Schreibhaltung ist jenes Gefühl, mit dem ich die Arbeit an einer Szene beginne.
Ich habe gelernt: Mein Text lebt und fällt mit meiner Schreibhaltung. Wenn mein Gefühl nicht passt, nützt mir mein ganzes handwerkliches Können nichts.
Im meinem Leben musste ich viele Szenen streichen – nicht, weil sie schlecht formuliert waren – sondern weil meine Schreibhaltung nicht passte.
Darum die wichtige Vorarbeit: Dass ich in mir ein Gefühl aufbaue. Für die Schreibhaltung. Für den Protagonisten. Für seine Dringlichkeit. Wichtig: ich muss mir emotional völlig klar sein sein, was für ein Gefühlscocktail das das ist. Bin ich mir unsicher, starte ich vorschnell mir dem Schreiben, dann haben alle Worte maximal die Wertigkeit von vorläufigen Skizzen und Näherungen.
Es geht also um Gefühle. Nehmen wir als plakatives Beispiel eine Begräbnisszene, und meine Aufgabe ist es, einen Besucher zu zeigen. Dann habe ich mich mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen. Trauert er? Wenn ja: In welcher Phase des Trauerns steckt er denn gerade? Ist es Wut, Verweigerung, Verzweiflung, oder ist dem Besucher alles egal? Auf dieses Gefühl ist die Beschreibung des Begräbnisses auszurichten.
Und nun die gute Botschaft (für mich): wenn die Schreibhaltung stimmt, echt stimmt, dann fließt der Text. Dann passen die Worte und die gezeigten Beobachtungen.
Widersprüchlichkeiten in den Texten (etwa, wenn Beobachtungen nicht zur Gefühlslage des Beobachters passen) treten nicht auf, wenn die Schreibhaltung stimmt.
Wie komme ich nun zu meiner Schreibhaltung? Durch Musik. Durch Spielfilme. Durch Fernsehdokus. Durch Für-mich-sein. Eigentlich kaum durch Lesen.
Obiges Video ist ein Beispiel – wenn ich dieses Lied höre, verstärkt sich meine Antipathie gegen Vergangenes und die Notwendigkeit, sich an der Gegenwart zu betrinken – ein wichtiger Charakterzug meines aktuellen Romanprotagonisten Keichlo.
Das Wort Schreibhaltung verdanke ich übrigens von Gustav Ernst. Habe es von ihm in der Leondinger Akademie für Literatur 2006 gelernt. Danke dir!