Also: Es war einmal ein Autor. Der besuchte 2005 die Leondinger Akademie für Literatur. Jeder Teilnehmer arbeitete während des Studienjahrs an einem Romanprojekt, so auch besagter Autor. Nach fundamentaler Kritik gleich zu Beginn des Lehrgangs verwarf er die 4. Fassung. 2006 vollende die 5. Fassung, in Obhut von Gustav Ernst, aber so richtig wurde nichts daraus. Verlage konnten sich nicht erwärmen, und der Autor arbeitete lieber an etwas völlig Neuem…
Jetzt nehme ich das Projekt wieder auf. Gute Handlung, soweit ich mich erinnern kann. Durchgelesen habe ich den Roman nicht, weil: das lenkt doch nur ab, und ich versuche womöglich irgendwelche textlichen Darlings zu retten.
Ich habe also einen ganzen Roman. 447.662 Zeichen. So dick wie „Die Archäologin“. Und den werfe ich auf den Komposthaufen. Lasse ihn verrotten und beobachte den Klatschmohn, der grellrot aus dem nahrhaften Boden wächst.
Und warum? Weil es Frühling ist, verdammt noch mal! Da wachsen Dinge. So ist das.
Der Wind trägt ein Blatt fort, das verfängt sich an den Blüten eines bienensurrenden Marillenbaums, auf dem steht:
– Bettina steht rauchend beim Fenster. –
Sie werden mich einsperren. Sie werden meinen Bruder mit Handschellen abführen, und er wird sagen: gerne habe ich es getan, denn der Pfandler hat sich in Thailand an Kindern vergangen, und so etwas gehört gestoppt. Meine Mama wird weinen, und mein Papa wird gänzlich aufhören zu leben. Man wird mich verhören. Und was soll ich sagen? Was wissen die denn schon? Stellen Sie sich vor, Herr Polizist, Sie haben einen Bruder. Nur mehr einen, weil Sie den anderen getötet haben. Würden Sie den nicht behalten wollen, selbst wenn er nachts Päderasten erschlägt? Aber das können Sie nicht verstehen. Weil das nicht normal ist. Aber so bin ich nun einmal, nicht wahr, so sehe ich gar nicht aus, nicht wahr?
– Bettina beobachtet ihr Spiegelbild im Fenster, schemenhaft und durchsichtig. –
Sie wollen mit mir schlafen, Herr Polizist. Sie haben mich gesehen und sich gedacht, wie wird sie sich bewegen unter mir, jetzt sehen Sie in meinen Ausschnitt und stellen sich vor, wie Sie mit ihren Händen da hineingreifen, von hinten. Nicht wahr? Das ist normal. Aber mit Kindern, das ist nicht normal. Und ein Bruder, der das nicht erträgt, ist auch nicht normal. Darf ich rauchen, Herr Polizist?
– Bettina drückt die Zigarette an der Fensterscheibe aus, dort wo sich ihr Bauchnabel spiegelt.
Ja, ja, in letzter Zeit denke ich immer öfters, so allgemein im Leben, „kill your darlings!“
Spannende Beschreibung, einen Roman einfach auf den Kompost zu werfen und dann zu schauen was daraus entsteht. Durchlesen wäre wahrscheinlich schon sehr wichtig, um daran weiterarbeiten zu können. Viel Spaß und viel Erfolg dabei, was mir jetzt nicht ganz klar ist, ist ob das der Roman mit der Tanzstunde ist oder ob das eine andere neue Arbeit ist, die gerade in Angriff genommen wird, bin gespannt wie es weitergeht.