelang es ihm, in einer Art Dämmerzustand eine halbe Stunde zu ruhen, mit geschlossenen Augen und ohne irgendeinen Gedanken. Heute jedoch waren seine Gedanken unruhig und obwohl er nach dem Essen etwas getrunken hatte, verspürte er Durst.
14.23 Uhr mutlos ließ er die Augen sinken und seufzte erneut.
Das Telefon klingelte, er nahm es wahr ohne jede Reaktion. Entweder war der Anrufer falsch verbunden oder es war jemand der etwas verkaufen oder eine Umfrage machen wollte. Die Menschen, die ihn kannten, wussten, dass er alleine nicht in der Lage ist, zu telefonieren. Das Läuten hörte auf und plötzlich erschien ihm die Stille in der Wohnung unerträglich laut.
14.25 Uhr was würde er geben, für einen Schluck Wasser. Sein Becher mit der Apfelschorle stand auf dem Tisch vor ihm, nur einen Handgriff entfernt für ihn jedoch unerreichbar.
An was Schönes denken, das hilft bestimmt. Er überlegte fieberhaft, was er Schönes erlebt hatte, an das er denken könnte. All das Schöne in seinem Leben spielte sich in einer Zeit ab, in der er nach einem Becher greifen konnte, wenn er Durst hatte.
14.27 Uhr Er spürte die Wut in sich aufsteigen.
14.28 Uhr endlich, es klingelte an der Wohnungstür. Er rief ein erleichtertes „Ja, komm rein“ aber seine Stimme war so leise, dass sie kaum bis an die Wohnungstür vordrang. Aber das war egal. Er hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, wie Katrins dicker Schlüsselbund mit den vielen Schlüsseln daran klimperte und Augenblicke später kam eine junge Frau lächelnd in sein Wohnzimmer. Der Durst und die dunklen Gedanken waren wie weggeblasen. Katrin hatte nun eine Stunde Zeit, sich um seinen Haushalt zu kümmern. Sie würde ihm den Becher mit der Apfelschorle zum Mund führen, ihm einen Kaffee machen und ihm drei seiner Lieblingskekse zum Essen anreichen. Aber das Schönste war, dass sie ganz nebenbei, während sie all das für ihn tat, seine Wohnung mit ihrer guten Laune und ihrem Lachen füllen würde.
Ich stand an der Bushaltestelle und sah den Tauben dabei zu wie sie sich um die Krümel, welche von den Tischen beim Essen hinunter fielen, stritten. Ich sah wie ein Mann eilig seinen Bus verfolgte, weil dieser gerade ohne ihn losgefahren war. Der Bus fuhr unbeirrt weiter. Menschenmassen strömten auf der Gasse herum. Ich sah das alle dasselbe Ziel eine gerade angekommene Straßenbann. Ich sah auch endlich die Person auf welche ich wartete…..
Mit einem kurzen Blick auf die Uhr, sieht er sich wieder nach dem Bus um. Doch noch immer ist er weit und breit nicht zu sehen.
Er sieht auf die ältere Frau die neben ihm auf der Bushaltestelle sitz. Sie lisst ihr Buch weiter. Er steht auf und guckt sich den Plan an. Dort steht S6 um 8 Uhr.
Es ist jetzt schon 08:00 Uhr. Ungeduldig geht er wieder zurück zu der Bank unter der Bushallte stelle und setzt sich wieder hin. Er merkt wie sein Handy in seiner Hosentasche vibriert und öffnet die Nachricht.
Sein Freund Max schreibt ihm ob er schon da ist. Schnell berichtete er Max das sein Bus sich mal wieder verspättet hat und er später kommen wird.
Mal wieder wird er der letzte sein und kriegt ärrger von seinem Lehrer. Bestimmt muss er wieder einmal nachsitzen.
Die zeit scheint sich immer schneller zu bewegen und immer noch sitz er hier. Endlich, endlcih hört er das lang ersehnte brummen. Es wird allmählich immer lauter und er steht auf. Er spürt wie sein Bein vom langen sitzen anfängt zu kribbeln. Doch gleich wird er schon in der Schule ankommen. Und dieses mal, wieder zu spät.
Sie hat sich an die etwa hüfthohe Mauer gelehnt, beide Arme nach hinten abstützend.
Das Wasser hinter der Mauer wogt nur leicht.
Links neben ihr, in einiger Entfernung, ein kleines Schiff, dunkelbraunes Holz, offene Front mit stützenden Balken, der Motor an.
Sie blickt mit dunklen Augen geradeaus.
Ihr linker Fuß wippt, die Finger ihrer rechten Hand ziehen eine kleine Linie auf der Mauer nach.
Ab und an kneift sie ihre Augen zusammen.
Das Schiff fährt langsam aus und zieht hinter ihr nach rechts vorüber.
Lange Zeit steht sie so da.
Bewegt sich in einem Takt, zu dem keine Musik zu hören ist.
Menschen laufen vorüber. Immer wieder Menschen. Und noch mehr Menschen.
Das Licht der umliegenden Laternen schaltet sich ein.
Der Himmel wird langsam immer dunkler.
Ihre Hände sind inzwischen vor ihrer Brust verschränkt, leicht streichelt sie ihre Unterarme.
Sie zwinkert jetzt oft.
Sie entschied sich für einen der runden Aluminiumtischchen in der Mitte des Platzes, an den noch niemand saß. Ihr Rucksack drückte. Sie war erleichtert, als sie ihn abnehmen und neben ihre Füße stellen konnte. Der Stuhl war hart, und kalt an der Stelle, wo ihr Bein direkt mit ihm in Berührung kam. Sie schaute hoch. Aus der Glastür in den zweigeschossigen Haus kam eine Kellnerin mit einem Tablett.
Von den Tischchen waren fast alle mit einem oder zwei Personen besetzt. Sie atmete tief durch. Entspannte den Rücken. Da kam die Bedienung auf sie zu.
Einen Kaffee bitte. Ja, gern ein Kännchen.
Die Sonne spiegelte sich in der Glasfassade. Sie nahm das Heft mit dem Sudoku aus der Tasche, und beugte sich darüber. Ihre Augen glitten prüfend die Reihen entlang. Sie schüttelte den Kopf, nahm den Radiergummi zur Hand. Als sie hörte, dass die Schritte immer weiter auf sie zukamen und nicht abbogen, hob sie den Kopf. Da kam er, ihr Kaffee.
Sie nahm das Heft und legte es zurück in ihre Tasche.
Sie liebte den Geruch von frischem Kaffee, und atmete ihn tief ein.
Der Geschmack hielt, was der Geruch versprochen hatte. Heiß rann der Kaffee durch ihren Hals. Das tat gut.
Sie hob den Blick. Links vom Haus waren große Rhododendren. Verblüht. Sie standen dunkelgrün vor dem blauen Himmel.
Langsam holte sie ihr Strickzeug aus dem Rucksack. Der grüne Beutel war offen. Das Garn hatte sich verheddert. Sie nahm die Rundstricknadel in beide Hände. Ein hellblauer Faden aus dem Inneren des Knäuels hatte sich um den dunkleren mittelblauen gewickelt.
Das Pärchen neben mir steht so dicht, dass es irritiert. Er trägt eine eng geschnittene Lederjacke. Beige. Schuhe mit dicken Sohlen und Absätzen, die einen größer erscheinen lassen sollen. Er riecht ziemlich stark nach Nivea-Creme. Sein Gesicht glänzt aber nicht. Ich sehe, wie die Regentropfen von der Kante des Bushaltestellenhäuschens auf seine Schulter tropfen und dort abperlen. Eine Lederjacke mit Lotuseffekt. Die Tropfen laufen zusammen und bilden letztlich ein kleines Rinnsal den Rücken entlang. Sie tropfen an der Seite so von der Lederjacke ab, dass die hellblaue glatte Jeans nicht nass wird. Ich verfolge etliche dieser Tropfen auf ihrer Achterbahnfahrt hinab. Die Tropfen haben eine Wahnsinnsfahrt über die Täler und Berge der Falten der Jacke, hui, hoch und runter, aber am Ende sterben sie einen auflösenden Tod, wenn sie die größte Strecke ihrer Fahrt hinabstürzen in die Pfütze, die sich in dem ungleichmäßigen Pflaster unter der Bushaltestelle gebildet hat. Am Ende verlieren sie ihre Existenz und sind nur noch Wasser. Viele Tropfen, eine Pfütze. Bestimmt zwanzig oder mehr dieser wahnwitzigen Tropfen-Racer habe ich schon verfolgt. Aber die Uhr ist noch nicht eine einzige Minute weitergesprungen.
Ich lasse den Blick in die Ferne schweifen. Grauer Nebel. Wie immer in dieser Jahreszeit. Die Autos fahren rücksichtslos an uns vorbei, so dass wir von Spritzern getroffen werden. Mir ist kalt. In der Luft liegt ein leichter Kerosin-Geruch vom nahen Flughafen. Bei dieser Wetterlage zieht der Geruch nicht ab.
Die Frau von dem Pärchen zu dicht neben mir stupst mich immer mit ihrem Rucksack an. Normalerweise regt mich so etwas auf. Heute ist mir zu kalt. Sie redet leise mit ihrem Typen. Verstehen kann ich nichts. Die Regenjacke, die sie trägt, lässt nicht den geringsten Schluss auf ihre Figur darunter zu. Ich lasse den Blick wieder zu der Uhr schweifen. Jetzt ist der Zeiger einen Strich weiter gesprungen.
Die beiden schwanken so komisch. Hin und zurück. Ich kann da nicht hinschauen. Stattdessen richte ich den Blick auf die Straße in die Richtung, aus der der Bus kommen soll. Ich versuche, den Bus an den Lichtern zu erkennen. Ich sehe immer wieder kreisrunde oder ovale Lichter, die sich aber immer wieder als die Beleuchtung von tristen Mittelklassewagen entpuppen, die farblich perfekt zum Wetter passen.
Infolge des Regens habe ich jetzt kleine Tröpfchen auf der Brille, in denen sich das Licht der Scheinwerfer der herannahenden Fahrzeuge in Strahlenkränze bricht. Oder sind es meine heimlichen Tränen?
10 min:
„Das junge Mädchen stand nah an der Haltestelle. Sie trug das dunkelblonde Haar auf Schulterlänge und war der Jahreszeit entsprechend leicht bekleidet, der Rock flatterte bei jeder Windbö. Ihr Blick war vor sich gerichtet, aber sie war ganz offensichtlich nicht mit der Betrachtung ihrer Umgebung beschäftigt, sondern mit dem Anblick innerer Bilder. Eine Weile lang stand sie fast unbeweglich, in ihre Gedanken versunken. Dann fing sie an auf ihre Füße hin und her zu wippen. Sie kramte in ihre Schultertasche und holte ein Smartphone zu Vorschein.
Sie schaute sich um und setzte sich kurz entschlossen auf den Bordstein der angrenzenden Grünanlage.
Leute liefen an ihr vorbei, Busse fuhren an und wieder weg. Das junge Mädchen achtete kaum darauf. Hin und wieder blickte sie auf und schaute sich suchend um, dann widmete sie sich wieder dem Telefon und schien eifrig zu texten.
Ein halbe Stunde war vergangen. Der Himmel hatte sich bezogen. Immer noch saß sie an der gleichen Stelle und ihr Blick löste sich nicht von dem kleinen Bildschirm. Erst dann schaute sie schließlich auf die Straße, stand auf, klopfe ihren Rock hinten ab und überquerte mit großen Schritten die leere Straße.“
hi Kat. Ich finde diese Eingangssequenz faszinierend. Eine Person, bei der alles luftig flattert, die aber aufgrund ihrer Innensicht ganz still steht. Das ist irgendwie ein toller Kontrast. Frage mich, ob man das nicht noch viel mehr auswalzen könnte, indem du länger das Flattern und länger das Stillstehen beschreibst. Ich finde, dieses Bild hat eine besondere Tiefe.
Wenn ich darüber nachdenke, erinnert mich das an Martial Arts Filme.
Er sieht den Zeiger auf der Bahnhofsuhr eine Minute weiterücken und hört das laute „Klack“ dabei.
Das Quietschen des einfahrenden Zuges auf dem Gleis schmerzt in seinen Ohren. Auf seinem Nacken bildet sich eine Gänsehaut, die sich über seine Ohren bis auf seine Wangen ausbreitet.
Seine Zehen in den Winterstiefeln fühlen sich klamm an, er wackelt in den Schuhen damit hin und her.
Es riecht nach Diesel und Öl und frischem Gebäck von dem Bäckerladen an der Ecke.
Sein Blick schweift suchend über die aus dem Zug strömenden Menschen. Das feuchte Blumenpapier in seiner Hand durchweicht seinen dünnen Stoffhandschuh.
Wenn Menschen Gedanken lesen könnten, wäre ich jetzt wahrscheinlich schon längst tot.
Das war mein erster konstruktiver Gedanke, während ich die Grube ausmaß, wie Dr. Sherman es mir aufgetragen hatte. Die Sonne brennt höllisch, da kann auch mein breitkrempiger Sonnenhut nicht viel helfen.
Ich bin jetzt seit einer Woche dabei. Dabei bei einem wichtigen Ausgrabungsprojekt, das vollkommen neue Erkenntnisse über das Leben der Menschen der Antike liefern wird. Oder so ähnlich.
Ihr müsst wissen, davor habe ich noch nie eine Schaufel für etwas anderes als Gartenarbeit, geschweige denn ein Fundstück in der Hand gehalten. Und trotzdem bin ich hier. Als Clarice J. Winslow aus Southampton, die kameradcheue Archäolgin. Die perfekte Tarnung.
Mein echter Name ist Sam. Von Samantha. Dachtet ihr euch wahrscheinlich schon.
Ich frage mich immer noch, warum ich mich auf das hier eingelassen habe. Keiner meiner Kollegen weiß, dass ich hier bin. Mein Chef vertraut mir also offenbar. Das, oder er will mich loswerden. Denn ich bin nicht hier, um die Wissenschaft voranzubringen, sondern um einen Mordfall aufzuklären.
Vor einem Jahr fand man die Leiche einer jungen Frau neben einer Ausgrabungsstätte in der Toskana. Es handelte sich um Julia Schwendt, die zu dieser Zeit Urlaub in Italien machte. Eine harmlose Touristin, nichts weiter.
Leiter dieser Ausgrabungen war, ihr ahnt es bereits, Fred Sherman.
Das war’s auch schon. Zumindest das, was bisher herausgefunden wurde.
„Ich will alles wissen, hörst du? Was Sherman tut, was er sagt, alles! Sag mir bescheid, besonders wenn dir etwas auffällt, klar?“
Klar. Und mir war etwas aufgefallen.
Ich sehe mich nach allen Seiten um. Weit und breit niemand zu sehen. Die anderen sind in die Stadt gefahren, um Einkäufe zu machen und ihre Familien zu sehen, die extra für sie angereist sind. Für mich ist niemand da, denn niemand weiß, dass ich hier bin. Das heißt, schon, dass ich hier bin. Sie denken ich mache Urlaub und sonne mich in Bella Italia. Stimmt ja auch irgendwie…
Ich sehe mich erneut um, dann ziehe ich mein Handy aus der Tasche meiner Latzhose und beginne zu schreiben.
S. war anders heute. Irgendwie aufgebracht, vielleicht nervös. Jeder, der ihm begegnete, wurde angeschrien, das Ganze müsse schneller gehen und wir hätten allesamt den freien Tag nicht verdient. Gestern Abend, als wir noch zusammensaßen, ist er früher in sein Zelt gegangen. Bis 3:15 hat noch Licht gebrannt. Er…
Ein Schatten legt sich über die Grube. Ich fahre herum. Am Rand steht Sherman. Und er sieht aus, als würde er gleich kollabieren. „Miss Winslow, kommen Sie, schnell! Es ist etwas Schreckliches passiert!“
„Mir ist kalt!“ich schiebe den Ärmel meines Mantels hoch um einen Blick auf die Uhr zu werfen und merke, es ist erst drei Minuten her, als ich zuletzt darauf blickte. Ich beobachte den Sekundenzeiger – möglicherweise ist die Batterie schon schwach- und vielleicht ist doch schon mehr Zeit verstrichen? Der Frost kriecht meinen Beinen entlang und ich gehe drei Schritte voraus, drei Schritte zurück, damit ich die eisige Kälte wenigstens aus den Fußsohlen vertreibe. Viel zu lange schon. Meine roten Fingerhandschuhe fühlen sich schon ganz feucht und klamm an, weil ich immer wieder versuche mit meinem warmen, dampfenden Atem wenigstens die Fingerspitzen ein wenig zu erwärmen. Meine Nasenspitze kühlt sogar durch den Hanschuh hindurch – ein Eiszapfengefühl am Handteller. Ich lausche in die Finsternis, ob ich nicht doch bereits Schritte vernehme aber nur das ferne Rauschen des Zuges unterbricht die klirrkalte Stille. Niemand zu sehen, der sich heute vor die Haustüre wagt, obwohl die Lichter hinter den Fenstern Zeugnis abgeben, dass da jemand sein muß. Ich gehe hin und her , verschränke die Arme und rubble ein wenig an den Oberarmen, damit die Außentemperatur nicht augenblicklich meine Knochen zu Eis verwandelt , dann ziehe ich meine Mütze noch mehr ins Gesicht, damit der Wind um einen halben Quadratzentimeter weniger Landeplatz hat und die Reibung der Wolle auf der Stirn läßt erahnen, wieviel Wärme da noch Platz nehmen könnte. In mir, unter dieser Eishaut macht sich schon seit einiger Zeit eine Unruhe breit, eine Ungeduld die meine Mundwinkeln nach unten krümmt und mich dazu bringt, dass mein Atem schnaubend entweicht.
Mein neuerlicher Blick aufs Handgelenk braucht eine Wiederholung, denn der Minutenzeiger ist gleich – nein doch nicht – wieder eine von nunmehr schon 27 Minuten vergangen.
Auch wenn meine Schritte durch meinen Körper hallen und die Minuten teilen, wenn nicht gleich Schritte von außen mich aus dieser Kälte befreien, drei Minuten noch…
@€va:
sehr eindrucksvoll deine Geschichte, schade dass nur so wenig Zeit für den Schluß blieb, denn das Ende hätte weniger abrupt sein können . Das könnte das erste Kapitel eines Buches über Trauer, Beziehung, Mann und Frau… werden. Anfangs dachte ich du schreibst über ein Scheidungskind, dass auf den Besuchsvatewr wartet.
Dein Stil gefällt mir, ich würde sicher weiterlesen.
@ Katrin:
Ich fands sehr schön umgesetzt. Völlig wertfrei und nur Sinneseindrücke. „Blaugrau“ würde ich weglassen, weil es irgendwie unnötig ist. Vielleicht auch nicht zu viel Rauchen/an Zigarette ziehen, weil es sonst etwas redundant wird. Einmal reicht, denke ich. Den Verkehr finde ich sehr schön beschrieben. Das Kribbeln ist auch super.
Habs noch geringfügig verändert um noch weniger zu interpretieren:
„Hör schon auf mit den Schuhen zu scharren.“, sagte sie und zog meinen Pullunder zurecht. „Was sagst du zum Vater?“
„Guten Tag Herr Vater, darf ich Ihnen den Koffer tragen?“, wiederholte ich. Als die Straßenbahn hielt stiegen mehrere Männer aus. Einem fehlte ein Bein und er hatte einen scheppernden Metallpflock unter den Stumpen gebunden. Er röchelte beim Gehen. Seine linke Gesichtshälfte hing schlaff herunter und aus seinem Mundwinkel tropfte Speichel.
„Ist er das Mama?“
Sie wartete einen Moment und nestelte an ihrem Kopftuch. „Nein. Das ist er nicht.“
Die Straßenbahn bimmelte zum Abschied und ich stellte fest, dass niemand zu uns hinüber sah. Es fing an zu nieseln und meine Mutter breitete den Schirm über sich aus. „Setz dir deine Mütze auf.“
Vor uns stand ein Herr in grauer SS-Uniform, der ein Mädchen auf die Schultern hob. Sie durfte seine Waffe in der Hand halten und wedelte fröhlich damit herum.
„Willst du nicht deinen Vater begrüßen.“, hörte ich meine Mutter sagen. Als ich den Kopf hob sah ich zum ersten Mal in das Gesicht meines Erzeugers.
Das Wort Vater hatte für mich die gleiche Bedeutung, wie Luzifer oder Knecht Rupprecht. Meine Mutter sagte immer: Wenn dein Vater Fronturlaub bekommt, dann weht hier ein anderer Wind.
„Hör schon auf mit den Schuhen zu scharren.“, sagte sie und zog meinen Pullunder zu Recht. „Was sagst du zum Vater?“
„Guten Tag Herr Vater, darf ich Ihnen den Koffer tragen?“, wiederholte ich. Es gab kein Foto von meinem Vater, doch ich wusste, dass er scheußlich aussehen musste. Als die Straßenbahn hielt stiegen mehrere scheußliche Männer aus. Einem fehlte ein Bein und er hatte einen scheppernden Metallpflock unter den Stumpen gebunden. Er röchelte beim Gehen. Seine linke Gesichtshälfte hing schlaff herunter und aus seinem Mundwinkel tropfte Speichel.
„Ist er das Mama?“
Sie wartete einen Moment und nestelte an ihrem Kopftuch. „Nein. Das ist er nicht.“
Keiner der Männer sah zu uns rüber, wahrscheinlich würde Vater mit der nächsten Bahn kommen. Ich beobachtete einen Herrn in grauer SS-Uniform, der ein Mädchen auf die Schultern hob. Sie durfte seine Waffe in der Hand halten und wedelte fröhlich damit herum. In zwei Jahren bin ich fünfzehn, dachte ich, dann würde ich endlich auch an die Front dürfen.
„Willst du nicht deinen Vater begrüßen.“, hörte ich meine Mutter sagen. Als ich den Kopf hob sah ich zum ersten Mal in das Gesicht meines Erzeugers.
Jutta sog an ihrer Zigarette und inhalierte den blaugrauen Rauch. Er schmeckte würzig und rauh. Sie sah hinüber zu den Schaufenstern, die im Sonnenlicht glänzten wie ein Spiegel. Die ausgestellten Waren waren von weitem nicht zu erkennen. Auf der Straße zog schwer und zäh das Dröhnen des Verkehrs an ihr vorüber, eine Schnur aus Autos, deren Motoren ein verwirrendes Gebrumme verursachten. Sie schnippte die verglommene Asche weg und verlagerte ihr Gewicht auf das linke Bein. Das rechte hatte allmählich zu kribbeln angefangen. Sie nahm noch einen kräftigen Zug von der Zigarette und betrachtete einen kleinen Jungen mit einer roten Schirmmütze, der an der Hand seiner Mama ging und vor sich hin brabbelte.
Nachdem sie einen Milchkaffee bestellt hatte, hängte sie ihre Jacke über die Stuhllehne. Sie nahm das Buch aus ihrer Tasche und legte die Tasche auf den freien Stuhl, der direkt unterm Fenster stand.
Warmes Sonnenlicht drang durch die Scheibe, ließ die aufgeschlagene Seite weiß erstrahlen, wärmte ihr Gesicht. Ein kurzer Bleistiftstrich, nur ganz leicht auf das Papier gesetzt, markierte die Stelle, an der sie aufgehört hatte, zu lesen. Ihre Augen ertasteten Worte, folgten ihnen durch die Zeilen. Tapfer setzte sie ihnen nach. Aber der Sinn blieb ihr verschlossen.
Der Nachbartisch wurde von zwei Frauen mittleren Alters eingenommen, die geräuschvoll ihre prallen Tüten unter die Stühle schoben. Lautes Knistern kroch ihr in die Ohrmuscheln, blieb dort klebrig haften, bevor das Rascheln ihrer Jacken und anschließendes Stühlerücken es vertrieben.
Sie seufzte und klappte das Buch zu. Laut hallte das Geräusch nach.
Die Frauen saßen nun und hatten ihre Gesichter nah aneinander geschoben. Leises Raunen erfüllte die Luft. Gefolgt von einer sanften Prise süßlichen Dufts.
Die Kaffeemaschine lärmte zischend und brodelnd. Schnitt alle Geräusche ab. Schon zog der Kaffeeduft zu ihr herüber.
Sie legte das Buch zurück in die Tasche und nahm ihr Handy heraus. Flink schob sich der Daumen übers Display. Leuchtend weiß flackerte die Uhrzeit auf, eine Hundertstelsekunde, gerade lang genug, um sie zu entziffern: 12:57. Sie legte das Handy auf den Tisch, schob das rechte Bein übers linke Knie. Die Härchen auf ihren Unterarmen erhoben sich. Dann spürte sie erst die Kälte in die Arme kriechen.
Sie sah zur Tür, drehte dann sie den Kopf, sah aus dem Fenster. Es war ruhig draußen. Ab und zu fuhr ein Auto vorüber. Dann lange Nichts.
Die Schritte der Bedienung kamen klackernd näher, sieben Schritte. Die Tasse stand bereits auf dem Tisch. Sie lächelte leicht, nickte der jungen Frau zu. „Bitteschön“ erwiderte diese. Am Rande ihrer Aufmerksamkeit nahm sie es gerade noch wahr. Sie nahm den kleinen Löffel und dabei berührten ihre Fingerknöchel die heiße Tasse. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie den Löffel in den weißen Schaum tauchte. Die unruhige Kontur des blass-braunen Herzens auf dem Schaum zerfiel. Schwungvoll wühlte sich der Löffel kreisend durch den Schaum, bis eine hellbraune Flüssigkeit blieb und an den Rändern ein schmaler Schaumkreis. In der Mitte stiegen dampfende Fäden auf und lösten sich auf dem Weg zur Tür auf.
Ihre Augen wanderten hinterher. Und genau in diesem Moment sprang die Klinke nach unten. Das Glockenspiel wurde von der sich öffnenden Tür ausgelöst, eine Kaskade von Tönen, hell und harmonisch. Dann trat er ein. Etwas abgehetzt, drehte er sich noch beim Eintreten zu ihr und lächelte scheu.
Verdammt, verdammt, warum bewegen sich sie Zeiger auf der Uhr nicht weiter. Ist sie vielleicht kaputt oder ich nur ungeduldig? Das erste ist es nicht, langsam, langsam, im abscheulichsten Schneckentempo kriechen sie voran.
„Sei nicht so ungeduldig, Süße!“, das hast du mir doch zu mir gesagt. Immer und immer wieder. Das letzte Mal vor drei Tagen, ich habe es nicht vergessen.
„Auf mich kannst du dich verlassen, du weißt doch, daß ich nicht auf dich vergesse!“
Und du bist auch immer gekommen, drei, vier Stunden später, als erwartet, als mit dir ausgemacht.
„Ich bin noch ein bißchen mit den Kollegen zusammengesessen und habe das Handy nicht gehört. Aber du weißt doch, daß ich nicht auf dich vergesse, daß du mir vertrauen kannst!“, hast du dann gesäuselt, die Hand auf meine Schulter gelegt und wenn ich nicht zu schimpfen aufhörte, bist du auch manchmal bös geworden.
„Setz mich nicht so unter Druck!“, hast du dann geschrieen.
Du bist auch jetzt nicht gekommen und die Zeiger dieser Gottverdammten Uhr bewegen sich nicht weiter. Sieben Uhr zwanzig, ist es jetzt. Um sieben bist du da, hast du immer gesagt, seit Jahren, Tag für Tag.
„Sieben Uhr!“
Wenn die Arbeit aus ist und bist dann um elf, zwölf, manchmal auch um eins gekommen.
„Verdammt, verdammt! Warum lügst du mich nur immer an? Du weißt doch, daß ich deine Angaben genau nahm und glaubte, was du sagst. Sieben ist sieben und nicht halb eins!
„Sei nicht so kleinlich, Liebste!“, hast du dann gesagt und mich mit deinen unverschämt blauen Augen angelacht.
„Gönne mir den Spaß und die Freude mit den Kollegen noch zusammenzusitzen. Du weißt ja, daß ich gegen Mitternacht noch immer gekommen bin, weil ich am nächsten Tag ja arbeiten muß!“
Der Uhrzeiger kriecht noch immer so unverschämt langsam weiter. Was könnte ich tun, um mich abzulenken? Staubwischen wäre eine Idee, die die Therauepten raten. Denn auf der kleinen Stoffhexe, die unter der Ikea-Kugellampe baumelt, die du mir einmal aus Amsterdam mitgebracht hast, liegt ohnehin eine ganze Schicht verstreut.
„Mach deinen Haushalt, Baby und gönne deinem Liebsten das Bier am Abend!!
Aber, verdammt, verdammt, ich will doch dieses konservative Frauenbild der Fünfzigerjahre nicht.
„Dann mach etwas für dich, um dich abzulenken, steige in die Badewanne, massiere dich mit dem teuren Duftöl ein oder lies ein Buch, denn du weißt doch, die Männer lieben kluge Frauen, wenn du schon nicht als Hausmütterchen glänzen willst! Lenk dich ab und jammere nicht die ganze Zeit vor dich hin, denn das, das weißt du außerdem, können die Männer nicht leiden und kommen erst recht nicht nach Haus!“
„Du treibst mich ja hinaus!“, hast du in deinem Zorn einmal geschrieen und das hat mir die freundliche Beraterin von der Telefonseelsorge, die ich in meiner Verzweiflung angerufen habe, auch bestätigt.
Draußen bellt ein Hund, die Vögeln zwitschern immer noch und ein Auto fährt vorbei, das nicht deines ist. Es hält auch nicht an und du wirst dich nicht auf deinem Handy melden, wenn ich dich jetzt anrufe und frage, wo du bist und wann du kommst. Kannst es diesmal wirklich nicht, hat mir doch der freundliche Polizist, der vorhin bei mir war, bestätigt, daß du einen Unfall hattest und sofort tot gewesen bist, als du mit dem Auto gegen die Leitschiene pralltest, verdammt, verdammt…!