„Erfolg kann ein großes Hindernis bei der Arbeit sein.“

„Sehr viel schreiben, sehr viel wegwerfen“

Schriftsteller Daniel Kehlmann plauderte bei „Unitalks“ über seine Studienzeit, stilistische Freiheiten und die guten Seiten von elektronischen Lesegeräten

Daniel Kehlmann ist ehrlich. „Als Autor wünsche ich mir, dass der Kindle verschwindet“, sagt er, „als Leser finde ich ihn wunderbar.“ Die ambivalente Einstellung des Schriftstellers ist das Resultat von nackten Zahlen. Für Autoren fällt bei der Verbreitung ihrer Bücher auf elektronischem Wege weniger Geld ab. Nach den bisherigen Verkaufszahlen seiner Bücher ist Geld für Kehlmann kein Thema mehr, viel lieber redet er über Literatur. Seine Leidenschaft, die gerade transformiert wird.

Den Verlust der Haptik, also ein Buch in Händen zu halten, hält er für „verschmerzbar“. Viel wichtiger sei ein anderer Punkt, nämlich die Demokratisierung von Wissen. Elektronische Lesegeräte wie Amazons Kindle ermöglichten sofortigen Zugriff auf große Teile der Weltliteratur, schwärmt der Leser im Autor. Komplizierte Vertriebswege werden obsolet, Bücher werden billiger.

Expansion der Bildung

Der digitale Segen besteht für Kehlmann darin, dass künftig Leute an den Rändern der westlichen Welt viel einfacher Zugang zu Bildung haben werden. „Man muss nicht mehr so reich sein, um an Texte heranzukommen“, so der Bestsellerautor, der diese Woche in Wien auf Einladung von „Unitalks“ mit Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann sein Studium Revue passieren ließ. Kehlmann ist Absolvent der Philosophie und Literaturwissenschaft, das Studium schloss er 1998 ab. „Unitalks“ ist eine Veranstaltungsreihe des Alumniverbands, bei der Abgänger der Uni Wien zu Gesprächen eingeladen werden.

Die Philosophie habe ihn sehr geprägt, berichtet Kehlmann, dennoch war klar: „Was ich wirklich wollte, war schreiben. Ich wusste nur nicht, wann und ob es gelingt.“ Dass es letztendlich gelungen ist, beweist ein kurzer Blick auf Kehlmanns Schaffen. Der 2005 erschienene Roman „Die Vermessung der Welt“ katapultierte ihn auf Platz zwei in der Liste der international bestverkauften Bücher. Im deutschsprachigen Raum ging der in zig Sprachen übersetzte Titel 1,5 Millionen Mal über den Ladentisch. Dimensionen, die für die meisten Autoren außer Reichweite sind.

Diplomarbeit und Roman

Kehlmann erzählt von einer „seltsamen Doppelexistenz“, mit der er in der Endphase seines Studiums konfrontiert war. Seine Diplomarbeit, Thema war Friedrich Schillers Entfremdungstheorie, schrieb er parallel zu seinem ersten Roman „Beerholms Vorstellung“. Ein „stilistisches Rollenspiel“, durch das er sich manövrieren musste. Literatur versus Wissenschaft. Der Roman war vorher fertig. „In meiner Diplomarbeit habe ich dann angeführt, wo ich schon überall Lesungen hatte“, sagt Kehlmann schmunzelnd. „Aus heutiger Sicht war das ziemlich uncool.“

Absurdität prägt die Bücher

Die fünfeinhalb Jahre, die er ins Studium investierte, waren auf keinen Fall verlorene Jahre, betont der Absolvent, aber: „Aus mir wäre kein guter Philosoph geworden.“ Die Bedeutung der Philosophie für seine schriftstellerische Tätigkeit schätzt er als „sehr, sehr groß“ ein. „Das prägt den Geist nachhaltig.“ Dementsprechend experimentiert Kehlmann in seinen Werken mit Referenzen auf Philosophen, die er teilweise in absurde Rollen schlüpfen lässt. In „Die Vermessung der Welt“ taucht etwa Immanuel Kant als seniler Mann auf: „Es ist wunderbar, Figuren einfach auftreten lassen zu können.“ Als Parodie oder entfremdet in einem anderen Kontext. „Die Lebendigkeit meiner Figuren entsteht aus der Lebendigkeit der Sprache“, sagt Kehlmann über den Schreibprozess. Sein Rat an junge Literaten: „Sehr viel schreiben, sehr viel wegwerfen.“ Nur so könnten sich Stil und Tonfall entwickeln.

In Bezug auf die Lehrbarkeit von „Schreiben“ zeigt sich der Autor skeptisch. Kreativschmieden, die Schriftsteller am laufenden Band produzieren, führten zu einer stilistischen Uniformität, die dem Literaturbetrieb schade. Auf der anderen Seite bestehe der Nutzen solcher Einrichtungen wie dem Leipziger Literaturinstitut im Austausch mit Gleichgesinnten: „Dieser Kontakt ermöglicht ein sehr produktives Konkurrenzverhältnis.“ Als Kehrseite der Medaille konstatiert er einen „enormen Wettbewerbsdruck“, der fürs Schreiben kontraproduktiv sei.

Weg der Vinylschallplatte

Besteller à la „Die Vermessung der Welt“ werde es in 30 bis 40 Jahren nicht mehr geben, ist er überzeugt. Gedruckte Literatur werde zwar nicht zum kompletten Minderheitenprogramm verkommen, die Öffentlichkeit dafür schrumpfe aber. „Das ist nicht der Weltuntergang.“ Und: „Das Buch wird den Weg der Vinylschallplatte gehen.“ Die größere Gefahr sieht er nicht im Untergang des Buches, sondern im Abnehmen der Konzentrationsfähigkeit. Durch das ständige Jonglieren mit den Kanälen brauche es ein hohes Maß an Selbstdisziplinierung, um längere Texte zu lesen. Mit einem Klick entfernt man sich quasi tausende Kilometer vom eigentlichen Thema. „Hier sehe ich eine Bedrohung für die Literatur.“ Ein Paradoxon des Bildungsgutes in der digitalen Welt: „Man kann alles nachschauen, deswegen hat man es weniger präsent.“ Durch das Navigieren gehe vielerorts die Orientierung verloren.

Die Orientierung verloren hat Kehlmann bereits bei Texten, die sich analytisch mit seinen Werken auseinandersetzen. Innerhalb von nur wenigen Jahren ist er vom Diplomanden zum Gegenstand von Diplomarbeiten avanciert. „Manchmal liest man Einleuchtendes über seine Texte“, sagt Kehlmann, allerdings sei es ungesund, so viele wissenschaftliche Abhandlungen über sich zu lesen. „Ich nehme das nicht so wahr.“ Außerdem seien diese Arbeiten schwer zugänglich. „Autoren schicken mir ihre Texte nicht.“ Und die Uni ist ein Mikrokosmos, an dem die Werke nicht zwingend digitalisiert werden.

Erfolg vor Augen kann blockieren

Den endgültigen Durchbruch schaffte der 37-Jährige mit dem im Jahr 2003 erschienenen Buch „Ich und Kaminski“. Ein Patentrezept, wie man als Autor reüssiert, gibt es naturgemäß nicht, nur: „Beim Schreiben sollte man nicht nachdenken, mit welchem Inhalt man erfolgreich sei kann.“ Das ändere sich permanent, Fragen wie diese müsse man aus dem Kopf verbannen. „Ein innerer Dressurakt“, so Kehlmann, denn: „Erfolg kann ein großes Hindernis bei der Arbeit sein.“

Angesprochen auf die Rolle eines Schriftstellers als Kritiker in der Öffentlichkeit meint Kehlmann: „Man macht sich leicht zum Narren oder zum Clown.“ Er rät, nicht permanent als Mahner oder Kommentator von gesellschaftlichen Ereignissen in Erscheinung zu treten: „Ich möchte mich nur zu Dingen äußern, wo ich etwas zu sagen habe.“ Aus dem Fenster gelehnt hat sich der Künstler bereits. Und zwar 2009 bei den Salzburger Festspielen, als er in seiner Rede das „Regietheater“ kritisierte und damit für Aufsehen sorgte. Dennoch sollten sich Schriftsteller nicht jedes Mal als „Lehrer des Volkes“ stilisieren: „Wir wissen auch nicht mehr als andere.“

Quelle: derStandard.at, 19.1.2012

2 Gedanken zu „„Erfolg kann ein großes Hindernis bei der Arbeit sein.““

  1. Dennoch sollten sich Schriftsteller nicht jedes Mal als “Lehrer des Volkes” stilisieren: “Wir wissen auch nicht mehr als andere.”

    Nicht jedes Mal ist ok. Wenn er es so sieht. Die Lehrerrolle sehe ich als die historisch gewachsene des Literaten, die logische, die ursprüngliche. Genauso wie die des Prediger, Mahner, Prophet, Guru, Clown und Revoluzzer.
    In irgendeine Rolle fällt man immer. Die Nicht Rolle gibt es (noch) nicht.

  2. Da stecken viele interessante Themen drinnen, 2003 als „Ich und Kaminsky“ erschien, kann ich mich an ein Zeitungsinterview erinnern, wo Daniel Kehlmann meinte, er wäre noch nicht bereit für den großen Roman. Ein paar Jahre später war er es dann und das hat ihn ja, glaube ich, auch Kritik eingebracht. Ich habe „Die Vermessung der Welt“ nicht gelesen, wohl aber ein paar Vorläuferbücher und war auch bei einigen Lesungen und habe Daniel Kehlmann immer für einen sehr fleißigen, konsequenten und auch sehr intelligenten Schreiber gehalten, der und das ist ja ein großes Glück, glaube ich, auch sehr gefördert wurde. Und was die Bücher betrifft, so glaube ich, ohnehin, daß sie unverkäuflich sind und nicht sehr oft gekauft werden, am ehesten wahrscheinlich ohnehin noch die Bestseller und wenn Kehlmann dann wochenlang auf Lesereise von Oberdorf nach Unterdorf geht, dann kaufen die literarisch interessierten Damen wahrscheinlich und lassen signieren, ob das Buch dann auch gelesen wird, ist eine andere Frage, ich wäre da sehr skeptisch.
    Den Geschichtenband „Ruhm“ habe ich gelesen und ich bin eine, die sich höchstwahrscheinlich nie einen Kindle kaufen, sondern beim guten alten Papierbuch bleiben wird, ich habe genug, für den Rest meines Lebens und was die Schreibseminare betrifft, stimmt der Einwand auf der einen Seite natürlich, auf der anderen Seite ermöglichen Schreibseminare aber wieder viel und bringen Autoren weiter. Ich würde meinen, nicht zu früh mit Schreibseminaren anfangen, die ersten tausend Seiten alleine schreiben und seine Fehler machen, weil wenn man zu früh in die Krtikphase kommt ist man vielleicht ein wenig hilflos zu entscheiden, was daran stimmt oder nicht. Die Regeln kennenlernen und dann brechen, ist, glaube ich ein guter Rat, wenn ich weiß, warum ich nicht sooft „sagte er“ schreiben soll, kann ichs wieder tun und dann wird die Literatur besser und bleibt vielschichtig. Das Problem ist ja, daß wirklich schon sehr viel geschrieben wurde und, daß immer mehr Leute schreiben und immer weniger lesen wollen. Ich tue beides mit Begeisterung und kann beides auch sehr empfehlen!

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